Stories_Berkeley Mather - Das Gold von Malabar

Die großen Alten

Von den 50er Jahren bis Anfang der 80er gab es eine Reihe britischer Thriller-Autoren, die fast mit jedem Buch in den Bestsellerlisten landeten und ihre Romane wie geschnittenes Brot verkauften. Heute sind sie fast vergessen. Martin Compart erinnert sich an Berkeley Mather.    08.10.2014

Die britischen Nervenkitzler schrieben Abenteuer-Thriller, gelegentlich auch Geheimagentenromane, und brachten dem Leser die entferntesten Schauplätze zwischen zwei Buchdeckeln ins Haus. Oft schwang noch die Wehmut über den sterbenden britischen Kolonialismus mit, aber genauso oft auch ein Hauch progressiver Erkenntnisse. Exotische Länder, fremdartige Kulturen und Naturkatastrophen waren als Hintergründe dieser Pageturner genauso wichtig wie farbige Charaktere - wobei der Protagonist, häufig auch der Ich-Erzähler, der Typ Outdoor-Brite war, der mit Hartnäckigkeit, Durchsetzungskraft und Cleverness einst das Empire errichtet hatte. Gemeint sind Autoren wie Alistair MacLean, Hammond Innes, Desmond Bagley, Alan Williams, Duncan Kyle, Gavin Lyall, Jack Higgins, Francis Clifford, Victor Canning, Geoffrey Jenkins und so weiter.

Und natürlich Berkeley Mather.

Berkeley Mather (1909-1996) war ein Pseudonym des in Australien aufgewachsenen John Evan Weston-Davies. Seine Jugend ist geheimnisumwittert, und Mather selbst sorgte durch falsche Informationen für Verwirrung. Als er 20 Jahre alt war, hatte er seinen Militärdienst in Australien absolviert und begann sich in der Welt herumzutreiben, bis er in London landete. Bereits Ende der 1930er begann er zu schreiben und verkaufte die ersten Geschichten an Londoner Zeitschriften. Er trat 1932 in die britische Armee ein, wechselte später in die indische Armee und kämpfte im 2. Weltkrieg. 1938 heiratete er Kay Jones, mit der er drei Kinder hatte; sie verstarb 1991. Nach der indischen Unabhängigkeit wechselte er zur königlichen Infanterie, wo er bis zu seinem Ruhestand 1959 diente. Da er als aktiver Soldat nicht veröffentlichen durfte, wählte er "Berkeley Mather" als Pseudonym. 1954 wurde er an MI6 ausgeliehen und ging im Auftrag des britischen Auslandsgeheimdiensts nach Kairo. Unter der Tarnung eines Teppichhändlers sollte er ein Mordattentat auf den damaligen ägyptischen Premierminister Naguib vorbereiten helfen (das Attentat fiel aus, da Naguib von Nasser unter Hausarrest gestellt wurde).

An seinem 50.Geburtstag erschien sein erster Roman, The Achilles Affair, der ein kleiner Erfolg wurde. Mit seinem nächsten Thriller, The Pass Beyond Kashmir, wurde er dann richtig erfolgreich, und sowohl Ian Fleming als auch Erle Stanley Gardner schrieben begeisterte Rezensionen. Mathers Romane standen sogar in der Bibliothek von Ernest Hemingway.

 

 

 

Neben den Hardcore-Fans dürfte sein Name auch Cineasten geläufig sein. Mather schrieb die Drehbücher zu den Filmen "Genghis Khan", "The Long Ships" und "Dr. No". Ian Fleming selbst hatte angeregt, daß Mather das Drehbuch zum ersten Bond schreiben sollte. Es existierte bereits ein Script, das er dann überarbeitete. Dummerweise lehnte er eine prozentuale Beteiligung am Film ab und entschied sich für ein buyout.

Die Bond-Produzenten Saltzman und Broccoli kauften die Rechte von "The Pass Beyond Kashmir" und planten eine Verfilmung mit Sean Connery und Honor Blackman. Bereits 1956 hatte Mather begonnen, für Fernsehserien zu schreiben; u. a. verfaßte er eine Folge für "Mit Schirm, Charme und Melone" ("The Avengers") und zwei Folgen für "Tennisschläger und Kanonen" ("I Spy"). Bereits Mitte der 1950er Jahre hatte er seine erste TV-Serie entwickelt: "Tales From Soho"; Hauptperson war Inspector Charlesworth, der zur Titelfigur einer weiteren Serie wurde. Produziert hatte "Tales From Soho" der noch unbekannte Tony Richardson. Anfang der 1960er Jahre war Mather zusammen mit Ted Willis der meistbeschäftigte TV-Autor. Er schrieb eine 30-Minuten-Folge in acht bis zwölf Stunden. Für seine Fernseharbeiten erhielt er 1962 eine Auszeichnung der Crime Writers Association.

Seine drei letzten Romane waren eine zeitgeschichtliche Familiensaga, bekannt als "Far Eastern Trilogy". Mather starb 1996, und einer seiner Söhne arbeitet derzeit an einem Buch über das "Familiengeheimnis”.

 

 

Es ist schwierig, einen einzigen Roman Mathers als seinen besten herauszugreifen. Der Mann konnte keine schlechten Bücher schreiben. Mit Sicherheit ist Das Gold von Malabar (1967) ein Meisterwerk, ein Klassiker des Asien-Thrillers, wunderbar geschrieben und heute noch genauso lesbar und fesselnd wie zum Zeitpunkt seiner Erstveröffentlichung.

Der Seemann und Herumtreiber O´Reilly erzählt darin seine Geschichte in der ersten Person. Das fängt damit an, daß er er wegen Schmuggels und Totschlags im Knast von Goa landet und ihm dort ein sterbender Weißer ein Amulett, einen Kontakt und kryptische Worte hinterläßt. O´Reilly solle fliehen, empfiehlt er ihm, und am "Tor von Indien" den Mönch Nu Pah aufsuchen. Die Flucht gelingt ihm schwer verletzt, und er gelangt auch nach Bombay und trifft Nu Pah ("Er ist kein Mönch mehr. Er kleidet sich nur so, wie die Tippbetrüger, die sich beim Rennen als Jockeys ausgeben"). Bis dorthin hat der Roman schon Tempo, aber jetzt geht eine Flucht- und Verfolgungsgeschichte los, die einen nicht mehr aus den Fängen läßt. Alle Parteien sind hinter einem holländischen Goldschatz her, den die Japaner am Ende des Zweiten Weltkriegs in Goa gebunkert haben (siehe auch "Golden Lily" in meinem Blog über das japanische Raubgold).

O´Reilly und Nu Pah gehören zu den unvergeßlichsten Antihelden des Thrillers - wie auch ihre Antipoden. Zum Beispiel der englische Colonel, den Mather eines Joseph Conrad würdig beschreibt: "Der Colonel war Treibgut, am indischen Strand zurückgeblieben, als die britische Flut abebbte."

Mather schreibt manchmal wie Somerset Maugham auf Speed. Ohne das Tempo herauszunehmen, gelingen ihm immer wieder wunderbare Bilder und Beschreibungen des Subkontinents. Man spürt die tiefe Kenntnis des Landes. Wer das Buch anfängt, wird es auf einen Sitz durchlesen. Thriller von dieser Qualität sind selten geworden. Sie bezeugen das ganze Elend der aktuellen Spannungsliteratur. Da kommt kaum ein Roman unter 500 Seiten daher, ist noch dazu schlecht geschrieben, voller retardierend-breitgetretenem Quark und so aufregend wie Markus Lanz beim Kärtchenablesen. Mather muß nicht lange und quälend die Psychologie und Vorgeschichte seiner Personen beschreiben, sondern verdeutlicht die Charaktere in ihren Handlungen. Vielleicht ist auch das ein Grund, weshalb Hemingway zu seinen Lesern gehörte.

 

Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie ich "Das Gold von Malabar" in der Ullstein-Abenteuer-Reihe neu herausbrachte. Jörg Fauser suchte sich in meinem Büro seine Urlaubslektüre für einen Zypern-Trip zusammen und griff sich auch dieses Buch - aber eher skeptisch. Als er zurückkam, war er von der Lektüre immer noch hingerissen und schwärmte davon, was der Roman für eine tolle Filmvorlage wäre, für einen Abenteuerfilm mit Sean Connery oder Michael Caine, mit John Huston als Regisseur; ein würdiger Nachfolger der Kipling-Verfilmung "The Man Who Would Be King".

Mather schrieb auch Geheimagenten-Thriller. Drei Romane um Idwal Rees und seinen Helfer, den blutrünstigen Paschtunen Samaraz, drei Romane um John Wainwright und zwei über Peter Feldham. Wobei The Terminators Rees und Wainwright zusammenbringt, um für den britischen Geheimdienst - bei Mather "The Firm" genannt - den Dreck zu schaufeln. Schauplätze sind zumeist Nordindien (Kaschmir), Afghanistan, Tibet und der Himalaya. Bestechend ist immer wieder Mathers Verständnis für Land und Leute. Es sind Great-Game-Thriller, die bestens die Konfliktherde ihrer Zeit zwischen der Sowjetunion, der Volksrepublik China und dem Westen beleuchten.

Man hätte diese Bücher den verblödeten NATO-Militärs als Pflichtlektüre (zusammen mit "Flashman in Afghanistan") in die Hand drücken sollen, bevor sie ihre wenig erfolgreichen, aber dafür teuer gescheiterten Afghanistan-Feldzüge verbrachen. Liest man diese alten Romane, wird einem deutlich, mit welcher stupiden Arroganz westliche Militärbonzen vorgegangen und gescheitert sind - mit ähnlicher Dummheit wie schon zuvor die Briten im 19. Jahrhundert und die Russen in den 1980ern. All dies verdeutlicht einem der alte Berufssoldat Weston-Davis vortrefflich.

 

Martin Compart

Berkeley Mather - Das Gold von Malabar

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1996 erschienen im Ullstein-Verlag

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