Stories_George MacDonald Fraser

Road to Nowhere

Wenn der "Flashman"-Erfinder seine Memoiren zu Papier bringt, geizt er weder mit wunderbaren Anekdoten noch mit spitzzüngigen Seitenhieben gegen die Weltpolitik.    03.10.2006

Der fünfte Jahrestag des 11. September wurde hinreichend abgefeiert, Bush durfte mal wieder den "entscheidenden ideologischen Kampf des 21. Jahrhunderts" beschwören, und in den Libanon sind sogenannte "robuste Friedensmissionen" unterwegs. Im Neudeutsch politischer Korrektheit heißt das: Es darf geballert werden. Nur wird das hierzulande kein Mensch so direkt aussprechen.

Der englische Schriftsteller George MacDonald Fraser tut es trotzdem - und fürchtet keine Konsequenzen! Nicht nur anläßlich des unseligen Jahrestags empfiehlt sich das Lesen seiner Autobiographie "The Light´s on at Signpost", erstmals erschienen 2002, also just ein Jahr nach 9/11. Fraser erweist sich darin als die schmerzlich vermißte, klare und unsentimentale Stimme in der zunehmenden Dunkelheit eines zweiten Mittelalters.

 

Der Schriftsteller, Jahrgang 1926, ist weit herumgekommen: Als 19jähriger kämpfte er unter anderem in Burma hinter den feindlichen Linien gegen die Japaner, nach dem Krieg arbeitete er als Journalist in Kanada, England und Schottland, machte sich als Drehbuchautor für Blockbuster wie Richard Lesters "Vier Musketiere", den "Octopussy"-Bond und "Superman" einen Namen und erfand als Romanautor den viktorianischen Antihelden Harry Flashman.

1969 erschien der erste Flashman-Band - für Fraser ein Ausweg aus dem Journalistendasein, das ihm ein Job als stellvertretender Chefredakteur des "Glasgow Herald" gründlich verleidet hatte.

Fraser reist für seine Romane in der Weltgeschichte herum, recherchiert sämtliche Schauplätze persönlich und ist, was die historischen Zusammenhänge und Hintergründe angeht, über die er schreibt, belesen wie heute wohl nur noch ganz wenige Menschen. Er schreibt mit Verve, Warmherzigkeit und Spannung; kraftvoll, saftig und humorvoll.

Mit "The Light´s on at Signpost" legt er eine verrückte Mischung aus Autobiographie und persönlichen Ansichten zur Welt an sich und Großbritannien im besonderen vor. Er erzählt von seinen Zeiten als Drehbuchautor und der Zusammenarbeit mit Hollywood-Größen wie Steve McQueen, Raquel Welch oder Charlton Heston. Die Insider-Storys aus der Filmwelt und die Notizen von verschiedenen Sets sind höchst unterhaltsam, aber niemals voyeuristisch. Der alte Fraser ist nämlich durch und durch Gentleman.

In scharfem Kontrast zu seinen Hollywood-Erinnerungen stehen seine Beiträge zum Weltgeschehen, gekennzeichnet durch die wiederkehrende Zwischenüberschrift "Angry Old Man". Hier ist einer richtig wütend. Wütend, weil die Demokratie im eigenen Lande mit Füßen getreten wird, wütend, weil moderne Wischiwaschi-Politiker sich nicht im geringsten um den Wählerauftrag scheren, sondern - im Gegenteil - in bester Bananenrepublik-Willkür gegen den Willen des Volkes entscheiden. Und ganz besonders zornig ist er über das blinde Hinterherrennen Großbritanniens in Amerikas idiotischem Krieg gegen den Terror.

Fraser hat für seine offenen Worte heftige Kritik geerntet - in der Presse wohlgemerkt; die treue Leserschaft nahm seine Ansichten mit Begeisterung auf. Er konnte erstmals nicht alle Leserbriefe persönlich beantworten und mußte auf einen Vordruck zurückgreifen, wofür er sich im Vorwort der Taschenbuchausgabe von 2003 ausdrücklich entschuldigt.

 

Warum man auch als deutschsprachiger Mensch das Buch vom altehrwürdigen George lesen sollte, noch dazu auf englisch? Ganz einfach: Weil sich der Mann sich nicht unter "einer Flut aufklärerischen Hohns begraben" läßt, sondern auf den Punkt bringt, was uns allen Unbehagen verursacht. Fraser befindet: Politische Korrektheit hat keinerlei Nutzwert und dient lediglich der Augenauswischerei. Er erzählt mit Wehmut - bar jeglicher Sentimentalität - von einer wirklich guten, alten Zeit, die trotz aller Härten besser, offener und demokratischer war. Zumindest in "good old England".

Der Autor fragt, ob das dreiminütige Schweigen für die rund 3000 Opfer des 11. September (die auch er zutiefst bedauert) angebracht gewesen sei, wo man doch all den Toten beider Weltkriege nicht einmal eine Minute gewidmet hätte. Er hält uns mit Recht vor, daß wir uns von Minderheiten drangsalieren lassen, daß unsere Regierungen das Format übelster Drittwelt-Regimes annehmen und daß unsere Länder beginnen, dies auch widerzuspiegeln: korrupt, schäbig, verdreckt, ungebildet, inkompetent, undemokratisch.

Klar schlägt der Mann hier und da verbal ein wenig über die Stränge, und logischerweise ist Fraser schon rein historisch bedingt kein Freund der Deutschen oder Österreicher (womit er nicht hinterm Berge hält!), aber er hat trotzdem recht mit allem, was er sagt.

Fraser fragt sich: Wieso kann die größte Militärmacht der Welt so einfach ein bitterarmes Land wie Afghanistan bombardieren, nur weil der Verdacht auf Terrorismus bzw. das Verstecken von Terroristen, besteht?

Und er konfrontiert mit unangenehmen Wahrheiten: So weist er lapidar darauf hin, daß man ja auch nicht einfach Dublin bombardiert habe, nur weil die IRA Anschläge in England verübt hat. Er denkt darüber nach, warum man die Atombombe in Japan getestet und nicht etwa Nazi-Deutschland damit ausradiert hat. Er nennt dies eine Spielart des Rassismus, das ständige Messen mit zweierlei Maß, hier der Westen, dort der Rest der Welt. Fraser wettert mit Weitsicht und berechtigter Verachtung, ob es nun um Kriegsverbrechen, Drogen oder käufliche Gerichtsbarkeit geht. Was die Zukunft betrifft, so sieht er schwarz, weist aber - ein kleiner Hoffnungsschimmer - auf den Lauf der Geschichte hin. Und da geht´s eben rauf und runter und irgendwann auch wieder rauf - vorausgesetzt, die Massenvernichtungswaffen bleiben im Schrank.

 

Nun sind wir ja keine Briten, und vielleicht fragen Sie sich, was Sie mit Old Frasers Zorn anfangen sollen. Die Antwort ist simpel: Erstens schreibt der wütende Alte mitreißend, provokant ehrlich und unterhaltsam wie kaum ein Zweiter; und zweitens geht uns in einem vereinten Europa (das Fraser übrigens auch für einen großen Schwachsinn hält) jedes seiner Themen an.

Ist "The Light´s on at Signpost" nun das Brabbeln eines senilen und sentimentalen Reaktionärs? Mitnichten. Fraser hat als weitgereister und an allen Weltläufen interessierter Veteran auf die Kriegstreiber nur eine Antwort, die er mit den paar Überlebenden seines Regiments (O-Ton: "Wir waren echte Killer!") teilt: Die Lösung findet sich immer am Verhandlungstisch, irgendwann.

Der alte Fraser erinnert an Typen wie Peter Scholl-Latour ("Straße nach Damaskus, murmel, murmel ..."). Eine rare Spezies jedenfalls, diese Haudegen, die wissen, wovon sie sprechen, wenn sie im TV nach Mitternacht mal kurz die Welt erklären dürfen.

George MacDonald Fraser jedenfalls nutzt jede Gelegenheit, Bush, Blair und Co. einen reinzuwürgen: Im neuesten Flashman-Roman "Flashman on the March" nimmt er im Vorwort Stellung zum Irakkrieg. Auch wer den neuen Flashy noch nicht gelesen hat, darf sich darauf verlassen, daß Frasers aktuellstes Statement gut und richtig und heftig sein wird. Danke! Möge er uns noch lange erhalten bleiben. Viele seines Kalibers haben wir nicht mehr. Und es ist nicht sicher, ob da noch etwas nachwächst.

Wer "The Light´s on at Signpost" lesen will, sollte sich jedenfalls schnell ein Exemplar sichern und es gut verstecken. Die "Politically-Correct Thought Police" könnte jederzeit die Tür eintreten, um es zu konfiszieren. Fraser ist jedenfalls überzeugt, daß das Orwellsche Ministerium für Wahrheit längst aktiv ist.

Anette Keiser

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(Update 5/2014)


Sein Name ist Flashman, Harry Flashman. Und sollten Sie noch nie von ihm gehört haben, bietet der deutsche Kuebler-Verlag nun die Abenteuer von George MacDonald Frasers grandiosem Abenteurer sowohl in Buch- als auch Hörbuch-Form. Martin Compart hat gelauscht.  

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