Stories_Rokko´s Adventures im EVOLVER #82

Top Secret im Todestempel

Kurt Prinz und Rokko brausen durch Inglewood im Süden von Los Angeles. Rokko weiß nicht mehr, was sie am Vortag gemacht haben - aber immerhin, daß er aus dem fahrenden Auto kotzt und sich damit am Gehsteig nur wenige Freunde macht.    23.06.2015

Rokko´s Adventures ist - so steht es im Impressum - eine "unabhängige, überparteiliche sowie übermenschliche Publikation" und "setzt sich mit Leben, Kunst, Musik und Literatur auseinander". Der EVOLVER präsentiert (mit freundlicher Genehmigung) in regelmäßigen Abständen ausgewählte Beiträge.

 

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In fragwürdiger Verfassung betreten wir gegen 11 Uhr den Tempel des Todes: eine Mischung aus psychiatrischer Anstalt, Altersheim und Hospiz. Horden verwesender Gestalten, nicht alle, aber die meisten von ihnen mit einem offensichtlichen Klescher. Reden sie nicht mit sich selbst, dann mit dem Zauberstein in ihrer Hand; wässern sie sich nicht gerade selbst ein, stehen sie lächelnd in der Zimmerecke und gießen die Topfpflanze. Den galanten Abgang haben sie nicht geschafft, und so vegetieren sie hier einzeln und doch zahlreich vor sich hin.

Frau Portier gibt uns die Zimmernummer von Goddess Bunny, die - geboren mit Penis - unter dem bürgerlichen Namen Johnnie Baima läuft bzw. jetzt in ihrem Rollstuhl sitzt. Klein, etwas verwachsen und mit Kugelbauch - aber topgestylt samt Schminke, Lippenstift, Perücke und den angeberischsten Ohrringen seit Plünderung der Maya-Pyramiden: so öffnet uns die Göttin ihre Zimmertür. Der Glamour von Hollywood lebt heute im Hospiz. Goddess Bunny ist freundlich und charmant, aber auch eine richtige Drecksau - und das im besten Sinne. Sollte man kein Bild zu ihr haben, so youtube man nach "creepy tap dancer" und genieße die Show.

In ihrem angeräumten Zimmer mit Krankenhausbett, Spiegel und Laptop hängen Gemälde von Jesus und Photos - natürlich von ihr selbst, als sie noch ein er war. Goddess Bunny öffnet die Balkontür und raucht sich eine an: Rauchverbot? Drauf geschissen.

 

Goddess Bunny: Ich bin am Santa Monica Pier auf die Welt gekommen - auf einem Karneval in einem Riesenrad. Als sie auf der Spitze waren, kam ich raus. Deswegen nenne ich mich selbst "The Original Airhead" - ´cause I was born in the sky. Ich kam drei Monate zu früh, wog kaum mehr als ein halbes Kilo und kam in den Inkubator. Hätte ich geniest, hätte ich mich selbst weggeblasen. Ich war bis zum Nacken gelähmt. Ich weiß nicht, ob es Gott oder der Heilige Geist war oder beide, aber mit sechs ging ich zu einer Gebetsstunde und wurde geheilt. Plötzlich spürte ich meine Beine und konnte gehen!

 

Rokko: Eine zweite Chance von Gott?

GB: Die meisten Leute glauben, daß Schwule Jesus nicht leiden könnten. Ich sage dann immer: "Hallo?! Ich bin religiöser als ihr!" Ich hab´ in der Bibel die Stelle gefunden, wo steht, daß es OK ist, schwul zu sein. Lies nach, Matthäus 19! Als ich meiner Mutter mit 18 gesagt habe, daß ich als Frau leben möchte, hat sie mir die Nase gebrochen.

Die meiste Zeit verbrachte ich um Los Angeles herum, San Fernando Valley und Riverside. Wir lebten in einem trailer park. Es war die Hölle. Meine Mutter machte mich verrückt. Sie hätte den Wohnwagen für mich gekauft, sagte sie. Ich meinte: "You know, mother, if you buy a mobile home, you don´t park it way the fuck out in Riverside. You bring it up to LA where I am close to my friends and they could come over.” Aber nein, sie versuchte mich davon zu überzeugen, daß es in Riverside keine Homosexualität gab. Ah, you know, it took me five seconds: I called 411: "I´m in Riverside - how many gay bars are there?” "23.” "Thank you.

Die Homos haben heute nicht mehr so viel Spaß wie früher. Now they act like straight people. I´m like: "Booooooooooriiiiiiiiiiiiiiiiiing!!!!”

Aber seit ich 22 war, war ich auf jeder Gay-Pride-Parade in San Francisco - und einmal in Texas.

 

R: Die haben sowas in Texas?

GB: Oooooh, please! Was, glaubst du, haben die Männer gemacht, wenn sie das Vieh zusammengetrieben haben? Let me tell you, they weren´t fucking sheep.

Vor sieben Jahren hab´ ich mich um das Bürgermeisteramt in Dallas beworben. Ich hab´ um vier Stimmen verloren. Hätte ich vier Stimmen mehr gehabt, würde ich noch dort leben. And I´d be rich off my ass.

Aber die USA gehen total in den Arsch.

 

R: Mhm, Detroit ist ein schöner Vorbote.

GB: Es wird viel schlimmer sein als Detroit. Das wird eher so sein wie bei den Los Angeles riots, als die Bullen freigesprochen wurden, Rodney King verprügelt zu haben. Oh honey, that was hell on earth! Die Flaschen flogen, Fenster wurden zerschlagen. Ich ging rüber zur Polizeistation - was für Feiglinge! Die hatten sich dort eingesperrt. "And you guys are police?! You fuckin´no balls bastards!" Ich ging zurück ins St. Francis Hotel, wo ich zu der Zeit wohnte. Der Hotelmanager gab mir ein Gewehr und fragte mich: "You´re not gonna use it?" And I said: "Sure I do.”

Ich ging aufs Dach, Sniper-Style, OK? Ich zielte auf die Leute unten, die da wüteten, aber ich wollte niemanden töten. Ich ging in mein Zimmer, holte meine Boxen aufs Dach, steckte das Mikro ein und sagte: "Yo! Dudes!! It´s only the beginning! Remember, they were found innocent once. It will always be appealed.” And all of a sudden people stopped fighting. They were like: "You´re right.” Everyone goes: "Pretty smart for a little shit.”

Jetzt sitzen sie noch immer im Gefängnis und können nie wieder Polizisten sein. Und im Knast sind sie gefickt. In more than one way! [laughing] ´Cause in jail, once they got in there, most of the prisoners thought: "Payback, bitch!”

 

 

R: Du warst auch mal im Knast.

GB: Ja, für Prostitution. Aber sie verhafteten mich, als ich nicht mal im Dienst war. Ich war im Morgenmantel, Lockenwickler in den Haaren, kein Make-up. Ein Typ war in meine Wohnung eingebrochen und hatte mein großes Radio gestohlen. Danach rannte ich raus auf die Straße, ein Auto blieb stehen, und ich schrie: "Fahr dem Typ nach, er hat mein Radio gestohlen!" Er sagte: "Sie sind unter Arrest - wegen Prostitution.” I said: "I´m not hooking! I´m chasing that asshole who just broke in my house!”

So it came out in court and I said: "Would you pay for this body?” "Not necessarily.”

It broke up the whole court room. They said: "Ever thought about being a lawyer?”

 

R: Statt in der Anwaltskanzlei bist du hier gelandet.

GB: Das war nicht meine Idee. Glaub mir.

Ich lebte mit Gilbert zusammen. Der hatte seinen Lustknaben und wechselte plötzlich die Seiten. Er wurde nervös und schmiß mich raus. Ich landete in einem Obdachlosenheim, wurde krank und bekam Herzprobleme. Sie fuhren mich ins Krankenhaus und sagten: "Three more days and you would have been dead.”

 

Zur Fortsetzung ...

Rokko’s Adventures

aus: Rokko´s Adventures #14


Text: Rokko

Fotos: Kurt Prinz

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