Stories_13&God

Musik ohne Grenzen

Anticons Düsterrapper Themselves und die Weilheimer Electro-Popper The Notwist, zwei Bands, die unterschiedlicher nicht sein könnten, spielten gemeinsam das beste Album des Jahres ein.    30.05.2005

Es gibt noch Wunder. Wenn sich zwei Supergroups zusammentun, um in einer Supergroup aufzugehen, ist es stets fraglich, ob das Ergebnis letztlich wirklich doppelt super gerät. Im Falle von 13&God kann man ruhig seinen Erwartungen trauen. Wer das Ungewöhnliche erwartet, wird nicht enttäuscht.

Zurück zum Anfang: Am Beginn der Freundschaft zwischen den Musikern Adam "Doseone" Drucker, Jeffrey "Jel" Logan, Dax Pierson - gemeinsam Themselves - und den Acher-Brüdern Markus und Micha sowie Martin "Console" Gretschmann - alias The Notwist - steht ein Busunfall. Dieser ereignete sich im Frühjahr 2004, als beide Bands gemeinsam durch Kanada tourten. Ein Computer an Bord des Tourbusses gab den Geist auf, die genaueren Umstände liegen bis heute im Dunkeln. Der Bus versagte im Niemandsland, konnte nicht mehr in Betrieb genommen werden. Die Tour wurde abgesagt, Konzerte storniert, Themselves und The Notwist fanden sich in einem schäbigen Motel wieder. Man könnte vermuten, es war Vorsehung, denn aufgrund dieser etwas tristen Situation entstand zwischen den Bands eine Freundschaft.

Es stellte sich heraus, daß Themselves die Arbeit von The Notwist schätzen - und umgekehrt. Nicht lange danach schmiedete man gemeinsam Zukunftspläne, doch wo und wie anfangen? Auf der einen Seite der koboldhaft-hypnotische Rap-Stil von Themselves, auf der anderen Seite die melancholischen Elektropop-Wizkids Martin Gretschmann und die Acher-Brüder. Wie sollte man die völlig unterschiedlichen Stile unter einen Hut bringen?

Beide Bands landeten 2002 große Hits: In den USA veröffentlichten Themselves "The No Music", ein kritisches, klaustrophobisches Meisterwerk, und The Notwist punkteten in Europa mit "Neon Golden", einer perfekten Symbiose aus Holzbläser-Arrangements, Consoles glitchy Elektronik und Markus Achers sentimentalen Texten.

 

Bald stand fest: Man müßte wohl bei Null anfangen. Neue Ideen, neue Arrangements. Und so schickten beide Bands Homerecordings, Demoversionen und musikalische Skizzen über den Atlantik hin und her. Klingt wie ein mühsames Unterfangen, ist aber im Zeitalter von mp3, AAC und xDSL-Anschlüssen bloß eine Frage der Organisation. Und die hat im Falle von The Notwist schon immer 100prozentig gepaßt.

Im September 2004 flogen Themselves von San Francisco nach München. Die sechs Freunde trafen einander in Gretschmanns Alien-Transistor-Studio in der Nähe von Weilheim und kasernierten sich für volle 17 Tage ein, um als 13&God eine LP zu erarbeiten.. Das Studio entpuppte sich als geselliger Ort, immer wieder kamen Freunde vorbei und spielten einen Part ein. So gaben sich Notwist-Drummer Martin Messerschmidt und Gitarrist Max Punktezahl ein Stelldichein, weiters Steffi Böhm von Ms. John Soda und Valerie Trebeljahr von Lali Puna. Am Tage wurde gearbeitet, am Abend fuhr man nach München zum Essen und sicher auch, um das bayrische Bier ausgiebig zu testen.

Die 10 Songs, die während dieser Tour de force entstanden, beinhalten exakt all das, was man sich in seiner Phantasie zusammenreimen kann. Die spooky Lyrics von Themselves verschmelzen mit Gretschmanns verträumtem Glitch-Hop, Markus Achers Gesang transportiert perfekt die düstere Grundstimmung des joint venture. "Men of Station", die erste Singleauskopplung, oder "Perfect Speed" sind bloß vordergründig typische Notwist-Songs, doch es fließt hier noch mehr ein. Apokalypse und Globalisierungsangst: Die Welt ist aus den Fugen geraten ("Soft Atlas"). Themselves stehen auch für soziales Bewußtsein und prangern die grausigen Gespenster des Kapitalismus an: Lohnsklaverei, Gleichschaltung der Massen, Konsumzwang und Gehirnwäsche. Die Texte sind mitunter selbst für Englischexperten schwer zu identifizieren, aber die Geduld macht sich bezahlt. Denn hier gilt: Das Ganze ist mehr als die Summe der einzelnen Teile.

13&God klingen nach Rap, TripHop, viel Elektro-Pop, natürlich nach The Notwist, aber vor allem sind sie ein lebender Beweis dafür, daß gemeinsame Interessen, seien sie politischer oder musikalischer Natur, in der heutigen Zeit keine Grenzen kennen. Berkeley ist nur einen Katzensprung von Weilheim entfernt. Wer das schrumpfende Universum live sehen und hören möchte, findet sich am 4. Juni im Wiener Chelsea ein - so noch Karten vorhanden sind. Unbedingte Empfehlung.

Ernst Meyer

13&God - 13&God

ØØØØØ


Anticon/Alien Transistor/Soul Seduction (USA/D 2005)

 

Links:

Kommentare_

Musik
The Notwist - The Devil, You + Me

Weilheim revisited

Das Wiedersehen mit Bayerns Besten gerät auf deren sechstem Album zu einer sanften und melancholischen Reise ins Innere.  

Musik
The Orb - The Dream

Japanische Träumereien

Die Ambient-Dub-Veteranen geben ein starkes Lebenszeichen von sich. Ihr vor einem Jahr exklusiv für den japanischen Markt erschienenes Album ist nun weltweit erhältlich.  

Musik
Portishead - Third

Scratch is dead

Das mehr als zehn Jahre erwartete dritte Album des nach einer englischen Hafenstadt benannten Trios bietet alles mögliche - nur nicht das, was sich der ausgehungerte Fan erwartet hat ...  

Musik
Nine Inch Nails - Ghosts I-IV

Die Stunde der Geister

Trent Reznors neues Werk besteht aus 36 Instrumental-Songs, die über das Internet vertrieben werden. Trotz fehlenden Gesangs hört man deutlich, wer da an den Reglern saß.  

Stories
Bauhaus - Geschichte eines Stils

Vampire leben länger

Die Gründerväter des Gothic-Rock präsentieren nach 25 Jahren Pause ihr fünftes Studioalbum "Go Away White". Ernst Meyer begibt sich zu diesem Anlaß auf Zeitreise.
 

Musik
Autechre - Quaristice

Popsongs für Synapsen

Zwischenstation Zugänglichkeit? Der neunte Longplayer der Herren Booth und Brown ist in 20 Sound-Miniaturen gegliedert, die man guten Gewissens Popsongs nennen könnte. Na ja, zumindest fast ...