Stories_Voodoo Rhythm

VooDoo You Love ...

Willkommen in der Königsklasse des "guten schlechten Geschmacks": Das Schweizer Trash'n'Roll-Musiklabel Voodoo Rhythm zelebriert seit Jahren und gegen den Mainstream Musik für den gehobenen "bad taste".    12.08.2010

 

"Music to ruin any Party", so lautet der offensive Werbe-Slogan der Berner Musikfirma Voodoo Rhythm, der unter einem fies grinsenden Totenkopf mit schrägsitzender Krone prangt; ein Label-Logo, das für Kenner skurriler Sounds inzwischen zum Markenzeichen geworden ist. Der EVOLVER bekam eine Audienz beim Reverend Beat-Man, dem Papst des Abseitigen ...

 

Als Schüler lauschte der Beat-Man eigenem Bekunden zufolge weniger den Vocals seiner Lehrer; dafür zeichnete er "im Unterricht heimlich Plattencover nach oder entwarf eigene Hüllen für obskure imaginäre Trash-Bands". Nachmittags bis in die späte Nacht hatte er auch keine Zeit für anderes, weil er seine Ohren malträtierte, indem er in die seltsame Welt der rüden Rock'n'Roll-Klänge eintauchte - und nie wieder an die Oberfläche zurückkam. Unter dem Namen "Zerfall Tapes" veröffentlichte der Beat-Man 1982 erste eigene Aufnahmen auf seinem privaten kleinen Kassettenlabel, dessen Absatzkapazitäten aber schnell erschöpft waren, weil "sich nicht viele Musikfreaks fanden, die einen ähnliche Vision von Rock'n'Roll hatten: Eine unheilige Vermählung aus Elvis Presley und den Einstürzenden Neubauten".

Diese etwas befremdliche Grundmelange hielt dann Einzug in das nächste Bandprojekt "The Monsters", zusätzlich gepaart mit wilden Garagenpunk-Momenten, das heute in der Schweizer Heimat Kultstatus genießt und auf dem Label "Record Junkie" diverse Singles und drei Alben veröffentlicht hat. "Durch die Mitarbeit bei und durch die Erfahrungen mit diesem Unternehmen reifte bei mir der Plan, ein eigenes Label zu gründen: Und so erblickte Voodoo Rhythm 1992 das Licht der Welt" ... und so gelingt der Übergang zum Interview.

 

EVOLVER: Dein Label lebt nicht nur durch die Musik, sondern auch durch die liebevoll gestalteten Cover-Artworks. Warum ist Dir das so wichtig, und woher bekommst Du Deine Inspirationen?

Reverend Beat-Man: Wichtig ist mir die Gestaltung deshalb, weil Cover und Musik gemeinsam ein Gesamtkunstwerk darstellen. In der heutigen Zeit verkommt all dies, Musik wird zum Wegwerfprodukt. Leider laden sich viele Jugendlichen billige Einmalsongprodukte aus dem Netz, oft ohne weitere Informationen, weil diese nicht mehr mitgeliefert werden, oder weil viele es so wollen: Der schnelle "Musik-Quickie"! Genau dieser kulturellen Abwärtsspirale will ich entgegenwirken - und es mehren sich die Zeichen, daß eine neue Generation von jugendlichen Musikhörern heranwächst, der dieser "echten Trash-Konformität" den Rücken zukehrt. Bei Livegigs ist zunehmend wieder jüngeres Publikum zu bestaunen - und das bei unseren Altherrenrockbluesbastard-Sounds!

Die Ideen sammle ich durch die Begegnung mit alten Originalalben. Die Grafiken dieser Scheiben aus der Blues-, Rockabilly- und Garagen-Ära haben noch Persönlichkeit, egal, ob man die Schrifttypen, das Spiel der Farbästhetik oder die Ikonographie betrachtet. Ich selbst bin leidenschaftlicher Sammler, falle über Plattenkisten auf Flohmärkten her - oder war früher mehrmals mit dem Zelt quer durch Europa und die USA unterwegs, auf "Einkaufstour". Inzwischen fragen sogar Aussteller nach, weil man unsere Cover einem Kunstpublikum präsentieren will; das macht schon stolz, denn es zeigt, daß die Mühe Früchte trägt.

 

EVOLVER: Kann man inzwischen von diesen Früchten leben?

Reverend: Inzwischen ist nach einigen Hochs und schlimmen Tiefs wirklich Land in Sicht, das Label kann mich und meine Mitarbeiterin Nicole - der ich hier einmal wirklich meine Bewunderung aussprechen muß - ernähren. Hoffentlich bleibt es so! Seit 2000 ist Voodoo Rhythm zwar immer noch ein Ein-Mann-Unternehmen, doch es wird absolut unterstützt durch viele Freunde wie Nicole Zorn, Tea Soza, Robert Panti-Christ' Butler und Chris Rosales, mit denen man außerdem die Voodoo Rhythm Radio Show Sonic Nightmares auf www.garagepunk.com produziert und moderiert. Um Kosten zu minimieren werden die meisten der Studioaufnahmen bei bekannten Freunden im Outside Inside Studio / Italien produziert. Für das Mastering sind Adi Flück von Central Dubs oder auch Dan Suter / Echo Chamber zuständig. Künstler wie Märt Infanger, Dirk Bosma, Darren Merinuk, Rob Jones und andre Freunde machen Artworks für die Plattencovers.

Produziert wird in der VR-Höllenfabrik außerdem nicht mehr nur Vinyl, sondern auch CDs, DVDs und "MERCHANDISE WITHOUT ANY BORDERS" wie zum Beispiel Key Caps, Belt Buckles, Ties, Shirts, Taschen, Print Posters oder "Slips für den gehobenen Geschmack" (siehe auf der Homepage). Auch digital werden nunmehr die Songs zum Download angeboten, das eigene Publishing ermöglicht den Verkauft der Songs u.a. an diverse TV/Film-Produktionen.

Zuerst waren wir nur in Europa erfolgreich, dann auch in Übersee, und am Schluß doch auch noch in der Schweiz; der Prophet und das eigene Land ... Voodoo Rhythm hatte viel Glück. Mit der Unterstützung und Geduld der jeweiligen Vertriebe ist Voodoo Rhythm zu einer Institution im weltweiten Underground-Musikmarkt geworden. Das Rezept: Bands und Fans identifizieren sich mit dem Namen Voodoo Rhythm und probieren, ähnliche Sachen zu machen.

 

EVOLVER: In früheren Jahren warst Du als "The Lightning Beat-Man" unterwegs. Bist Du jetzt ein Wiedergeborener Christ oder warum hast Du Dein Alter-Ego in "Reverend Beat-Man" umgetauft?

Reverend: Reiner Selbstschutz: Nach 666 Knochenbrüchen hat mein Körper signalisiert: Das Ende ist nah! Diese Kunstfigur habe ich vor Jahren in L.A. erfunden, denn dort bin ich von der Faszination des "Mexican Wrestling" sprichwörtlich "niedergerungen" worden. Und die wilden Jahre des "wrestling Rock'n'Rolls" mit dieser OneManBand, auch wenn oft Gäste auf der Bühne mit dabeiwaren, waren glücklich und erfüllt. Aber neben physischen Problemen habe ich auch gespürt, daß dieses Alter Ego zunehmend Gewalt über mich bekam. Durch die Maske konnte man viele Tabubrüche inszenieren, aber auch meine Persönlichkeit hat sich verändert. RIP!

 

EVOLVER: Und jetzt predigst Du also als Reverend mit Deiner "Church Of Herpes" aus deinem dreiteiligen "Surreal Folk Blues Gospel Trash-Evangelium"?

Reverend: Der Style-Name sollte irgendwie alle Einflüsse auflisten, die die Eckkoordinaten dieses Projektes symbolisieren, und darum mußten es so viele sein. Der "Reverend" ist ja kein monastischer Bruder, sondern kommt aus den Untiefen der menschlichen Seele: Er ist ein Wander- und Straßenprediger, der die dunklen Gassen, Ecken und Bars dieser Welt kennt. Und das hört man im Sound, in den Texten, und man kann es bald als DVD-Box sehen: Wenn die Engel keinen Einspruch einlegen, dann kommt als krönender Abschluß der Trilogie - bestehend aus bisher zwei Alben - eine Sammlung mit künstlerischen Videoclips im DVD-Format auf den Markt. Filmemacher aus aller Welt haben Visionen zu einzelnen Tracks der beiden Alben cineastisch umgesetzt. Ich bin schon ziemlich gespannt auf die Ergebnisse ...

 

EVOLVER: Hellelujah!

Reverend: Lobet den Herrn!

 

Emmerich Thürmer

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