Stories_Nachruf: Ken Takakura

Rest in Peace, Tanaka-san!

Vor kurzem ist mit Ken Takakura einer der bekanntesten und beliebtesten japanischen Schauspieler von uns gegangen. Wir erinnern uns an den Mann, der nicht nur im Land der untergehenden Sonne eine lebende Leinwandlegende war, sondern auch im US-Kino Herrschaften wie Robert Mitchum, Michael Douglas oder Tom Selleck in japanischer Etikette unterwies.    21.11.2014

 

Seinen ersten großen Auftritt hatte der Schauspieler Ken Takakura in dem Gefängnisfilm "Abashiri Prison" (1965). Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits zehn Jahre für das Studio Toei gearbeitet; seinen Durchbruch erlebte er aber erst als abgebrühter Gangster, der bei Minustemperaturen am nördlichsten Zipfel Hokkaidos seine Strafe absitzen muß. Gleich in einer der ersten Szenen erfährt man, nach welchen Kriterien sich hier die Hackordnung bildet: Die Gefangenen sitzen im Kreis und erzählen von ihren Missetaten. Vergewaltigung, Raub und Mord - alles ist dabei. Und je länger die Strafe ist, die man absitzen muß, desto höher auch das Ansehen. Der von Takakura verkörperte Protagonist spielt nur im Mittelfeld, kann sich in dieser Männerwelt aber ohne Schwierigkeiten behaupten. Doch man sollte sich vom Image des harten Hundes nicht in die Irre führen lassen. Takakura wird im Westen zwar gern als japanischer Clint Eastwood bezeichnet, seine Figuren sind aber häufig vielschichtiger angelegt als die des amerikanischen Kollegen.

 

 

Sehr deutlich zeigt sich das in "Abashiri Prison", der auf Stanley Kramers "Flucht in Ketten" basiert, dabei aber stark in der japanischen Kultur verwurzelt ist. Er zählt zum Subgenre des ninkyo eiga, was zwar für gewöhnlich als Yakuza-Film übersetzt wird, eigentlich aber "Film über Ritterlichkeit" bedeutet. Wie schon in älteren Samuraifilmen (jidaigeki) hält ein strenger Ehrenkodex die Protagonisten von ihrem Glück ab. Das Problem der Helden besteht darin, daß sie an einem nicht lösbaren Konflikt zwischen Pflicht (giri) und Gefühl (ninjo) zerbrechen. Takakura verkörpert dieses Dilemma in "Abarashi Prison" auf eindrucksvolle Weise. Mit jeder neuen Rückblende offenbart sich, daß sich hinter der Fassade des unerschrockenen Draufgängers ein gebrochener Mann verbirgt, der selbstlos für das Wohl seiner Familie kämpft. Takakuras Talent bestand darin, beide Seiten dieser zwiespältigen Persönlichkeit verkörpern zu können: seine Gegner mit versteinerter Miene und entschlossenem Blick das Fürchten zu lehren und zugleich mit grenzenloser Aufopferung zu Tränen zu rühren.

 

 

Das Rollenfach des schweigsamen, aber entschiedenen Yakuzas, mit dem Takakura seine Karriere begann, sollte fast seine gesamte schauspielerische Laufbahn prägen. In Japan schlüpfte er andauernd in diese Rolle, teilweise mit bis zu zehn Filmen pro Jahr und vereinzelt auch unter der Leitung so großer Regisseure wie Yoji Yamada, Junya Sato und Kinji Fukasaku. Als das heimische Publikum dieses Images überdrüssig wurde, versuchte sich Takakura an anderen Rollen und begann parallel dazu im Westen eine zweite Karriere. In  Sidney Pollacks "The Yakuza" und Ridley Scotts "Black Rain" hauchte er der Figur des einsamen Kämpfers neues Leben ein und ließ dabei Schauspieler wie Robert Mitchum und Michael Douglas alt aussehen.

Am 10. November 2014 starb Takakura mit 83 Jahren in Tokio. Sein letzter Film "Dearest" ("Anata e") aus dem Jahr 2012 wirkt im nachhinein wie eine letzte Erinnerung an den großen Durchbruch: Er spielt darin einen Gefängnisaufseher.

 

 

 

 

Michael Kienzl

Riding Alone for Thousands of Miles

(Qian li zou dan qi)


Hongkong/China/Japan 2005/Region 2/Sony Pictures Home Entertainment

Regie: Zhang Yimou

Darsteller: Ken Takakura, Kiichi Nakai, Shinobu Terajima u. a.

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Kommentare_

tinti - 21.11.2014 : 11.25
ein schöner und informativer nachruf für eine legende.danke!

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