Stories_Sandokan/Part 2

Auf den Spuren Sandokans

Bevor es mit den Sandokan-Filmen weitergeht, setzt sich SPRECHBLASE-Chefredakteur Gerhard Förster mit Emilio Salgari, dem Autor der Romanvorlagen, und der historischen Figur auseinander. Wohl bekomm´s!    26.10.2016

Wer erinnert sich nicht an den wilden malaiischen Piraten mit den (geschminkten) Glutaugen? Sandokan stand für Abenteuer und Exotik wie kein zweiter zu seiner Zeit. SPRECHBLASE-Chefredakteur Gerhard Förster versucht zu klären, was die Miniserie so unvergeßlich macht.

Lesen Sie hier den ersten Teil: Gepriesen sei Sandokan!

 

 

Emilio Salgari, der italienische Karl May

 

Emilio Salgari wurde in Verona am 21. August 1862 als Sohn kleiner Kaufleute geboren. Sein Traum war, als Kapitän auf große Fahrt zu gehen und exotische Völker kennenzulernen. Er zog deshalb nach Venedig und absolvierte ein nautisches Studium, wo er jedoch beim Examen durchfiel. Um seinen Traum doch noch zu verwirklichen, heuerte er kurzzeitig als Schiffsjunge an. 1883 kehrte er nach Verona zurück und begann mit dem Schreiben. Seine erste Erzählung "I selvaggi della Papuasia" ("Die Wilden des Papualandes") erschien im frisch gegründeten Blatt für Abenteuerliteratur "La Valigia" und hatte auf Anhieb Erfolg, sodaß er weitere Aufträge für Fortsetzungsromane erhielt, bei der Zeitschrift "Arena" auch einen Redakteursposten. Bald schon rissen sich die Magazine um den jungen Schriftsteller. Einmal duellierte er sich mit dem Kollegen eines Wochenjournals. Dies dürfte einer der wenigen abenteuerlichen Momente seines Lebens gewesen sein.


1889 fand der Selbstmord von Salgaris Vaters statt. 1892 heiratete er Ida Peruzzi, eine Laienschauspielerin, die ihm im Laufe der Jahre eine Tochter und drei Söhne gebären sollte. Die Familie wechselte häufig ihren Wohnort, damit Salgari seinem jeweiligen Verleger nahe sein konnte. 1893 ließ er sich in Turin nieder. Von 1893 bis 1897 war Salgari Mitarbeiter verschiedener Jugendzeitschriften.

In diesen Jahren begann er für den Verlag Donath in Genua, der ihm einen Vierjahresvertrag angeboten hatte, den Malaienzyklus, der ihn allgemein bekannt machen sollte. 1883-84 entstand "La Tigri della Malesia" ("Der Tiger von Malaysia"), die erste Episode, als Fortsetzungsserie, die 1900 in Buchform als "Le Tigri di Mompracem" ("Die Tiger von Mompracem") herauskam. 1887 lief die zweite Episode "I misteri della Jungla Nera" ("Das Geheimnis des schwarzen Dschungels") als Fortsetzungsserie (1895 in Buchform) und 1892-93 die dritte, "I pirati della malesia" ("Die Piraten von Malaysia") als Fortsetzungsserie (1896 in Buchform). Leider wird die Reihenfolge oft vertauscht. Insgesamt umfaßt der Malaienzyklus elf Bände.

1898 entstand "Il corsaro nero", der erste Band des fünfbändigen Korsarenzyklus. 1906 löste er seinen Vertrag mit Donath und schloß einen etwas einträglicheren mit Bemporad in Florenz ab.

Er begann einen Wildwest-Zyklus, doch private Probleme machten ihm zunehmend zu schaffen. Trotz seines enormen Erfolgs litt er unter finanziellen Schwierigkeiten. Die Einnahmen seiner Romane kamen vor allem den Verlegern zugute. Auch fehlte ihm die Anerkennung durch Kritiker. Vor allem aber setzte ihm die beginnende Geisteskrankheit seiner Frau zu, sodaß er 1909 einen Selbstmordversuch unternahm. Wieder genesen, stürzte er sich erneut in die Arbeit, die ihm aber zunehmend schwerer fiel.

Auch drohte er zu erblinden. Die Behandlungskosten für seine Frau verstärkten Salgaris Finanzprobleme. 1911 sah er sich gezwungen, Ida in eine Anstalt einzuweisen. Diese tragische Situation verkraftete Salgari nicht mehr. Am 25. April 1911 brachte er sich bei einem Spaziergang mit einem Rasiermesser nach Art des japanischen Seppuku (Harakiri) um. Er hinterließ einen Brief an seine Kinder und einen an seine Verleger, von denen er sich verraten fühlte. Er klagte sie an, daß sie sich an ihm bereicherten, seine Familie und ihn aber in einem Zustand der Fast-Armut hielten. Zwei Werke, darunter der elfte Band des Malaienzyklus, erschienen posthum. Salgari hatte 85 Romane und 130 Kurzgeschichten verfaßt.

 

Sandokan hat wirklich gelebt

 

Der reale Sandokan lebte im 19. Jahrhundert im Norden Borneos am Fluß Kinabatangan, vermutlich in Melapi. In den historischen Schriften Borneos wird Sandokan allerdings zumeist Sandokong oder Sandukung genannt, nur selten Sandokan. Seine Familie, die in späteren Zeiten nach Sandakan (!) übersiedelte, stellt den "ur-borneoschen" Adel dar. Ihren Reichtum verdankt sie der Entdeckung von Vogelnesterhöhlen, die sie bis heute wirtschaftlich ausbeutet (Chinesen zahlen für die Nester hohe Preise, da sie eine Delikatesse darstellen, die als geleeartige Masse zubereitet wird). Die Höhlen hatte Sandokan gefunden. So manche einheimische Legende rankt sich um Sandokans Entdeckung und die Absicherung der Höhlen gegenüber dem Zugriff des mächtigen Sultans von Sulu.

In Marudu, einem 200 Kilometer von Sandokans Heimat entferntem Ort, den Emilio Salgari als Geburtsort seines Helden angibt, tritt der reale Sandokan in späteren Jahren wieder in Erscheinung, als Freund und Kampfgefährte von Syarif Osman, der gegen die Briten in die Schlacht zieht. Osmans Festung in Marudu galt damals als das wirtschaftliche und gesellschaftliche Zentrum des Landes. Osmans Banner war die rote Flagge mit dem Tigerkopf, die bei Salgari zu Sandokans Piratenflagge wurde. Sandokan soll die Festung des damals sehr einflußreichen Syarif am 19. 8. 1845 gegen die Briten verteidigt haben. Er war allerdings nicht siegreich, und die Festung wurde schließlich von den Briten zerstört.

In Limau-Limawan, das im Norden der Bucht von Marudu liegt, ist Sandokan als ein Seeheld in Erinnerung geblieben, der das Meer von Sulu bis zur Malakka-Straße beherrscht haben soll. Was mit dem historischen Sandokan nach der Schlacht von Marudu geschehen ist und ob er sich auf Mompracem niedergelassen hat, ist ungeklärt. Salgaris Sandokan-Romane setzen 1849 ein, mit Ereignissen, die an die Geschehnisse von 1845 erinnern. Die malayische Insel Mompracem hat es entgegen früherer Annahmen tatsächlich gegeben. Diesen Namen hatte die Nachbarinsel von Labuan (!), wie alte Landkarten vom 16. bis zum 19. Jahrhundert eindeutig belegen. Ausgiebige Recherchen ergaben, daß sie mit der heutigen Insel Keraman identisch ist.

 

Die Infos zu diesem Beitrag verdanken wir Bianca Gerlich, die Sandokans Leben vor Ort erforschte und das Buch „Marudu 1845“ schrieb. Mehr ist auf ihrer sehr informativen Homepage zu finden.

 

Zur Fortsetzung ...

 

 

Gerhard Förster

Emilio Salgari - Sandokan: Die Tiger von Mompracem


Nachdem "Sandokan - Die Tiger von Mompracem" 2009 in einer exzellenten Neuübersetzung im Wunderkammer-Verlag erschien, ist nun die preiswerte Taschenbuchausgabe aus dem Unionsverlag erhältlich. Unglaublich, wie drastisch die alte, für ein junges Publikum konzipierte Fassung von Ravensburger (1977) gekürzt war. Etwa die Hälfte des Inhalts fehlte. Das sorgfältig editierte Buch enthält auch zwei lange Sachartikel, nicht jedoch die Originalillustrationen, die sowohl bei Ravensburger als auch im Wunderkammer-Band enthalten sind.

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