Stories_John Carpenter zum 60. Geburtstag

Die Mächte des Wahnsinns

Vor kurzem feierte der ebenso geliebte wie gehaßte Horrorfilm-Regisseur John Carpenter seinen Sechziger. Thomas Fröhlich gratuliert im Namen der EVOLVER-Redaktion - und schneidet gemeinsam mit Snake Plissken, Michael Myers und Elvis die Torte an.    11.02.2008

Oh, no, not The Carpenters!
("In The Mouth Of Madness")

 

Er ist einer der Hauptverantwortlichen:

für die Slasher-Mania der 70er, 80er, 90er und 2000er Jahre,

für den Nebel des Grauens,

für Halloween - Die Nacht des Grauens,

für gelungene Fluchten aus New York und Los Angeles, Städten des Grauens,

für Die Augen der Laura Mars,

für Michael Myers,

für Kurt Russell,

für Elvis.

 

Er ist John Carpenter - einer der wohl einflußreichsten Regisseure überhaupt, dazu Drehbuchschreiber, Produzent und Komponist. Sein filmisches Œuvre umfaßt zu 80 Prozent Horror, 10 Prozent Science Fiction, 9 Prozent Thriller und ein Prozent Musikfilm. Obwohl: Der musikalische Anteil ist in allen Carpenter-Filmen mehr als nur augen- bzw. ohrenfällig.

John Carpenter selbst sieht seine Bedeutung relativ gelassen:

 

In France, I´m an auteur. In Germany, I´m a filmmaker. In the UK, I´m a horror director. In the US, I´m a bum.

(Interview, 1998)

 

Klar: es gibt amerikanische Regisseure, deren Werk man schon zu Lebzeiten zum Kanon der Filmgeschichte zählt. Kubrick, Spielberg oder Altman waren und sind dafür ganz gute Beispiele. John Carpenter wurde diese Ehre noch nicht in jenem Ausmaß zuteil. Obwohl - Ausnahmen bestätigen die Regel: So wurde 2006 der Film "Halloween" immerhin von der United States Library Of Congress als "culturally significant" beurteilt. Doch Carpenters Filmschaffen scheint in qualitativer Hinsicht zu zerrissen. Zudem zählt er nicht gerade zu den politisch korrekten oder leicht einzuordnenden Kreativen (was im Zeitalter des Bekenntnis- und Meinungsterrors sowieso einem Marketing-Selbstmord gleichkommt).

Auf Geniestreiche wie besagten "Halloween" ("Halloween - Die Nacht des Grauens", USA 1978) oder "Assault On Precinct 13" ("Assault - Anschlag bei Nacht", "Das Ende", USA 1976) in den Siebzigern folgten Schnarchattacken wie "Memoirs Of An Invisible Man" ("Jagd auf einen Unsichtbaren", USA 1992) in den Neunzigern oder "Ghosts Of Mars" (USA 2002) im aktuellen Jahrtausend. Doch dazwischen besann Carpenter sich immer wieder seiner inszenatorischen Stärken, wie in "In The Mouth Of Madness" ("Die Mächte des Wahnsinns", USA 1995) oder seinem erst vor kurzem vollbrachten TV-Beitrag zur famosen "Masters Of Horror"-Serie, "Cigarette Burns" (USA 2005).

Sein 60. Geburtstag, der am 16. Jänner 2008 gefeiert werden durfte, stellt da vielleicht einen ganz guten Zeitpunkt dar, ein wenig Rückschau zu halten und sich jenen Mann zu vergegenwärtigen, der - nicht nur im Horrorgenre - zu den stilbildenden Filmemachern der vergangenen Jahrzehnte zählt.

 

Reality is not what it used to be.
("In The Mouth Of Madness")

 

Carpenter wurde am 16. Jänner 1948 in Carthage, New York geboren. Sein Vater Howard unterrichtete Musik an der Western Kentucky University. Seine Mutter, Milton Jean, war ebenfalls ziemlich musikbeflissen. Als der kleine John acht Jahre alt wurde, schenkte sein Vater ihm eine 8-mm-Kamera, laut John mit den Worten: "Go create something. Don´t sit around here with your thumb in your ass. Go out and do something."

Und das tat er auch. Vorbilder hatte er ja schon: den Film "African Queen" (USA 1951) von John Huston (und da im speziellen die Szenen mit den Blutegeln) zum Beispiel, oder "It Came From Outer Space" ("Gefahr aus dem Weltall", USA 1953) unter der Regie von Jack Arnold. Und natürlich Western, Western, Western! Mit 14 drehte er "Revenge Of The Colossal Beasts" - und die Hinterhof-Nullbudget-Produktion ließ schon Kommendes erahnen. Einige Jahre später besuchte Carpenter dann die University of Southern California´s School of Cinematic Arts, wo er sich in erster Linie jede Retrospektive reinzog, derer er habhaft werden konnte, und - neben seiner Tätigkeit als Rockmusiker - das Drehbuch zum Studentenfilm The Resurrection Of Broncho Billy schrieb, der 1970 immerhin den Academy Award for Live Action Short Film kassierte. Das hinderte ihn aber nicht daran, noch vor Erlangung seines akademisch abgesegneten Abschlusses das Weite zu suchen - und zwar in Richtung "echter" Filmbranche.

Carpenters erster abendfüllender Streifen, der auch tatsächlich in die Kinos kam und dort recht erfolgreich laufen sollte, war Dark Star ("Finsterer Stern", USA 1974). Gemeinsam mit Dan O´Bannon, dem späteren "Alien"-Koautor, schuf er damit nicht nur eine geglückte Parodie auf SF-Esoterik à la "2001 - A Space Odyssey" ("2001 - Odyssee im Weltall", USA 1969), sondern legte eine nachhaltig dreckig-illusionslose Variante sogenannter "bewußtseinserweiternder" Weltraumabenteuer hin, was ihm in den Castaneda-verseuchten Horten der damals florierenden Hippie-Gegenkultur eher übelgenommen wurde.

Es sollte auch nicht das letzte Mal sein, daß er in jenen Kreisen aneckte. Zur Zeit der Hochblüte des engagierten, politischen, sozial- und gesellschaftskritischen Films bekannte sich Carpenter offen zum Genre- und Studiosystem der sogenannten "goldenen Ära" der amerikanischen Traumfabrik. Es ging und geht Carpenter in seinen Filmen (auch) um eine Form von Verehrung, um eine private Respektsbezeugung gegenüber dem klassischen Hollywood der großen Studios der 40er und 50er Jahre. Carpenter liebte - und liebt - die Möglichkeiten des Genre-Kinos und zugleich dessenen vorgegebene Beschränkung auf das Wesentliche.

Die Western und Horrorfilme von Howard Hawks ("Rio Bravo", USA 1959 ), John Ford ("She Wore A Yellow Ribbon" - "Der Teufelshauptmann", USA 1949) oder Jacques Tourneur ("Cat People" - "Katzenmenschen", USA 1942) haben es ihm seit jeher angetan: Er schätzt deren ökonomische Schilderung eigenwilliger Charaktere, die nicht selten nach ihren eigenen Regeln leben - Außenseiter, für die kein Platz in einer durch und durch verwalteten Welt ist. Im Grunde waren und sind es immer wieder diese Settings, die im klassischen Western beheimatet waren. Und auch wenn Carpenter bis jetzt keinen einzigen "richtigen" Western gedreht hat, finden wir in den meisten seiner Filme unübersehbare Elemente aus jenem Genre.

 

Das gilt auch für seinen darauffolgenden Film: Assault On Precinct 13 ("Assault - Anschlag bei Nacht"/"Das Ende", USA 1976): Eine gesichtslos bleibende Jugendbande terrorisiert eine aufgelassene Polizeistation. Die Gründe dafür kennt man nicht. Drinnen haben sich die verbleibenden Polizisten sowie der Häftling eines Gefangenentransporters verschanzt - eine Situation, die an Western wie "Rio Bravo" oder "The Alamo" erinnert, angesiedelt in einer zivilisatorischen Disaster-Zone im Herzen des städtischen Amerika. Sogar die Namensgebung der Protagonisten stammt aus Western, von der Hauptperson Ethan (John Waynes Rollenname in John Fords "The Searchers" - "Der Schwarze Falke", 1956) bis hin zu "edited by John T. Chance", was in diesem Fall Carpenters Pseudonym war, da er ja schon unter seinem wahren Namen den Drehbuchautor, Komponisten und Regisseur in Personalunion stellte. John T. Chance war wiederum der Name des "Duke" John Wayne in "Rio Bravo".

Hier drehte also ein Fan Filme - und zwar, anders als Tarantino und Konsorten, mit Respekt und offensichtlicher Liebe zu den Vorbildern.

Der mit 100.000 Dollar budgetierte "Assault" wurde - nach einem Jahr des Dahindümpelns, nicht zuletzt aufgrund übler Kritiken - 1977 zum ersten wirklich durchschlagenden Erfolg Carpenters. Danach ging alles ziemlich schnell:1978 sollte zu Carpenters Jahr werden. Gleich drei Filme unter seiner Ägide erblickten das Licht der Leinwände und Bildschirme. Er drehte fürs Fernsehen die nicht unspannende Hitchcock-Hommage "Somebody´s Watching Me" ("Das unsichtbare Auge", USA 1978) mit Lauren Hutton als Stalking-Opfer in einem Hochhaus, schrieb das Drehbuch zum hervorragenden Irvin-Kershner-Film "The Eyes Of Laura Mars" ("Die Augen der Laura Mars", USA 1978) mit Faye Dunaway in der sinistren Titelrolle, und brachte nicht zuletzt jenen Film in die Kinos, der Heerscharen an Epigonen nach sich zog und den wohl erfolgreichsten Serienkiller aller Zeiten ins Leben rief: Michael Myers.

Der Film heißt natürlich Halloween ("Halloween - Die Nacht des Grauens", USA 1978) und läßt sich nur mit einem Wort umschreiben: Kult. Und zwar richtig. (Lesen Sie dazu die ausführliche EVOLVER-Story "Halloween revisited".)

John Carpenters "Halloween" war mehreres in einem: ein überaus packender, langsam und effizient Spannung aufbauender Thriller, die Geburtsstunde des Teenie-Slasher-Films gängiger Prägung, die Inthronisation des wahnsinnigen Serienmörders als schaurige und dennoch akklamierte Figur der Popkultur - und der Startschuß zu insgesamt (bis jetzt) neun "Halloween"-Vehikeln, von denen in acht Filmen Herr Myers im Mittelpunkt steht (und mit denen Carpenter bis auf den zweiten Teil wenig bis nichts zu tun hat). Das Slasher-Pionierwerk ist ein wunderschöner Low-Budget-Thriller, der mehr auf suspense denn auf graphic violence setzt, dessen von Carpenter komponierten Soundtrack man - einmal gehört - garantiert nie mehr vergißt, und der den Kritikern damals aus ideologischen Gründen überhaupt nicht schmeckte. Das ultimativ Böse ist in "Halloween" eben nicht resozialisierbar, und selbst der geduldigste Gutmensch beißt sich an Michael die Bio-Zahnpasta-gestählten Zähne aus. All dies stellte zur Zeit des von "fortschrittlichen" Alt-68ern und Kumpanen durchgeführten "Marsches durch die (Kultur-)Institutionen" einen ordentlichen Affront dar.

 

1979 verwandelte Carpenter Kurt Russell in der TV-Produktion Elvis ("Elvis - der Film", 1979) in Elvis. Nein, besser: Russell war Elvis. Zwei Jahre nach dem Tod des King schuf Carpenter ein Biopic mit einer unglaublichen Intensität, als hätte er nie etwas anderes getan.

Da hatten sich zwei gefunden, die einander wahrscheinlich nie gesucht hatten: Legte Carpenter immer großen Wert darauf, "links" zu stehen (was auch immer er darunter versteht), so ist Russell bekennender Rechtskonservativer (was auch immer er darunter versteht). Beiden gemeinsam sind die Ablehnung staatlicher und gesellschaftlicher Zwangsvorschriften und ein gewisser Individualanarchismus - etwas, was sie später in ihren beiden Kollaborationen "Escape From New York" ("Die Klapperschlange", USA 1981) und "Escape From L. A." ("Flucht aus L. A.", USA 1996) schlagkräftig unter Beweis stellen sollten.

 

Hatte Carpenter 1980 seinen famosen Old-School-Horrorfilm "The Fog" ("The Fog - Nebel des Grauens") erfolgreich herausgebracht, so sollte er 1981 eine Blaupause für apokalyptisch anmutende Action-Filme schaffen. Gleichzeitig entwickelte er gemeinsam mit Kurt Russell einen zynischen Leinwand-(Anti)-Helden, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hatte: Snake Plissken. Der Name des Films: Escape From New York.

Zur Handlung: In einem zum Gefängnis umfunktionierten New York hat ein Häftling (Snake eben) 24 Stunden Zeit, den mit einem Flugzeug abgestürzten Präsidenten der Vereinigten Staaten, einen jämmerlichen Feigling, aus den Händen entmenschter Verbrecher zu befreien. Der Film zeigt kaputte Stadtlandschaften, ebensolche Einwohner und einen Helden, der sich wortkarg und illusionslos durch eine Welt kämpft, die es im Grunde gar nicht verdient hat, gerettet zu werden. Das Styling durch den Comic-Künstler Möbius tat sein übriges, um eine Anti-Utopie heraufzubeschwören, die an Eindringlichkeit bis heute nichts verloren hat.

Auch die - schwarzhumorig gefärbte - Fortsetzung aus dem Jahre 1996, "Escape From L. A.", der eine ähnliche Story-Prämisse zu Grunde liegt, besitzt großen Unterhaltungswert, die bewußt billigen, ja schäbigen Effekte eingeschlossen. Leider floppte diese "Flucht aus L. A." - im Gegensatz zum bei Publikum und Kritik überaus erfolgreichen ersten Teil - trotz Russells gelungener Darstellung eines etwas gealterten, aber immer noch unbeugsamen Plissken und einer witzigen Geschichte um einen christlich-fundamentalistischen US-Präsidenten, Möchtegern-Revoluzzer und political correctness im Zeitalter des rien ne va plus.

Doch in den frühen Achtzigern war für Carpenter und Russell die Welt noch in Ordnung - und so legten sie gleich eins drauf: ein Remake des Howard Hawks/Christian Nyby-Films "The Thing From Another World" ("Das Ding aus einer anderen Welt", USA 1951).

Man setzte auf aufwendige Produktion, die Musik von Ennio Morricone und ein eisiges Setting, das allein schon Gänsehaut aufsteigen lassen sollte. Dazu kamen Spezialeffekte vom Latex-Guru Rob Bottin - und das alles gekoppelt mit einer scheinbar einfachen, jedoch beim genaueren Hinsehen ziemlich doppelbödigen Story: In einer vom Rest der Welt abgeschotteten Polarstation macht sich ein Alien breit. Das wäre an sich noch nicht so schlimm - doch besitzt dieses Alien die unangenehme Angewohnheit, Menschen gleichsam "übernehmen" zu können. Niemand weiß, wer noch ein Original ist und wer nicht.

All das klingt heute vielleicht ein wenig abgelutscht, ist aber in Wahrheit ein SF-Horror-Kammerspiel vom Feinsten. The Thing ("The Thing - Das Ding aus einer anderen Welt", USA 1982) heißt das Ding - und leider war ihm damals bestenfalls ein Achtungserfolg beschieden. Das Publikum mochte in jenen Tagen eher knuddelige E. T.s Marke Spielberg - die "namenlose Bedrohung", die auch ein H. P. Lovecraft zu schätzen gewußt hätte, konnte sich zu dieser Zeit nicht so recht durchsetzen. Inzwischen wird der Film dank Video und DVD zu Recht als Klassiker gehandelt und ist wahrscheinlich einer der ganz seltenen Fälle, wo das Remake das Original tatsächlich in den Schatten stellt.

Nach der kommerziell erfolgreichen, heute allerdings ziemlich schal schmeckenden Auftragsarbeit "Christine" ("Christine", USA 1983), einer Stephen-King-Verfilmung um ein "teuflisches" Auto, machte sich Carpenter im Auftrag von Michael Douglas an die SF-Romanze "Starman" ("Starman", USA 1984) mit Jeff Bridges als verliebtem Außerirdischen. Die Kritiker überschlugen sich vor Begeisterung, Bridges bekam den Oscar, doch das Publikum zog es vor, fernzuleiben. Warum, läßt sich rückblickend schwer sagen, handelt es sich doch um ein hervorragend gemachtes Rührstück, das sowohl beim Phantastik- wie auch beim Mainstream-Publikum einschlagen hätte müssen. Doch vielleicht war es wirklich zuviel verlangt, nach "E. T. - The Extraterrestrial" ("E.T. - Der Außerirdische", USA 1982) nun einen männlichen Außerirdischen vorzufinden, der auch dem Geschlechtsverkehr nicht abgeneigt war.

 

Wie auch immer, John Carpenter fand im alten Spezi Kurt Russell den Spießgesellen für seinen nächsten Streich: die zum Teil recht witzige Horrorkomödie Big Trouble In Little China ("Big Trouble In Little China", USA 1986). Eine Mischung aus Horrorelementen, Hongkong-Flair und komischer Action schwebte ihnen vor; das Ergebnis offenbarte sich allerdings als ein wenig halbgar, weder Fisch noch Fleisch - und Carpenter, der sich diesmal sehr viel von Studiobossen dreinreden lassen mußte, hatte fürs erste von Big-Budget-Produktionen genug und beschloß, wieder das zu drehen, was er am besten konnte: Independent-Horror, der keine Gefangenen macht.

Mit Prince Of Darkness ("Fürsten der Finsternis", USA 1987) gelang ihm dies auch - mehr oder weniger. Die Geschichte um eine verfluchte Kirche irgendwo in einer Abbruchgegend, Prophezeiungen aus der Zukunft und eine glibbrige Flüssigkeit, die offenbar eine Manifestation des Antichristen darstellt, ist zwar selten blöd, bietet aber hübsche Details, die das wacklige Konstrukt namens Drehbuch sauber zusammenhalten. Und Alice Cooper in der Rolle eines bösartigen Sandlers, der unter anderem einem Radfahrer zeigt, was man mit dessen Gefährt sonst noch alles tun kann, sollte man gesehen haben. Einige hübsche Grauslichkeiten mit Insektenschwärmen sowie eine glaubwürdig (wirklich!) zelebrierte Atmosphäre des Eingeschlossenseins der Protagonistinnen und Protagonisten (inkl. unser aller Donald Pleasance) tragen dazu bei, einen unterhaltsamen Film zu garantieren.

Meisterwerke sehen allerdings anders aus.

 

Auch nicht wie They Live! ("Sie leben!", USA 1988) übrigens ... Die Idee von den Außerirdischen, die unter dem Mäntelchen "harmloser" Werbeplakate, TV-Sendungen und dergleichen unterschwellige Botschaften an eine ahnungslose Menschheit absondern ("Kaufe!", "Konsumiere!"), um diese zu versklaven, könnte geradezu von Orwell stammen. Hinzu tritt ein beherzter Held der Arbeiterklasse, der hauptberufliche Wrestler "Rowdy" Roddy Piper, der mittels magischer Sonnenbrillen die sublimen Verlockungen wie auch die wahren Fratzen der Außerirdischen durchschaut, die - als Manager, Busineßfrauen und Politiker - unerkannt unter uns weilen: ein immer noch aktueller Eintrag ins Buch antikapitalistisch orientierten Filmschaffens. Daß sich Carpenter dann allerdings mit Endlosprügeleien im Bud Spencer/Terence Hill-Stil aufhält, versteht bis heute niemand. Wunderbare Sprüche wie "I have come here to chew bubblegum and kick ass ... and I´m all out of bubblegum!" können nicht darüber hinwegtäuschen, daß hier eine nette Story, die für eine gelungene Folge der "Twilight Zone" gepaßt hätte, auf Spielfilmlänge gestreckt wurde.

 

In Sachen Kapitalismus-/Globalisierungskritik ist der ganze Zinnober jedoch immer noch stimmiger und aufschlußreicher als das durchschnittliche Feuilleton der Berufs-Betroffenheitsjournaille unserer Tage.

Über die Großproduktion "Memoirs Of An Invisible Man" ("Jagd auf einen Unsichtbaren", USA 1992) darf man getrost den Mantel des Schweigens breiten. Chevy Chase als - unfreiwillig - Unsichtbarer kaspert zwar nicht in dem Ausmaß, das sein Name befürchten läßt, dennoch kann sich der Film nicht zwischen Komik, Tragik oder Action entscheiden. Im Endeffekt ist´s von allem nichts.

Nach einem mittelmäßigen Beitrag für den Episodenfilm "Body Bags" ("Body Bags", USA 1993) sollte John Carpenter zwei Jahre später noch einmal zu Top-Form auflaufen: mit der vielleicht einzig gelungenen Lovecraft-Hommage der Filmgeschichte - auch wenn der Name des Einsiedlers aus Providence, Howard Phillips Lovecraft, kein einziges Mal fällt.

Vorhang auf für: die Mächte des Wahnsinns!

 

In The Mouth Of Madness ("Die Mächte des Wahnsinns", USA 1995) beginnt in einer Nervenheilanstalt, in die gemeine Menschen den Versicherungsdetektiv John Trent (Sam Neill) einweisen. Dann hebt eine Rückblende an: Trent soll einen verschwundenen Horrorschriftsteller ausfindig machen, dessen Bücher, so sagt man, die Menschen im wahrsten Sinne des Wortes um den Verstand bringen. Die Reise führt Trent in einen auf keiner Landkarte eingezeichneten Ort namens Hobb´s End - und dort begegnet er dem Grauen schlechthin und gelangt zur Erkenntnis ultimativer Ausweglosigkeit.

"In The Mouth Of Madness" ist wohl einer der nachhaltig wirkendsten Horrorfilme überhaupt und hat nichts von seiner Faszination verloren. Ein geradezu universeller Schrecken macht sich hier breit - in einer Konsequenz, von der das heruntergekommene zeitgenössische US-Horrorkino Äonen entfernt ist. Daß dies im Entstehungsjahr nicht gebührend gewürdigt wurde, stellt eine der ewigen Ungerechtigkeiten der Menschheitsgeschichte dar, denen man auch die Schuld an der Akklamation filmischen Mittelmaßes à la Haneke oder Tarantino bei gleichzeitiger Ignoranz des herausragenden Schaffens von Könnern wie etwa Gerald Kargl oder Richard Stanley geben darf.

 

Nach diesem Geniestreich kehrte wieder einmal gepflegte Routine im Hause Carpenter ein: Mit Village Of The Damned ("Das Dorf der Verdammten", USA 1995), im selben Jahr wie "In The Mouth Of Madness" gedreht, lieferte Carpenter ein braves Remake des auf der Vorlage von John Wyndham basierenden Sixties-Horrorstreifens gleichen Namens von Wolf Rilla ab. Mit Christopher Reeve in der Rolle eines (im Original von George Sanders gespielten) Kleinstadtlehrers, der sich mit einer Gruppe alienesker Schüler herumärgern muß, bis ihm nur noch ein einziger, brachialer Ausweg bleibt ... Nicht, daß man ihm das im Hinblick auf real existierende Schülerbestien krummnehmen müßte - aber ein wenig spannungsarm und lustlos inszeniert wirkt "Village Of The Damned" leider schon. Und man fragt sich, wozu der Aufwand letztendlich betrieben wurde, da die production values des Films eigentlich recht ordentlich sind.

Nach dem sträflich unterschätzten "Escape From L. A." machte sich John Carpenter 1998 - endlich - an seinen ersten Vampirfilm: den auf einem Roman von John Steakley basierenden Vampires ("John Carpenter´s Vampires", USA 1998), mit James Woods als Vampirjäger und Maximilian Schell als durchtriebenem Kardinal. Nach den schicken Designer-Vampiren mit ihrem von der Leinwand kübelweise ins Publikum triefenden Selbstmitleid (two words: Anne Rice) tat es gut, wieder einmal richtig fiese Blutsauger-Arschlöcher auf der Leinwand bewundern zu dürfen.

Die Handlung: Im amerikanischen Hinterland jagt Woods mit seinen Mannen Vampir-Desperados - und zwar auf eine Weise, die jedem Splatter-Fan das Blut im Mund gerinnen läßt. Zugleich ist dies wohl einer jener Filme, die Carpenters Zuneigung zum Western wunderschön unter Beweis stellen. Zwar geriert sich der Film gegen Ende immer obskurer (die Erklärungen für Vampirismus sind noch dämlicher als in "Wes Cravens Dracula" von 1999), aber wer das Zerschnetzeln von Vampiren zu Morricone-artigen Klängen goutiert, kommt hier voll auf seine Kosten. Operation geglückt, alle Patienten tot!

Um eine Leiche (allerdings nicht einmal untot, sondern tot tot) handelt es sich bei John Carpenters nächstem Streich: Ghosts Of Mars ("Ghosts Of Mars", USA 2001) ist ein völlig mißglückter SF-Horrorthriller, den nicht einmal die ansehnliche Natasha Henstridge retten kann. Wenn bei diesem Film Drogen im Spiel waren, müssen das verdammt schlechte gewesen sein.

 

Doch es wäre nicht John Carpenter, wenn er sich nicht wieder selbst aus jenem Sumpf ziehen würde, in den er - aus welchen Gründen und durch wessen Schuld auch immer - gesunken ist. Für die weitgehend großartige US-Pay-TV-Reihe "Masters Of Horror" stellte er einen Beitrag zur Verfügung, der ihn wieder als den auswies, der er sein kann: ein Master Of Horror. Der einstündige Film heißt Cigarette Burns ("Cigarette Burns", USA 2005) und ist eine fulminante Hommage ans Kino und an den Horrorfilm im besonderen: Einem Mann auf der Suche nach einem (angeblich) Verderben bringenden Film entgleitet nicht nur langsam sein Verstand, sondern sein ganzes Leben. Mit Udo Kier in einer der Hauptrollen ist "Cigarette Burns" auch äußerst adäquat besetzt.

2006 kam dann für die zweite Staffel der "Masters Of Horror"-Reihe noch der effektive Kindergebär-Alptraum Pro-Life (USA 2006) dazu - nicht unbedingt zum Gaudium militanter Abtreibungsgegner und deren ideologischer Geschwister im Geiste, der Republikaner.

 


"I´m scared!"
"There´s nothing to be scared of."

"Are you sure?"

("Halloween")

 

Privat führt John Carpenter (wie die meisten, die erfolgreich mit ihren Alpträumen hausieren gehen) ein ruhiges und unauffälliges Leben. Von 1979 bis 1984 war er mit der Schauspielerin Adrienne Barbeau verheiratet (aus der Beziehung ging ein Sohn, John Cody Carpenter, hervor); 1990 ehelichte er die Produzentin Sandy King - eine Ehe, die bis heute hält.

Sein Einfluß auf andere Regisseure, von Roberto Rodriguez über Rob Zombie bis Guillermo del Toro, ist Legion. Remakes von Carpenter-Werken sind beinahe an der Tagesordnung, von gelungen ("Assault on Precinct 13") bis komplett daneben ("The Fog"). Der Gerüchteküche zufolge soll in naher Zukunft Gerard Butler im geplanten "Escape from New York"-Remake in die Fußstapfen Kurt Russells treten.

Carpenter selbst arbeitet zur Zeit an zwei weiteren Filmen (natürlich Horror, was sonst) - und man darf ernsthaft darauf gespannt sein, da bei ihm wirklich alles möglich ist.

Sicher ist nur eines: John Carpenter zählt zu den spannendsten, widersprüchlichsten und eigenwilligsten Regisseuren der Gegenwart. Das ist mehr, als man über die meisten seiner Zunft sagen darf. Und das wird sich auch so schnell nicht ändern.

 


"Got a smoke?"
"The United States is a non-smoking nation! No smoking, no drugs, no alcohol, no women - unless you´re married - no foul language, no red meat!"
"Land of the free ..."

(aus "Escape From L. A.")

Thomas Fröhlich

Filmtip 1: Halloween

ØØØØ 1/2

Halloween

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Kleiner Mann - ganz groß

 

Er ist der längstdienende Serienkiller der Filmgeschichte. Angetan mit einer Gesichtsmaske und versehen mit spitzen Gegenständen aller Art, schlitzte sich Michael Myers in die Herzen der Zuseher. Anläßlich Rob Zombies aktueller "Halloween"-Variante erzählt Thomas Fröhlich, was bisher geschah - in der Nacht des Grauens. Lesen Sie dazu die ausführliche EVOLVER-Story.

Links:

Filmtip 2: Die Klapperschlange

ØØØØØ

(Escape from New York)

Leserbewertung: (bewerten)

Die Blaupause für apokalyptische Action. Und die Erschaffung des Antihelden Kurt Russell.

Links:

Filmtip 3: Die Mächte des Wahnsinns

ØØØØØ

(In the Mouth of Madness)

Leserbewertung: (bewerten)

Carpenter goes Lovecraft. Die süßeste Versuchung, seit es das namenlose Grauen gibt.

Lesen Sie dazu das EVOLVER-Porträt über den Einsiedler aus Providence.

Links:

Buchtips


Ian Conrich & David Woods - The Cinema Of John Carpenter: The Technique of Horror

 

224 Seiten stark, aus dem Verlagshaus B & T: etwas akademisch, aber SEHR informativ.

 

Gilles Boulenger - John Carpenter

 

Knapp 300 Seiten hochinteressanten Gesprächsstoff gibt es in dieser Doppel-Conférence mit dem Altmeister des Schreckens. Lesen Sie dazu den ausführlichen EVOLVER-Review.

 

Links:

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