Stories_Punk. Dead? Maybe. Teil 1: MDC in Wien

Millions of Dead Cops

Ernsthaft: Was wurde aus Hardcore? Stephan Skrobar hat den Musikstil nicht aus den Augen verloren. Erster Teil: ein Live-Bericht und der Beginn einer unregelmäßigen Serie über Hardcore-Punkrock.    25.04.2007

Eine Blumenwiese im Frühling, Schäfchenwolken am Himmel und ein lauer Nachmittagswind. Spielende Kinder und von der Frühjahrsmüdigkeit halbgeschlossene Augen. Es riecht nach frischgepflücktem Spritzwein ... und dann knüppelt dich, gänzlich ohne Vorwarnung und vorrangig in schwarz gekleidet, ein donnernder Frachtzug mit ziemlich gnadenloser Geschwindigkeit nieder und räumt dir die depperten Frühlingsgedanken aus dem Kopf.

So ungefähr fühlt sich Punkrock, Unterabteilung Hardcore an. In ein paar Miniaturen soll dieser prächtigen Subkultur anhand von Beispielen nähergerückt werden. Diese Ausführungen sind natürlich keineswegs als allgemeingültig zu betrachten; sie sind nicht mehr und nicht weniger als eine deskriptive Aufarbeitung einzelner Bands, Personen und Strömungen - ein paar Ausschnitte von einem Stück Musikgeschichte eben.

 

Die Geschichte unserer ersten Miniatur beginnt Ende der 70er Jahre. Zu einem Zeitpunkt, als unser ehemaliger Finanzminister noch seinen Schäferhund gestreichelt hat, schrieb Dave Dictor anläßlich des Ablebens eines berühmten Hollywood-Schauspielers den Klassiker "John Wayne Was A Nazi". Seine (Dictors, nicht Waynes) Band Millions of Dead Cops (MDC, vormals Stains) gibt es seit 1979. Zu dieser Zeit kam Hardcore in Nordamerika als eine Art Bastard des UK-Punkrock und des US-Glamrock auf. Gern und vollkommen zu Recht wird hier auf die Germs und Darby Crash verwiesen, die mit Glam-Attitüde erstmals lupenreinen HC abgeliefert haben. Hörempfehlung eins also: The Germs - Lexicon Devil.

Dazu aber ein andermal mehr - jetzt zurück zu MDC. Unschwer läßt sich aus dem Namen ihre (sagen wir´s einmal vorsichtig) "kritische" Einstellung zur Exekutive herauslesen. Auch Song-Titel wie "No More Cops", "Dead Cops (I und II)" sind da nicht wirklich zweideutig. In der in ganz Nordamerika aufkommenden Hardcore-Szene zu Beginn der achtziger Jahre galten MDC als politisch radikaler als ihre Kollegen. Das Akronym MDC liest sich denn auch wie ein Handbuch für den Neoanarchisten: Abgesehen von Million of Dead Cops bedeutet es nämlich auch Multi-Death Corporation, Millions of Dead Children, Male Dominated Culture und Magnus Dominus Corpus (Liste nicht vollständig)

Knapp 30 Jahre später steht Dictor als - heute wie damals - Sänger von MDC auf der Bühne im Wiener Tüwi und macht seine Sache als personifizierte Hardcore-Legende verdammt gut. Im Vergleich zu Dictor sieht sein nur unwesentlich älterer Berufskollege Iggy Pop aus, als wäre er der jüngsten "Dove"-Werbung entsprungen. Und der ist ja auch keine Knabe, der sich die ... räusper ... "Wellness" auf die Fahnen geheftet hat. Doch die Energie ist die alte, die Wut auf alles, was Gott zugelassen hat (Religion, Staat, Rassismus), lodert ebenfalls noch fröhlich vor sich hin, auch wenn sich ein verschmitztes, altersbedingtes Schmunzeln ins Ackergesicht von Dave Dictor gelegt hat.

 

Das Konzert selbst war genauso, wie man sich ein Hardcore-Konzert wünscht: überschaubares Publikum, allesamt in Kleidung, die bei Tageslicht im öffentlichen Verkehr Blicke auf sich zieht. (In anderen Worten: rund 60 Leute, in zerrissenem G´wand). Die ganz bösen Barackca aus Ungarn, die ebenfalls das Anprangern in den Mittelpunkt ihres Werkens gestellt haben, fungieren als Vorgruppe. Zwar klappt es bei ihnen musikalisch nicht immer so, aber das macht in diesem Genre nix - und soll es vor allem nicht.

MDC verwandelten danach das Tüwi in einen Endbahnhof, in den sie frachtzuggleich ohne Stehenbleiben hineindonnerten. Bist du deppert! In nicht einmal einer Stunde spielten sie schätzungsweise 800 Lieder (großartig: "Going Nowhere Fast", "Chicken Squawk") und entließen das Publikum mit einer neuen Frisur rechtzeitig zum letzten Bus.

Herr Dictor hat, und das soll jetzt einmal ganz objektiv betrachtet werden, eine nicht uninteressante Lebensgeschichte - jedenfalls bis jetzt. Sein Weg schlängelte sich durch das wirre Unterlaub des Hardcore und knabberte jahrelang am Drogenbaum - und zwar hart -, bis er auf der Lichtung der akademischen Weiterbildung ankam. Heute ist Dave außer böser HC-Bube auch lizenzierter und mit Master´s Degree ausgezeichneter "Special Education"-Lehrer. Da schaut der Punk, und der Rocker wundert sich. Ganz und gar nicht unschnell waren auch die Herren an den Instrumenten, allen voran X-Con Ron an der Gitarre. Daher gleich unsere Hörempfehlung Nummer zwei: The Stains - John Wayne Was a Nazi.

In der nächsten Folge soll das Thema Hardcore-Punkrock anläßlich der längst überfälligen Österreich-Premiere des Films "American Hardcore" etwas allgemeiner betrachtet werden. Dann fallen endlich Namen wie Black Flag, Minor Threat, Dead Kennedys, Hüsker Dü und dergleichen - im Wissen darum, daß die Liste an erwähnenswerten Gruppen nie vollständig genug sein kann.

Der Autor dieser Zeilen hat besagten Film übrigens auch noch nicht gesehen, doch wenigstens das ganz brauchbare Buch von Steven Blush gelesen - und noch ein Summen im Ohr vom MDC-Konzert. Danke, Dave!

Stephan Skrobar

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