Stories_Porträt Tom Torn

Tom - allein zu Haus

Er wird die internationale Krimilandschaft mit einem Riesenknall verändern. In den USA gehört der Autor von "Der gute Polizist" schon zu den Größen der Literaturszene und ist weit über die Genregrenzen hinaus bekannt. Nun steht er kurz davor, Europa zu erobern. Dem EVOLVER hat er seine neue Short story "Deutsches Institut" exklusiv überlassen. Zittern Sie mit.    25.03.2009

Man muß Tom Torn wohl nicht mehr vorstellen. Der 1937 in Brooklyn geborene Torn gehört zu den größten Autoren seiner Generation, seine Romane sind Teil des amerikanischen Literaturkanons. Tom Torn ist eine lebende Legende.

Als ich Torn 1998 zum ersten Mal in seiner Wohnung in Brooklyn besuchte, arbeitete er gerade an dem Roman, der in diesem Jahr den deutschen Buchmarkt wie kein anderer erschüttern wird. Man wird wohl mit einem mittleren Erdbeben rechnen müssen. "Der gute Polizist" gilt jetzt schon bei vielen Kritikern als "Moby Dick" des Kriminalromans. Tom Torn würde dem wohl zustimmen, denn er ist ziemlich überzeugt von sich. Er hat aber auch viele Gegner, weil er sich mit einer Menge Leute immer wieder anlegt.

Für Torn ist es nichts Neues, daß er für seine Schreiberei und seine Meinung angefeindet wird. Selbst viele der eingefleischten Torn-Fans tun sich zum Teil schwer mit den eher konservativen Ansichten ihres ansonsten so verehrten Lieblingsautors. Torn selbst schert sich kaum um solche Meinungen. Er hat ja seine eigenen, wie er immer wieder gerne grinsend bekennt.

Er lebt wie eh und je mit seinen Katzen und seiner Waffensammlung. Die Ehefrauen kommen und gehen. Torn aber sitzt weiterhin stur in Brooklyn und zimmert an seinen Romanen. Man kann ihn mit guten Gewissen als "leidenschaftlichen Schriftsteller" bezeichnen. Er selbst würde das wohl auch unterschreiben.

Anläßlich der Veröffentlichung von "Der gute Polizist" mache ich mich auf einen weiteren Besuch zu ihm auf. Torn empfängt mich mit der obligatorischen Zigarette zwischen den Lippen. Nachdem ich ihn überzeugen kann, daß ich mich bei ihm angemeldet habe und wirklich für ein Magazin namens EVOLVER schreibe, läßt er mich fluchend rein. Er schiebt mich in seine Küche und kramt aus dem Schrank einen Blechnapf, den er mit Milch füllt. So viel zu den Verwirrungstaktiken Torns. Für einen Moment denke ich tatsächlich, er würde ihn mir unter die Nase stellen. Zum Glück habe ich mich da geirrt. Der war natürlich für seine Katzen. Ich bekomme einen Blechnapf mit Whisky.

Aber bei Torn muß man mit allem rechnen. Das können diverse Gäste bestätigen - von der mittlerweile verstorbenen Susan Sontag, die er als "Lesbe" titulierte und rausschmiß, bis zum Frontman der Gruppe Oasis, den er ebenfalls als "Lesbe" beschimpfte und aus seiner Wohnung beförderte. Als ich ihn darauf anspreche, lacht er los und meint, ich solle nicht alles so ernst nehmen, was in den Zeitungen über ihn geschrieben werde. Er sei ein ganz umgänglicher Bursche; da könne eigentlich nichts passieren. Wenn ich ihm nicht blöd käme, würde mir mit ziemlicher Sicherheit nichts geschehen. Während ich noch darüber nachdenke, was Torn als "blöd" definiert, wirft er mir ein Manuskript hin. Als ich ihn frage, was das sei, gibt er mir zu verstehen, daß ich es lesen solle - was ich dann auch tat. Es handelte sich um die Kurzgeschichte "Deutsches Institut", die exklusiv von EVOLVER veröffentlicht werden darf. Er hat kaum Bedingungen daran geknüpft. Sie solle nur von Ute Paulsen übersetzt werden, und außerdem solle ich in meinem Bericht erwähnen, was für ein ausgesprochen humorvoller Kerl er doch sei - was ich hiermit ausdrücklich tue.

Wir saßen noch eine Weile zusammen. Er sprach mit mir von seinen Plänen über einen neuen Roman mit dem Titel "Dopeopera", den er in Las Vegas mit einem wuchtigen Beginn starten lassen möchte. Immerhin soll dabei die Hälfte der Stadt in die Luft fliegen. Das hört sich natürlich wie immer spannend an, und nachdem er mir noch einige seiner Waffen zeigt und verwegen damit rumfuchtelt, bin ich zu seinem größten Fan geworden. Zumindest grinse ich ihn unablässig an und sage ihm, wie wirklich "genial" ich ihn finde. Er grinst zurück und gibt mir mit einem Klaps auf die Schultern zu verstehen, daß ich heute nicht sterben werde. Das freut mich natürlich, und mir wird dieser Besuch bei Tom Torn lange unvergeßlich bleiben, weil ich hier nicht nur auf einen der talentiertesten amerikanischen Autoren der Moderne stoßen durfte, sondern auch auf einen Psychopathen, der sich besonders gut mit William Burroughs verstanden hat. Das sagt wohl alles.

Später im Hotel bekam ich dann noch einen Anruf von ihm. Es wäre ihm lieber, wenn ich gar nichts über ihn schreiben würde. Ich solle einfach nur die Kurzgeschichte veröffentlichen. Seine Literatur solle für sich selbst sprechen. Ich versprach es ihm natürlich.

Wie man liest, habe ich mein Versprechen nicht gehalten. Das ist einfach. Tom Torn ist nicht in der Nähe. Was sollte da schon passieren? Wobei ich gehört habe, daß er auf Lesetour nach Europa kommen will. Ich denke, ich werde mir erstmal eine kleine Auszeit in Australien gönnen. Da verkauft er sich noch nicht so gut. Australien war mir eh schon immer sympathisch. Oder die Arktis ... die fand ich auch schon immer interessant. Oder die Sahara ...

 

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Deutsches Institut

 

Eine Kurzgeschichte von Tom Torn

Ins Deutsche übersetzt von Ute Paulsen

 

Etwas stach Felicitas in den Nacken. Sie schlug blitzartig mit der rechten Hand zu. Da klebte was. Sie holte ein Taschentuch und wischte über die Stelle. Dann begutachtete sie den Blutfleck. Verfluchte Viecher, dachte sie. Sie spürte ihre Beine kaum noch, weil sie seit Stunden auf den Captain gewartet hatte. Die Treffpunkte wurden immer absurder.

"Wir brauchen Sie." Der Captain trug ein gestärktes Hemd, das ihn fast zu verschlucken drohte. Er schwitzte fürchterlich.

"Sie erzählen mir da riesig viel Scheiße. Und dann sagen Sie einfach, ganz so, als wäre es das Normalste der Welt, ich solle den wahrscheinlich zukünftigen Kanzler der Bundesrepublik Deutschland eliminieren. Da hängt mehr als mächtig viel Ärger und Scheiße dran."

"Genau das sage ich. Sie sollen es tun und nicht denken." Der Captain fuhr sich mit der Zunge über seine wulstigen Lippen. Dann spuckte er weit ins Gras. Felicitas stand direkt neben ihm. Der Typ widerte sie mächtig an. Außerdem stank er nach Tabak. Sie rückte ein Stück ab und stieß gegen eine Art Weidezaun. Nur wenige Meter neben ihr rauschte ein Fluß. Wolken waren heute keine zu sehen. Es war ein klarer, freundlicher und sonniger Tag. Ein wundervoller Tag, um irgendwo am Strand zu liegen.

Sie hatte die Nachricht vor drei Tagen bekommen. Sie haßte diese Treffen. Sie haßte den Captain.

"Sie müssen das glauben, auch wenn es Ihnen schwerfällt. Die Nazis waren nie weg. Sie haben nie aufgegeben. Das Institut wurde Jahre vor dem Krieg gegründet. Die haben ihre Sache wirklich verdammt gut gemacht."

"Und wie haben Sie davon erfahren? Warum haben Sie das Institut nicht zerschlagen? Einfach alle verhaftet?" Felicitas tänzelte leicht.

"Wenn Sie pinkeln müssen, dann sagen Sie es", dröhnte der Captain.

"Und?" Felicitas wartete.

"Wir haben durch das Institut unsere besten Leute verloren. Aber in den letzten Jahren konnten wir jemanden dort einschleusen. Das Institut ist geschickt. Die treffen sich nicht einfach so. Die haben nicht irgendwo ein Hauptquartier. Sie haben sich unter die Gesellschaft gemischt. Inzwischen ist die nächste Generation dran. Es sind Politiker, Anwälte, Bischöfe. Sie finden das Institut überall."

"Und es wurde auf Befehl von Hitler gegründet?"

"So ist es. Der Mann hat vorgebaut. Sollte Nazi-Deutschland jemals untergehen, dann wäre das Institut am Zug. Und so kam es ja dann auch."

Am anderen Ende der Wiese tauchte ein Bauer auf. Er watschelte mit kniehohen Stiefeln durchs Gras zu einer Gruppe Kühe.

"Ich hätte so was wie der dort machen sollen", stöhnte Felicitas.

"Sie tun, was Sie tun. Und Sie tun es sehr gut. Unsere Leute waren nach dem Einsatz in Kabul mehr als zufrieden mit Ihnen."

Felicitas verzog den Mund. "Danke."

"Bitte", dröhnte der Captain zurück.

"Und der nächste Kanzler? Sie wissen doch überhaupt nicht, ob er gewählt wird, dieser Jürgen?"

"Glauben Sie mir, er wird gewählt. Das Institut ist inzwischen mächtiger denn je. Deshalb müssen wir sie auch stoppen. Sie wollen doch keine Welt voller Nazis, oder?"

Felicitas spuckte neben den Rotzbrocken des Captains. "Wer will die Schweine schon haben?" zischte sie. "Die haben meine Leute umgebracht."

"Noch ein Grund mehr, Sie den Auftrag ausführen zu lassen."

"Und wie soll es ablaufen?"

"Sie werden nach Berlin fliegen. Wir haben dort ein Zimmer für Sie angemietet."

Die beiden sahen dem Bauer zu, der seine Kühe ans andere Ende der Weide trieb und auch zu ihnen herüberblickte.

"Hätten Sie sich nicht einen besseren Ort aussuchen können? Hier fallen wir ja nun wirklich auf."

Der Captain faltete seine Hände. "Der wird uns schon nichts tun. Wir sind hier ungestört. Und das ist wichtig. Nichts darf schiefgehen. Das Institut würde uns umlegen lassen, ohne mit der Wimper zu zucken."

"Berlin ...?" hakte Felicitas nach. "Und was ist, wenn ich vorher erledigt werde?"

"Dann läuft es trotzdem."

"Smith?"

"Ja, Smith. Aber das soll Sie nicht weiter kümmern. Außerdem werden Sie nicht versagen. Das weiß ich. Sie sind unser bester Mann." Er stockte. "Sie sind unsere beste Frau, wollte ich natürlich sagen."

"Was passiert dann in Berlin?"

"Sie finden alles auf Ihrem Zimmer. Jürgen wird am nächsten Tag im gleichen Hotel absteigen. Sie neutralisieren ihn und verschwinden. Damit haben wir zwar immer noch nicht das Institut zerstört, aber wir haben sie wieder einmal empfindlich getroffen."

"Ich wußte nichts von diesem Institut."

"Davon weiß niemand etwas. Was meinen Sie, was los wäre, wenn die Menschen davon erführen, wenn wir sagen würden, he, wir haben zwar den verfluchten 2. Weltkrieg gewonnen, aber das Sagen in der Welt haben die Nazis? Was meinen Sie, was dann verdammt noch mal los wäre?"

"Ich weiß nicht. Ein Aufstand der Anständigen. Das Institut würde an Macht verlieren."

"Sie träumen, Felicitas."

Der Bauer war nun näher gekommen. Als sie ihn kommen sahen, angelten sie sich Zigaretten aus der Handtasche von Felicitas. Der Captain stieß kleine Rauchwolken gegen das Blau.

"Sie da", rief der Bauer. "Das ist hier Privatbesitz."

"Schon gut, Mann, wir verschwinden ja gleich wieder", sagte der Captain. Er mißtraute der Situation langsam.

"Ihr Städter scheucht mir nur die Kühe auf."

"Ruhig, Mann, wir gehen ja gleich." Der Captain war sich sicher, daß sie sich nicht auf einer Privatwiese befanden. Irgendwas stank hier gewaltig zum Himmel. Er rümpfte die Nase. Nur wenige Meter neben ihm thronte ein gewaltiger Haufen Kuhscheiße. Scheiße findet man eben überall, dachte der Captain und behielt den Bauern im Auge.

"Gehen Sie ..." Der Mund des Bauern blieb weit offen stehen. In seiner Stirn klaffte ein murmelgroßes Loch. Dann kippte er einfach wie ein Kegel um und blieb liegen.

Der Captain starrte zu Felicitas, die den Schalldämpfer nun auf den Captain richtete.

"Felicitas, Sie wollen doch nicht sagen, daß ..." stotterte er.

"Ich will gar nichts sagen. Ich werde Sie töten. Heil Hitler, Captain."

"Aber Sie sind doch Jüdin?"

"Ich habe eine Identität. Eine Geschichte. Ich bin eine Legende. Mehr nicht."

Sie zielte auf den Kopf des Captains und drückte ab. Der Schuß war kaum zu hören. Der Captain spürte die Wärme in der Stirn. Gehört hatte er nichts. Er fühlte sich fast wohl. Die Schwere der letzten Jahre fiel von ihm ab. Er knickte ein. Dann sah er das Blau des Himmels und dann Schwärze.

Luis Meyer

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