Stories_The Prisoner/PS

Von Nummern und Menschen

Im vierten und letzten Teil unserer "The Prisoner"-Serie berichtet SPRECHBLASE-Mastermind Gerhard Förster über die innige Feindschaft zwischen den Schöpfern von "Nummer 6". Wir übergeben das Wort an George Markstein und Patrick McGoohan.    29.05.2015

Mehr als eine Nummer ... Lesen Sie in Teil 1, Teil 2 und Teil 3 dieses Artikels alles, was Sie über die Entstehungsgeschichte von "The Prisoner" wissen sollten.

 

Sämtliche Zitate entstammen Beiträgen der sehr zu empfehlenden "Nummer 6"-Fanpage  www.match-cut.de, die auch auf deutsch zu lesen ist. Die meisten Aussagen von George Markstein wurden einem Artikel von Roger Langley auf der Homepage entnommen, die Zitate von Patrick McGoohan den Interviews von Bill King (1985; Aussage zu John Drake und ein weiteres, im Inhalt ausgewiesenes Zitat), Simon Bates (1990; ein im Inhalt ausgewiesenes Zitat) und vor allem Warner Troyer (1977; sämtliche anderen Zitate).

 

 

 

George Markstein

 

... darüber, ob Nummer 6 John Drake ist:

Selbstverständlich war er John Drake. McGoohan war bloß zu geizig, Tantiemen zu bezahlen, darum hieß er Nummer 6.

Ich wollte den Gefangenen ursprünglich John Drake nennen, da er nach meiner Vorstellung den Dienst quittiert hatte, so wie auch Pat zurückgetreten war und mit "Danger Man" aufhörte. Dann wird er in das "Village" geschafft und ist dort "der Gefangene". Das war die Idee. McGoohan war begeistert davon. Doch dann schrie er: "Mein Gott, John Drake! Das heißt, wir müssen an Ralph Smart (Anm.: Erfinder der Figur John Drake) Tantiemen zahlen!"

 

... über Patrick McGoohans Leistung:

Patrick McGoohan hat die Neigung, alles an sich zu ziehen, was er tut. Ja, so war es, er hat alles übernommen. (...)

Natürlich hat McGoohan viel dazu beigetragen; er war Nummer 6. Er war ein ausgezeichneter Schauspieler mit immensen Fähigkeiten. Aber er war auch ein Egomane. Mit ihm zu arbeiten war schwierig. Manches von dem, was er geschrieben hat, ist so schlecht, wie es meine Schauspielkünste wären. Und er ist zunehmend vom Kurs abgekommen. In den Episoden "Die Glocken von Big Ben" und "Herzlichen Glückwunsch" wird die Verwicklung der Außenwelt erkundet und auf die Welt jenseits des Ortes verwiesen. Und doch kehren wir immer wieder zur Ausgangssituation zurück.

 

... über seinen Abgang nach Folge 13:

Ich ging. Deshalb wurde es albern. Eine gewisse ordnende Hand wäre nötig gewesen.

 

... über die Frage "Wer ist Nummer 1?":

Hierzu können wir kein direktes Zitat anbieten, aber eine Aussage von Roger Langley, laut der Markstein behauptete, daß Nummer 1 in praktisch jeder Episode zu sehen sei. Damit meinte Markstein sich selbst in der Cameo-Rolle des stets gleichbleibenden Serienvorspanns (Markstein spielte den Vorgesetzen McGoohans bei dessen Kündigung). Falls Markstein es ernst gemeint hatte, würde das auch erklären, warum in der Serie nie jemand den Vorgesetzten nach dem Kündigungsgrund befragt. In einem nicht mehr aktuellen englischen Wikipedia-Eintrag wurde Näheres über Marksteins Vorstellung vom Ende der Serie berichtet. Er soll das Konzept bereits entwickelt gehabt haben, doch als er die Produktion im Zuge der Streitigkeiten mit McGoohan verließ, wurde die Idee verworfen.

Demnach hatte Nummer 6 noch als junger Agent einen Plan ausgearbeitet, wie man mit Agenten im Ruhestand, die ein potentielles Sicherheitsrisiko darstellten, verfahren sollte. Sie sollten an einem sicheren Ort - unauffällig und gut abgeschirmt - ihren Lebensabend verbringen dürfen. Jahre danach entdeckt Nummer 6, daß man seinen Plan in die Tat umgesetzt, zugleich jedoch pervertiert hat. Aus einem wohlgemeinten Rückzugsraum für nicht mehr benötigte Agenten war ein Vernehmungs- und Gefangenenlager geworden. Nummer 6 inszeniert nun seinen Rücktritt vom Dienst, in der Annahme, daß man ihn dann zu diesem Ort bringen würde. Seine Absicht ist, das Funktionsprinzip des "Village" zu verstehen und einen Weg zu finden, es von innen her zu zerstören. Doch dann kommen ihm Zweifel: Aufgrund der großen Zahl von Agenten verschiedenster Nationalitäten ist er nicht mehr sicher, welche Seite denn nun der Betreiber des "Village" ist.

Ob diese bodenständige Erklärung die Zuschauer mehr befriedigt hätte als die von Patrick McGoohan? Sie ist jedenfalls mit der Idee, daß der Vorgesetzte des Agenten in Wahrheit Nummer 1 ist, durchaus kompatibel.

 

... darüber, daß McGoohan den ganzen Ruhm einheimste:

Von Drehbuchautoren will niemand etwas wissen. Schauspieler verkaufen dem Publikum eine Serie. Einer der Gründe für meinen Ausstieg war, dass McGoohan als einziger die Anerkennung für die kreative Leistung erhielt - für die Idee und das Konzept eines anderen.

 

 

 

 

Patrick McGoohan

 

... darüber, ob Nummer 6 John Drake ist:

Nein! Er hatte keinen Namen, er wurde bloß Nummer 6 genannt. Es wurde niemals gesagt, womit er seinen Lebensunterhalt verdiente - nur, daß er ein Geheimnis hatte, das sie wissen wollten. Und daß er sich zurückgezogen hatte. Man erfuhr jedoch nie, wovon er sich zurückgezogen hatte.

 

... über die Entstehung der Serie und den Geldgeber Lew Grade:

Ich hatte 54mal "Danger Man" gespielt und dachte, das wäre eine angemessene Zahl. Ich ging deshalb zu dem Gentleman Lew Grade, dem Finanzier, und sagte ihm, daß ich mit "Danger Man" aufhören und etwas anderes anfangen wollte. Das mochte er aber nicht. Es wäre ihm lieber gewesen, wenn ich damit ewig weitergemacht hätte. Ich sagte ihm aber, ich würde aufhören. Also fragte er: "Was ist der Plan?" Das war anfangs nur am Telefon, also traf ich ihn am Samstagmorgen um 7 Uhr. Das war immer die Zeit für unsere Unterhaltungen. Und er fragte wieder: "Was ist der Plan?"

Für die "Prisoner"-Sache hatte ich schon einen Entwurf vorbereitet. Ich war ursprünglich darauf gekommen, als wir uns wegen "Danger Man"-Aufnahmen in einen Ort namens Portmeirion begaben. Für mich war das ein außergewöhnlicher Ort, architektonisch und atmosphärisch, den man doch für etwas benutzen sollte. Das war zwei Jahre, bevor ich das Konzept entwickelte. Ich bereitete es vor und ging zu Lew Grade. Ich hatte Photos von dem Ort und einen Entwurf dabei, aber er sagte nur: "Ich will den Entwurf nicht lesen." Er meinte, er lese nie Entwürfe, er könne nicht lesen, nur abrechnen. Und dann: "Also, worum geht es? Erzähl´s mir." Ich erzählte ungefähr zehn Minuten lang, dann stoppte er mich und sagte: "Ich verstehe kein Wort von dem, was du da redest, aber wieviel soll es kosten?" Komischerweise hatte ich schon einen Finanzplan dabei. Ich sagte es ihm, und er meinte: "Wann kannst du anfangen?" Ich sagte, am Montag, mit den Drehbüchern. Er antwortete: "Das Geld ist am Montagmorgen auf dem Konto deiner Firma." Was dann auch der Fall war.

Hier noch eine ergänzende Aussage über Lew Grade aus dem Interview von Bill King: "Er ließ mich unbehelligt seit dem Tag, als wir uns die Hand gegeben haben und sagten 'Los geht´s.' Wir haben nie einen schriftlichen Vertrag gemacht. Es ging alles per Handschlag. (...) Und an einem Wochenende setzten ich und diese beiden anderen Kerle (George Markstein und David Tomblin) uns hin, strengten unsere Köpfe an und dachten uns Ideen für zehn weitere Storys aus. Und dann heuerten wir Autoren an, um sie auszuarbeiten. Ich habe ebenfalls einige geschrieben ...

 

... darüber, wie er den Autoren das Konzept der Serie erklärte:

Es war sehr schwierig, weil sie Gefangene ihrer Konditionierung waren. Sie waren gewohnt, für "The Saint" ("Simon Templar") und "Danger Man" zu schreiben. Wir haben auch ein paar unterwegs verloren. Ich hatte ungefähr 40 Seiten geschrieben, eine Art Geschichte des "Village" ... die Telefone, die man dort hat, die Kanalisation, das Essen, Personen- und Warenverkehr, die Grenzen, eine Beschreibung des Ortes, jeden Aspekt. Sie erhielten Kopien davon, dann haben wir darüber gesprochen, sie weggeschickt und gehofft, sie würden mit brauchbaren Ideen zurückkommen.

 

... über die Reaktionen nach der Erstausstrahlung des Finales:

Man dachte, es gäbe so einen James-Bond-Typ (McGoohan meint Bonds Gegenspieler) von Nummer 1. Als man es gesehen hatte, gab es beinahe einen Aufstand, und man wollte mich lynchen. Ich mußte mich zwei Wochen in den Bergen verstecken, bis die Dinge sich beruhigt hatten. Wirklich!

 

... darüber, wie er die Empörung der Zuschauerempfand:

Ich war entzückt. Es ist wunderbar, wenn die Leute genug fühlen, um sauer zu werden. Sie haben ein Recht darauf. (...) Wenn sie ohne Verstand und Gefühl herumlaufen, dann ist das schlecht. Dann kommt es zu Spannungen.

Dann wird schnell eine Bande daraus, wie Adolf Hitler sie hatte ...

 

... darüber, ob Nummer 1 (der sich am Schluß als identisch mit Nummer 6 entpuppt) die dunkle Seite der menschlichen Natur verkörpert:

Wer ist diese Nummer 1? Wir sehen immer nur die diversen Nummer 2s, seine Handlanger. Doch am mächtigsten ist diese übergeordnete böse Kraft in uns selbst, glaube ich, dagegen müssen wir ständig angehen. Deswegen habe ich Nummer 1 zum Abbild von Nummer 6 gemacht, seiner anderen Hälfte, seinem Alter ego.

 

... darüber, ob ihm von Anfang an klar war, wer Nummer 1 ist:

Nein, war es nicht. Eine interessante Frage ... (Interviewer: Wann wurde es Ihnen klar?) Kurz vor der letzten Episode, und die hatte ich noch nicht geschrieben. Ich mußte mich an diesem furchtbaren Tag hinsetzen und sie schreiben. Und ich wußte, daß sie nicht wie aus James Bond werden würde. Irgendwo in meinem Kopf gab es eine Parallele zwischen den Charakteren 6 und 1 und dem Rest. Ich wußte es nicht genau, bis ich zu einem Drittel durch das Drehbuch war - durch das letzte Drehbuch.

 

... über die zweifache Demaskierung von Nummer 1 (zuerst als Affe, dann als Nummer 6):

Die Sache mit dem Affen geht auf verschiedene Theorien zurück, daß wir alle von einem Uraffen abstammen, also habe ich das als Symbol verwendet. Die Bestie und dahinter das andere Gesicht einer Bestie, lachend, höhnisch und plappernd wie ein Affe.

 

... darüber, daß die Entlarvung von Nummer 1 so schnell ging, daß sie viele Zuschauer gar nicht mitbekamen:

Das war Absicht. Ich meine, man hätte es auch gut zwei Minuten lang zeigen können, mit einem Untertitel, auf dem steht: "Er ist es!" (Gelächter) Aber ich wollte mich dieser niedrigen Mentalität, die nicht verstanden hat, was ich zu sagen versucht habe, nicht anbiedern.

 

... darüber, was Nummer 6 mit seiner neugewonnenen Freiheit am Ende der Serie anfangen wird:

Die hat er nicht, das ist der Punkt. Als die Tür von selbst aufgeht und niemand dahinter ist (Anm.: am Schluß, als er heimkehrt), auf dieselbe Weise, wie alle Türen im "Village" sich öffnen, weiß man, daß da drin jemand wartet, um alles von vorne beginnen zu lassen. Er hat keine Freiheit. Freiheit ist ein Mythos.

Hier noch eine ergänzende Aussage aus dem Interview mit Simon Bates, die auch McGoohans religiöse Einstellung zeigt: "Nein, er ist nie entkommen. Ich meine, Sie sind Gefangener von irgendetwas, jedermann ist Gefangener von irgendetwas, man entkommt, wenn man durch den Tod befreit wird, schätze ich. Der ist die endgültige Befreiung. Wie und wohin man dann kommt und was danach geschieht, hängt davon ab, welche Art Gefangener man war. Man kann gleichermaßen ein Gefangener und frei sein - wenigstens auf Bewährung."

Gerhard Förster

Nummer 6

(The Prisoner)


Koch Media (GB 1967)

DVD Region 2

892 Min. + Zusatzmaterial, dt. Fassung oder engl. OF

Regie: Patrick McGoohan u. a.

Darsteller: Patrick McGohaan, Guy Doleman, Leo McKern u. a.

Links:

Kommentare_

nr6de - 05.06.2015 : 14.30
Gratuliere, Gerhard! Jetzt bist Du reif fürs Village. Wir sehen uns dort!

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