Stories_ Rokko´s Adventures im EVOLVER #71

Born for Love

Sibylle Rauch war "Playboy"-Star, spielte in "Eis am Stiel" und später in Pornofilmen. Es folgten turbulente Jahre mit ausgiebigen Höhen und Tiefen. Seit 2007 ist sie auf "Österreich-Tournee" durch verschiedene Clubs des Landes. Team Rokko setzte sich mit ihr in Wien auf mehrere Pläuschchen zusammen.    17.07.2014

Rokko´s Adventures ist - so steht es im Impressum - eine "unabhängige, überparteiliche sowie übermenschliche Publikation" und "setzt sich mit Leben, Kunst, Musik und Literatur auseinander". Der EVOLVER präsentiert (mit freundlicher Genehmigung) in regelmäßigen Abständen ausgewählte Beiträge.

 

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"Rokko, glaubst du, kommt heute noch jemand?" fragt Sibylle Rauch mit dünner Stimme und bläst die Schwaden einer Zigarette aus ihrem Mund. Sie drückt mich am Handballen und sieht mich an wie ein scheues Rehlein. Es ist kurz nach 17 Uhr, wir sitzen im "Single Treff", Nähe Südbahnhof. Der Raum ist dunkel, nicht groß, eine Bar, ein paar Tischchen, eine Tür, die in einen kleinen Gang führt: rechts sind die Toiletten, links ein Zimmerchen mit Bett. Rauch hat ein frisches Leintuch mitgenommen, für den Fall, daß. Im Lokal sitzen nur ein paar Mädchen, unterhalten sich und sehen fern. Draußen regnet es in Strömen, da bleiben die Leute zu Hause.

Sibylle Rauch ist perfekt gestylt: rote Bäckchen, tiefer Ausschnitt, hohe Schuhe. Sie ist extrem freundlich, lacht sehr viel, manchmal herzhaft, wenn sie an goldene Zeiten denkt, dann verlegen, wenn sie an einem wunden Punkt angelangt ist. Genauso stark wechselt ihre Stimme, von kräftiger Fröhlichkeit bis zu zerbrechlicher Verzagtheit. Ihr Leben ist eine wilde Achterbahn. Vor zwei Tagen erst waren wir im äußerst noblen "Beverly Hills Club" im 1. Bezirk, wo das kleine Bier 9,50 € kostet und schicke Anzugträger ihr Geld liegenlassen. Rauch tanzte dort nicht wie die anderen Mädchen, sondern kam für einen kurzen Smalltalk auf die Bühne. Im "Single Treff" geht es wesentlich legerer zu und sie wartet auf Freier.

Aufgewachsen ist die 1960 geborene Sibylle Rauch in recht bescheidenen Verhältnissen im Münchner Schlachthofviertel. "Macht ja nichts!" zwinkert sie grinsend. "Dann bin ich Anwaltsgehilfin gewesen, das war mein erlernter Beruf, den ich heute nicht mehr ausüben könnte, weil ich es verlernt habe. Du, ich weiß aus der Zeit nichts mehr." Was sie damals genau gemacht hat? "Nichts G´scheites offenbar, weil der Chef wollt mich loshaben", lacht sie kräftig. "Ich bin in der Zeit entdeckt worden vom 'Playboy', das war mir dann wichtiger als kopieren und so. Als 'Playboy'-Star in der Anwaltskanzlei ... nein! Du siehst, der Größenwahn war schon ganz früh da, Rokko!" Wobei der natürlich auch von außen gezüchtet worden ist. "Ich bin beim Einkaufen entdeckt worden, da hat mich ein 'Playboy'-Photograph angesprochen. In der giftgrünen Hose und der giftgelben Bluse von Woolworth - der hat aber gesehen, daß darunter eine schöne Figur steckt. Ich war vielleicht doch eine der schönsten Playmates, weil meine Bildstrecke als eine der wenigen auch im US-'Playboy' erschienen ist. Das war sonst nur ganz selten, bei Uschi Buchfellner zum Beispiel."

Im "Playboy" glänzte Rauch 1979, 1980 folgte mit "Der Kurpfuscher und seine fixen Töchter" auch schon der Einstieg ins Filmgeschäft. Wer sie da entdeckt hatte? "Na, ich hab mich selber entdeckt! Ich war 'Playboy'-Star! Ich hab eine schöne Mappe gemacht und mich bei Produzenten beworben. Ich hab nicht daran gedacht, eine schauspielerische Ausbildung zu machen, was mir später zum Verhängnis wurde. Aber ich war ein Naturtalent und nicht unbegabt, sonst wär ich nicht von Klaus Lemke und Wolfgang Fierek engagiert worden. Und das waren keine kleinen Rollen, sondern auch wirklich schöne. Bei Lemke hab ich gespielt in 'Wie die Weltmeister' (1981) - der ist gut gelaufen im Kino! Ich hab mich bei Lemke beworben und zu ihm gesagt: Ich bin "Playboy"-Star!' - darüber mußte er erstmal lachen!" ... und jetzt lacht sie selber. Getroffen hat sich diese hippe Schwabinger Szene seinerzeit in Münchner Lokalen wie Schumanns. Ob Lemke, der bereits 1972 seinen Kultfilm "Rocker" gedreht hatte, bei den Honoraren damals wie heute nur 50 Euro alias 100 Mark tageweise bezahlt hätte? "Nein, das Honorar war richtig gut! Ich geb mich nicht mit wenig Honorar zufrieden als 'Playboy'-Star, Rokko! Ich war schon immer größenwahnsinnig! Das muß man heute so sehen."

 

Der große Durchbruch im Filmgeschäft gelang Rauch 1981 mit "Eis am Stiel 3 - Liebeleien": "Da hab ich mich auch beworben und bin aus über 100 genommen worden. Ich war der Meinung, die anderen brauch ich nicht, und wollte gleich drankommen", weswegen sie einfach durch die Schlange an Bewerberinnen nach vorne spaziert ist und auf die Wartezeit gepfiffen hat. "Ich erinner mich heut noch: 'I am the covergirl of this "Playboy" and I am the right one' ", sagte sie zum Produzenten, und der gab die Hand drauf.

Mitten in dieser Zeitreise gut 30 Jahre zurück läutet Rauchs Handy. Nicht zum ersten Mal, seit wir zusammensitzen: Sie hat eine Anzeige in der "Kronen Zeitung" mit ihrer Nummer und einem Photo geschaltet. Rauch nimmt den Anruf mit der Stimme eines jungen Mädchens entgegen: "Hallo?" deckt das Telefon kurz mit ihrer Hand ab und schaut mich an: "Tschuldige, Rokko", um danach wieder ins Telefon zu sprechen. "Ja, Schatz, ich bin im Moment besetzt und kann nicht sprechen." Sie legt auf und schüttelt den Kopf. "Wieder so einer ... 'Bist du diese Blonde da?' Da sind teilweise richtige Terroristen dabei, mit unterdrückter Nummer. Die rufen alle Nummern durch, wissen oft gar nicht mehr, wen sie schon angerufen haben und sagen: 'Ach, du schon wieder ..." " Sie zündet sich eine neue Zigarette an und schaut noch mal auf die Anzeige in der "Krone". "Gerhard vom Lokal hat gesagt, ich hätte die Adresse dazuschreiben sollen, nicht nur meine Nummer. Glaubst du, er hat recht?"

Draußen regnet es noch immer.

 

 

Spaß für die Kamera

 

1987 drehte Rauch ihren ersten Pornofilm, "Born for Love". "Das war ein Angebot von Teresa Orlowski - 100.000 Mark. Das muß man annehmen, du! Das war vielleicht mein bester Pornofilm, Rokko, vielleicht aber im nachhinein ein Fehler. Es war eine andere Zeit, weißt du ... mit den Schlagzeilen, ganz groß, sonst wär der Film auch nicht so erfolgreich gelaufen." "Born for Love" hatte Produktionskosten von etwa einer Million Mark, die locker wieder eingespielt wurden. "Andere Schauspielerinnen wie Karin Schubert haben erst Pornos gedreht, als sie älter waren. Ich hab das als junge Frau gemacht - daraufhin wollten mich die sogenannten seriösen Produzenten plötzlich nicht mehr."

Und so wurde die damals 27jährige abgestempelt: Rauch bekam so gut wie nur noch Angebote aus dem Pornobereich. Allerdings nicht für Schmuddelfilmchen, sondern für die erste Liga: "Ich hab absolut spitzenmäßig verdient, die Million war schon da! Ich hab einen Exklusivvertrag bei VTO (Verlag Teresa Orlowski) gehabt, und es ging dann so weiter: 'Im Bett mit Sibylle' (1991) - nochmal 100.000 Mark! Ich hab Gagen gehabt, die kein anderer gekriegt hätte!" Infolgedessen sollte sie auch mit Berühmtheiten wie John Holmes und Rocco Siffredi zusammenarbeiten. "Ich hab mit den weltbesten gespielt! Es gibt keinen besseren als Rocco Siffredi - das ist die Nummer 1!"

Ob das Drehen von Sexfilmen manchmal auch Spaß gemacht hätte? Rauch schüttelt den Kopf und lächelt mich an: "Wenn´s einem Spaß macht, dann entstehen keine so Superfilme, Rokko. Weil du mußt für die Kamera drehen, und das ist ein Knochenjob. Wenn es einem selber Spaß macht, kommt so gut wie überhaupt nie was fürs Publikum raus. Du mußt immer für die Kamera - in meinem Fall waren es drei Kameras - drehen, und nicht, was du gerne magst." Auf meine Frage, wie es war, Szenen zu drehen, wo sie mit drei Männern gleichzeitig zugange ist, klatscht Rauch lachend in die Hände. "Vier! Das hab ich auch gedreht, so ist es nicht! Du mußt da schon was bringen. Das war keine Überwindung, aber schon körperlicher Einsatz." Ob man vor so einer Aufgabe Poppers nimmt, um den Körper zu entspannen? Sie schüttelt den Kopf: "Mit dem ganzen Zeug kannst du mich jagen! Für mich gab es nur eine Medizin. So hab ich das genannt, 'Medizin' - und die Medizin war immer da für mich, immer die gleiche!" lacht sie, bis ihre Stimme klein wird. "Drum nehmen das so viele, Rokko, weil du kannst damit viel besser drehen, es wird alles viel leichter."

 

Ihre Medizin war Kokain. Das ganze Pornogeschäft ist davon mehr als nur bestäubt. Rauch nahm es bald nicht mehr nur zum Drehen, sondern auch außerhalb, verkehrte mit der Münchner Schickeria und ließ es knallen, so lange es ging. "Ich habe viel verpulvert! Aber ich wollte dann auch einen 8er-BMW für 165.000 Mark - da war der Rabatt schon dabei. Ein 850 CSI mit allen Extras, 12 Zylinder, das ist ein Geschoß! Und ich konnte es auch fahren. Ich konnte auch reiten und hab mir ein eigenes Pferd gekauft, nur zur Unterhaltung. Eine Ferienwohnung hatte ich auch - eine von den Sachen, die ich mir hab aufschwatzen lassen. Leider, das braucht kein Mensch! Ich hab mir eine Eigentumswohnung gekauft für über 400.000 Mark, zum Teil über Hypotheken. Na, man muß halt auch Steuern bezahlen - und das ist mir später zum Verhängnis geworden, daß da viel offen war, sag ich mal. Aber die Wohnung war super schön, München, St. Emmeram - beste Wohngegend! Ich hab die Platin American Express gehabt, und es ist immer schlecht, wenn man mir sowas gibt", lächelt sie.

Hier war allerdings noch nichts verloren. Rauch nahm gleich eine neue Herausforderung an und war von 1992 bis 1995 Herausgeberin und Gesicht der deutschen Ausgabe von "Hustler". Mit immensem Selbstvertrauen hat sie damals Larry Flint, den Oberboß des Männermagazins, angequatscht, als er in Deutschland war, und ihm erzählt, daß all die Blitzlichter und Kameras nicht wegen ihm da wären - sondern wegen ihr. So blieb sie zwar gut im Geschäft, aber die Steuerschulden waren nach wie vor offen. "Die waren schon in einer Höhe, wo gegen mich ein Strafbefehl ergangen ist. Das Blöde ist bei so Sachen, entweder du bezahlst es gleich - aber dazu hab ich das Geld nicht mehr gehabt -, oder es laufen Zwangsvollstreckungen."

Auto weg, Wohnung weg, die Millionen verpraßt. Es folgte "meine Hotel-Arie", die ab und zu auch auf den Wohnwagenplatz wechselte. "Das ist eben der Teufelskreis, Rokko. Heute weiß ich: Aus Verzweiflung und Kummer hab ich mir die dicken Schlangen reingezogen und einfach keinen klaren Kopf mehr gehabt - und das wäre das Wichtigste gewesen. Ich hätte einfach mehr arbeiten müssen, die Angebote aus dem Pornobereich und für Auftritte waren immer noch da." Rauch dämpft ihre Zigarette aus und sieht mich an: "Weißt du, Rokko, es geht oft ganz schnell. Da war ein neuer Star, Dolly Buster, und das wollte ich nicht wahrhaben. Sie war zuverlässig, ein aufgebauter Pornostar, ist nicht aus dem Filmgeschäft gekommen. Plötzlich wollten alle Dolly haben und ich habe nicht mehr diese Wahnsinnsgagen durchsetzen können. Sowas geht eben nur auf bestimmte Zeit. Es ist absolut unverzeihlich, daß ich damals, als es noch zu retten war, nichts gemacht habe." Kaum schleicht sich Traurigkeit in ihre Stimme, macht sie einen bezaubernden Augenaufschlag und gibt stolz preis: "Als eine der wenigen habe ich es auch auf den "Stern"-Titel geschafft - das muß man als Sänger, Künstler oder Pornostar erst erreichen! So seh ich das, Rokko, das kann mir heut niemand mehr nehmen."

Rauch unternahm gewagte Versuche, um sich im Geschäft zu halten: Neben zahlreichen Operationen am Busen und Eingriffen im Gesicht, die sie über sich ergehen ließ, hat sie 1996 im Pornofilm "Rauch Sisters: Double Trouble" gespielt, "mit Sylvie, meiner leiblichen Schwester." Die beiden küssen und streicheln sich, für ein geschwisterliches Verhältnis wird es bald zu intim und explizit. "Aber man muß dazusagen, daß das eine freiwillige Entscheidung auch von meiner Schwester war. Sie wollte das viele Geld auch!" lacht Sibylle Rauch. "Immer das gleiche, Rokko! Aber das hat mich schon Überwindung gekostet, weißt du. Ich war der Meinung, Sylvie sollte es nicht machen, weil da war mein Patenkind schon da. Sylvie hat im Gegensatz zu mir drei Kinder. Das war noch in einer Zeit, wo ich gut verdienen konnte, Rokko, das hätte auch noch gut ausgehen können bei mir. Wie wir alle wissen, ist es halt nicht so."

1997 hat Rauch einen Selbstmordversuch unternommen, "größere Sache, ich wollte nicht mehr, es hat mir gereicht".

 

Zur Fortsetzung ...

Rokko’s Adventures

aus: Rokko´s Adventures #11

(erschienen im Juli 2012)


Text & Interview: Rokko

Fotos: © Ursula Röck

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