Stories_Reisebericht Zypern, Teil III

Dünen, Wildesel und Polyesterschnitzel

Weitab vom verblassenden Trubel des Massentourismus gibt es in Zypern ein Stück dessen zu entdecken, was vom Paradies übrig ist: einen Traumstrand, wo die Riesenschildkröten ihre Eier ablegen - zwischen Tonnen von Plastikmüll. Dritter und letzter Teil des Zypern-Reiseberichts.    19.06.2014

Zypern konfrontiert den Urlauber in der Nebensaison mit allerlei Ungemach: leere Tavernen, kaum frisches Essen, Hotelruinen und Geisterstädte, durch die der Wind pfeift, vor sich hinschimmelnde, unverkaufte Reihenhäuser. Noch dazu werden Sparguthaben enteignet, und die Jugend trauert dem verlorenen Wohlstand nach. Ein Stück Beinahe-Paradies findet sich dennoch - jenseits der EU-Außengrenze. Ein Lokalaugenschein von Klaus Hübner. Lesen Sie hier den ersten Teil: "Urlaub auf der Geisterinsel"


Golden Beach, Karpaz, Türkische Republik Nordzypern

 

Als wir nach langer Fahrt über verschlungene Seitenstraßen und unter Zuhilfenahme einiger höchst irreführender Straßenkarten endlich zu einem der wenigen Grenzübergänge kommen, heißt es zuerst einmal zahlen. Das Visum kostet nichts, aber eine Autoversicherung schlägt mit 20 Euro zu Buche. Die westliche Versicherung gilt nämlich nichts im türkischen Zypern. Alles in allem aber war das Erreichen des Grenzübergangs das größte Problem. Er ist nirgendwo ausgeschildert, und es empfiehlt sich höchste Konzentration, damit man auch wieder zurückfindet.

Nahe der Grenze gestaltet sich der türkische Teil Zyperns durchaus recht widerlich. Nationalistische Holzköpfe scheinen nicht müde zu werden, an jedem neuralgischen Punkt eine vulgär dimensionierte Flagge Nordzyperns aufzuhängen. Die sieht aus, als hätte man die türkische Nationalflagge per Photoshop invertiert - weiß mit roten Symbolen. In Grenznähe sind die Urbanisationen genauso schäbig, unfertig und dem Verfall überlassen wie in Südzypern. Reihenhaus neben Reihenhaus gähnt leer daher. Man hat das Gefühl, die Nordzyprer wären beim Versuch, am südzyprischen Bau-Halali mitzunaschen, kläglich gescheitert.

Zum Glück liegt unser Ziel nicht im übermilitarisierten Grenzgebiet mit seinen ausladenden Kebab-Buden, Frisiersalons und pompösen 80er-Jahre-Moscheen, sondern im fernen Nordosten der Insel. Es zieht uns nach Karpaz, der langgezogenen, sehr abgelegenen und deshalb touristisch nur minimal erschlossenen Halbinsel, wo einst die türkische Invasion begann. Hier wurde uns von Reiseführern Naturbelassenheit versprochen, vor allem aber auch das letzte friedliche Miteinander von griechisch- und türkischstämmigen Zyprern.

 

 

Der Weg nach Karpaz führt vorbei an himmelschreienden Bausünden. Ein lächerlich langgezogenenes Gebäude direkt an der Hauptverkehrsstraße, über dessen Einfahrt in roten Leuchtbuchstaben die Aufschrift „Big Old Bazar“ prangt, bietet etwa 100 Mini-Geschäften Platz, aber belegt sind genau drei davon. Im Hinterland, kurz bevor man den Küstenort Bogazi erreicht, wo die Straße schmäler wird, läßt sich ein unfaßbar riesiges Hotel ausmachen, von dem nur das etwa 15stöckige Betongerüst steht und bedrohlich über die Landschaft aufragt. Es steht inmitten eines Ozeans aus halbfertigen Reihenhäusern. Auch hier weit und breit nur irreparable Landschaftszerstörung ohne Maß, Ziel und Sinn. Aber hinter Bogazi ändert sich alles. Schon zehn Kilometer weiter nördlich stehen die sanften Hügel voller Olivenbäume; Schaf- und Ziegenherden versammeln sich im Schatten großer, alter Feigenbäume; es riecht nach Wildkräutern und Meer, Zikaden lassen die heiße Luft vibrieren.

 

 

Ganz oben, am nordöstlichen Zipfel der Halbinsel, liegt der Golden Beach - der längste Strand von Zypern, sechs Kilometer lang, bis zu 500 Meter breit, eines der wenigen Mittelmeer-Refugien für die großen griechischen Meeresschildkröten, aber auch ein Reservat für Wildesel, die zurückblieben, als die griechischen Bauern vor den türkischen Soldaten Reißaus nahmen. "Burhan´s Place" heißt jener der vier touristischen Betriebe am Golden Beach, wo wir uns einmieten. Er besteht aus 20 Bungalows - mehr und anders durfte hier aus Naturschutzgründen niemand bauen. Die Anlage erinnert stark an thailändische Gebräuche, es gibt sogar einige Vietnamesinnen unter dem Personal. Die Bungalows haben alles, was man braucht, aber nicht mehr. Strom gibt es auch nur dann, wenn er wirklich benötigt wird. Das Wasser stammt aus der Entsalzungsanlage, aber es reicht immer für zwei Duschen aus. Internet gibt es maxmial für eine Stunde am Tag. Gegessen wird im einzigen Restaurant, Supermärkte oder dergleichen sind nicht vorhanden, Selbstversorger fahren mindestens eine Stunde ins nächste Dorf, genannt Rizokarpaso respektive Dipkaraz. Die ruhige, leicht heruntergekommene Kleinstadt ist einen Besuch wert, weil sie die letzte Bastion des friedlichen Miteinanders zwischen Muslimen und Christen darstellt.

 

 

Es folgen Tage, an denen wir stundenlang ziellos und gedankenverloren aufs Meer hinausstarren. Sonne, Sand und Salzwasser spülen unvermeidlich den Dreck der Leistungsgesellschaft aus der Seele. Der Ausblick scheint einem allein zu gehören, die Leute verlieren sich am Strand. Lesben und Schwule küssen sich hier vor aller Augen, das stört keinen. Wenn die Mittagshitze abgeklungen ist, begibt man sich zum Bad an den phantastischen Strand, den Studentengruppen regelmäßig reinigen. Das Wasser ist sehr sauber, außer das Wetter schwemmt einen Schwung klein zerriebener Kunststoffabfälle herbei. Aber richtig versaut ist es nie. Nach eineinhalb Stunden Schwimmen und einer kurzen Dusche geht´s schließlich ins zur Anlage gehörende Lokal, des einem jungen Türken namens Burhan gehört. Der Mann ist unglaublich entspannt. Und das Essen ist fabelhaft.

 

 

Der Golden Beach wird von einer kleinen, hügelförmigen Halbinsel mit ausgedehnter Dünenlandschaft in zwei Abschnitte geteilt. Der südliche Abschnitt ist unbewirtschaftet, was man an den Tonnen von Plastikmüll erkennen kann, die ihn verschandeln. Manchmal kommen Familien am Wochenende hierher, um zu grillen. Dann lassen sie ihre sämtlichen Einwegverpackungen, den Alu-Billiggriller und die Essensreste einfach stehen und liegen - es macht sowieso keinen Unterschied mehr. Zwischen halb im Sand versunkenen Tunnelfolien, Schiffsbojen, Gartenmöbelbruchstücken und PET-Flaschen liegen zahlreiche Muscheln, eine tote Seemöwe, der skelettierte Kopf einer Kuh und - Sensation! - eine tote Meeresschildkröte mit gut einem Meter Panzerdurchmesser. Sie ist halb verwest, stinkt nicht, sieht aber ziemlich abschreckend aus. Kein schöner Anblick alles in allem ... Der Traumstrand ist gleichzeitig Müllhalde, der paradiesische Schein also auch am Golden Beach ein trügerischer. Dem Konsumirrsinn kann das Naturschutzgebiet nicht entkommen.

 

 

Als wir "Burhan´s Place" verlassen müssen, endet jener Teil unseres Zypern-Aufenthalts, der wirklich die Bezeichnung Urlaub verdient hätte. Warum will die Türkei in die EU, fragen wir uns. Kann man das als grundsätzlich liberaler EU-Bürger mit einem Bewußtsein für die unbändige Kraft der türkischen Volkswirtschaft überhaupt befürworten angesichts der Bodenlosigkeit, mit der das westliche Wirtschaftsverbrechertum diese Insel zerstört hat? Es gibt darauf keine Antworten, nur unumstößliche Tatsachen: Der Plastikmüll schert sich einen Dreck um EU-Außengrenzen. Und in 3000 Jahren wird die Witterung auf Zypern die tausenden Beton-Schandmale hoffentlich soweit fortgespült haben, daß die Natur wieder eine Chance hat.

 

Einer der Wildesel auf der Halbinsel Karpaz, die einst von den Griechen zurückgelassen wurden, als die Türkei einmarschierte

 

Zum Nachwort ...

Text: Klaus Hübner, Fotos: Sylvie Fürst

Kommentare_

Judith - 19.06.2014 : 15.31
Schöne Bilder. Lange nicht so verbaut und verdreckt wie der Süden.
r.evolver - 20.06.2014 : 20.32
Klingt interessant ... danke für einen spannenden dritten Teil!
Cato - 22.07.2014 : 13.03
Diesem Teil der Trilogie kann ich aus eigener Erfahrung zustimmen!
Karin - 22.07.2014 : 14.17
Klingt ja alles paradiesisch, lieder vergesst ihr zu erwähnen warum das so ist: Nordzypern ist ein besetztes Land (erinnert sich noch jemand an die DDR). Es gibt kein Geld für eine vernünftige Infrastruktur von den ''Wirschaftswunder-Türken''. Das Land besteht größtenteil mittlerweile aus angesiedelten Anatolientürken, Militär....Eigentumsverhältnisse an Land sind ungeklärt, daher auch -wie im Süden- die vielen leerstehenden Häuser. Nordzypern ist nur die Müllhalde der Türkei und natürlich das Prestigeobjekt, das die politische Macht zeigen soll. Ein anektiertes Land, nicht einfach der Norden einer Insel!!ein bisschen billig, sich an unberührter Natur aufzugeilen, wenn man ausser Acht lässt wie das zustande kommt.wohne seit Jahren im griechischen Teil der Insel, vieles lläuft hier falsch, aber immerhin ist es ein freies Land. Die Tatsache, dass nach dem Krieg so viel Kohle ins Land geflossen ist, hat die Leute definitiv überfordert, in den Köpfen sind die meisten noch 60 Jahre zurück. Aber die spezielle Situation heir wurde von vielen Europäern u. Nicht-Europäern sehr gerne ausgenutzt um sich einen goldenene Hintern zu verdienen, auch von deutschen Banken u. Investoren und grade von denen, die jetzt so das Maul aufreissen über die zypriotische Wirtschaft. Hat die EU einen anderen Ausweg gelassen als Leuten wie Deinen Tavernenbetreibern die Kohle einfach zu stehlen??? NEIN! Hotelruinen und Geisterstädte in der Nebensaison??? Da hat jemand mit der Lupe gesucht! Geisterstädte gibt's nicht, ruhiges, normales Leben schon und es ist herrlich!!
Rate jedem im Frühling oder Herbst herzukommen, die schönsten Zeiten des Jahres, vor allem im Westen der Insel und in den Bergen. Es gibt Essen aller couleur en masse!!
Cato - 22.07.2014 : 15.08
@Karin: mit manchen Äußerungen hast Du sicher Recht, allerdings ist die Infrastruktur im Norden in den letzten Jahren ganz schön vorangerieben worden und ich habe mittlerweile den Eindruck, dass es im Norden teilweise wirtschaftlich besser funktioniert, wie im Süden.
Und was die vielen leerstehenden Häuser betrifft hat dies nicht nur etwas mit Eigentumsverhältnissen zu tun; hier könnte auch durchaus Geld gewaschen worden sein.

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