Stories_klangBilder|10, revisited

The future goes D on A

Der EVOLVER hat sich bei der diesjährigen "Messe für gehobene Unterhaltungselektronik" im Vienna Hilton Plaza umgesehen und umgehört; neben mancherlei Spielereien gab es auch eine faszinierende Neuigkeit zum Thema HiFi.    13.11.2010

Sie gelten wohl nicht zu Unrecht als etwas merkwürdige Eigenbrötler: Die HiFi-Freaks. Jene Leute, die sich stundenlang über Kondensatorbauweisen unterhalten können, die im Angesicht von Musikanlagen konzentriert die Augen schließen, und die selbst Kabeln zutrauen, Unterschiede im Klang zu bewirken. Der Autor ist einer davon.

 

Die heurige HiFi-Messe in Wien bot wieder reichlich Gelegenheit, das Gras wachsen zu hören und hingebungsvoll darüber zu fachsimpeln. Zum Beispiel im Aufzug, der die Besucher zwischen jenen fünf Etagen im Hilton, auf denen sich internationale Top-Hersteller präsentierten, hin und her transportierte: "Der Typ is echt Scheise. Der red' Scheise, und klingt Scheise; genau wie sein Player" (Gespräch zweier HiFi-Journalisten).

Der ordinäre Mp3-Hörer mag sich fragen, warum Ausstellungen, auf denen etwa Lautsprecherboxen zum Preis von Eigenheimen vorgestellt werden, eigentlich in Luxushotels stattfinden (in Berlin ist es ja traditionell das Kempinski). Eine mögliche Erklärung: Das noble Flair. Außerdem sind die "Messestände" in Form von Zimmern bereits vorhanden, und zwar deutlich besser schallgedämmt als Messekojen. Was selbst hier nicht immer genügt; so hatte auch diesmal mancher kleine Anbieter (der sich bloß ein 200-Euro-Zimmer leisten konnte) seine liebe Not mit Nachbarn, deren Megawatt-Anlagen die Wände wackeln ließen. Lästig, wenn man gerade die technischen Schikanen seiner funkgesteuerten PC-Böxchen vorführen möchte.

 

Apropos Funk: Kabelloses erfreut sich nach wie vor großer Beliebtheit, zumal Bluetooth (dank des neuen Protokolls) W-Lan ernsthaft Konkurrenz macht. Es weiß zwar niemand, warum man die Komponenten partout in einem anderen Zimmer seiner Wohnung aufstellen sollte als die Boxen, aber egal: Es geht, und deswegen wird's hergestellt (ja, genau: so wie der Uraltwitz von den Hunden, die ihre ... na, Sie kennen ihn). Und die eine Chord-"Anlage" - ungefähr von der Größe einer Schachtel Haferflocken - war ja auch wirklich herzig anzusehen.

Leider ließ die akustische Qualität meist dort zu wünschen übrig, wo Laptops oder ähnliches (zur Attraktion "moderner" Hörer, anscheinend) als Zuspieler in Szene gesetzt wurden. Etwa bei Sonus Faber (den italienischen Boxen, die ausschauen, als wären sie von einem Geigenbauer handgefertigt): matte Höhen, schwammige Bässe. Oder im Zimmer der berüchtigt eigenwilligen Brüder von RaumAkustik: die Mission-Komponenten klangen ganz nett, aber mehr auch nicht. Am enttäuschendsten präsentierte sich - gemessen an Preis und Erwartungen - die Linn-Anlage: Der Autor ergriff nach wenigen Minuten die Flucht vor einem verzerrt plärrenden Tenor ... vorbei an andächtig lauschenden Gläubigen.

 

Gut, Hotelzimmer haben auch ihre Nachteile. Etwa die besucherbremsende Schleuse am Eingang. Vor allem aber die Tatsache, daß viele Menschen in einem vergleichsweise kleinen Raum sehr bald für verbrauchte Luft sorgen. Soll heißen: Es stank, und zwar in mehreren Zimmern. Nicht unbedingt ein Ambiente, um sich Hörerlebnissen widmen zu wollen.

Fast noch schlimmer war es dort, wo besonders kluge Marketingstrategen auf die "Kombination von Genüssen" setzten. Was zur Folge hatte, daß in so manchem Raum Kaffee kredenzt wurde (aus hochwertigen Espressomaschinen, natürlich). Dort wurde der Schweißgeruch dann von  betäubendem Caféhausdunst überlagert. Großartige Idee! Und so recht geeignet, sich ungestört auf den Klang zu konzentrieren.

(Liebe Hersteller! Bei aller Dekadenz: Wenn ich zuhören möchte, ist jedes Parallelstimulans kontraproduktiv. Sex z.B. ist auch sehr schön - aber würden Sie ernsthaft annehmen, daß ein Messebesucher später Ihre Boxen kauft, weil ihm beim Anhören derselben eine freundliche Dame den Schwanz gelutscht hat? Sagen Sie Ihren Präsentatoren lieber, daß sie den Raum regelmäßig lüften sollen.)

 

Wo wir gerade bei den Vorführern sind: Die Unsitte, aberwitzig aufgenommene Zing-Bumm-CDs zu spielen, ist wohl nicht auszurotten. Das tönt natürlich spektakulär, bloß: wer hört sich sowas zu Hause an? Oder - im anderen Extrem - esoterisch Säuselndes, das auf einer billigen Plastikanlage auch nicht viel anders klingen würde?

Nun, Letzteres funktioniert bei manchen Besuchern, wie eine "schwäbische Manufaktur" bewies. Deren Kunststeinboxen - Schwergewichte mit D'Appolito oben und Doppelbaß unten - sahen aus wie weiße Felskulissen, ließen aber kaum etwas an Feinzeichnung oder Räumlichkeit hören. Dafür salbaderte der Präsentator wie eine Mischung aus Beichtvater und Gebrauchtwagenverkäufer: "Isch sag imme, man muß die Auge schließe, damit man besse höre kann" .... und die angesprochene Dame nickte mit verzücktem Lächeln.

Es fanden sich ja wenige Frauen auf dieser Messe; so manche machte bekannten Klischees jedoch alle Ehre. Etwa jene Jungdynamische, die - im Kielwasser ihres kaum älteren Begleiters - in eine Vorführung platzte, "Hach, das ist ja hier wie in der Kirche" zwitscherte, und selbst nach dem Platznehmen ihren Schnabel nicht halten konnte.

 

Es gab jedoch auch Erfreuliches. Die Lautsprecher der österreichischen Firma Trenner & Friedl, zum Beispiel. Beste Zutaten, mit Liebe und Verstand zu vergleichsweise unspektakulär aussehenden Boxen geformt. Ins Hilton kamen sie jedoch mit ihrem ausgefallensten Stück: Einem furnierten Quader, dessen Chassisabdeckung ein Breitbandsystem suggeriert.

Über den wahren Inhalt der "RA-Box" schwiegen sich die Herren aus ("Wir redn ned so gern über Technik"). Es dürfte sich jedoch um eine Kombination aus zwei selbst beschichteten Papierkoni und einem Kalottenhochtöner mit Hornvorsatz handeln. Wie immer man die akustischen Probleme einer breiten Schallwand und die Schwächen einer Baßreflex-Abstimmung in den Griff bekommen hat: Die Lautsprecher bauten ein phantastisches Panorama auf und glänzten selbst bei hohen Pegeln mit müheloser Darstellung.

Kinkerlitzchen gab es hier keine, wohl aber in vielen anderen Räumen. Man scheint sich damit abgefunden zu haben, daß Kabel im Hochpreissegment die Dimension von Feuerwehrschläuchen aufweisen müssen. Schön absurd wurde es, wenn martialische Netzanschlüsse letzlich in billigen Dreierverteilern steckten. Und wer noch eins draufseten wollte, drapierte allerorten "klangreinigende" Accessoires: Geheimnisvolle (und entsprechend kostspielige) Teile in Zündholzschachtelgröße, aus Holz, Metall oder Kunststoff, oft gedrechselt wie Schmuckstücke, die - etwa auf die Billigleiste gepickt - wundersam "stromberuhigend" oder wie auch immer wirken sollen .... Feng Shui ist harte Wissenschaft dagegen.

 

Im zehnten Stock hatten sich jene eingemietet, die Suitenpreise zahlen können. In Zimmer 1013 erstrahlten die "Trio"-Hörner von Avantgarde Acoustic: Mannshohe Skulpturen in Metallicrot, unterstützt von zwei aktiven Baßmodulen, die allein schon den Stellplatz eines Doppelbettes belegten.

Dank ihres aberwitzigen Wirkungsgrades von 109dB genügen bereits Kleinstverstärker, um jeden Nachbarn fertigzumachen. Mit linearer Wiedergabe hatte das zwar wenig zu tun (zumal die Baßhörner - hier nicht im Bild - offensichtlich zurückgeregelt waren, um die Fensterscheiben heil zu lassen); aber es machte großen Spaß, "Child in Time" einmal in Live-Lautstärke zu erleben.

 

Diagonal gegenüber - grundrißmäßig gesehen -, und wohl nicht zufällig möglichst weit davon entfernt, fand sich der Raum von Audio Components. Zu sehen waren in erster Linie eine McIntosh-Kette (kaum bezahlbares HighEnd in Retrooptik) und ein Paar von Wilson Audios "Sophia" (in typisch amerikanischer Häßlichkeit, Paarpreis: ca. 18.000,-). Zu hören war .... Verblüffendes.

Nicht, daß man sich von den legendären US-Komponenten wenig erwartet hätte. Aber die Art und Weise, wie hier jegliche Form von Musik wiedergegeben wurde, war einzigartig. Scheinbar ohne lautstärkemäßige Limitierung knallten die mächtigen Bässe entsprechender CDs in den Magen, wurden feinste Hochtondetails aufgelöst und eine unerschütterlich präzise Bühne in den Hörraum projiziert.

Da gab es kein Wummern in den tiefen Frequenzen, kein nervendes Hochtongezirpe, und die Streicher klangen endlich einmal so, wie sie sollten: schwingende Darmsaiten, ohne schrille Obertöne oder (stattdessen) jenen "Schmelz", der oft als Wohlklang interpretiert wird, obwohl es sich dabei letztlich bloß um Unsauberkeiten handelt. Papagenos Bariton tönte satt und direkt; jeder Atemzug des Sängers war zu spüren, und doch schlugen selbst forte-Passagen nie auf die Ohren.

Zeit, sich zu wundern. Schließlich stehen McIntoshs ja nicht gerade im Rufe besonderer Detailverliebtheit, und der Sophia sagte man auch schon einmal "großväterlichen Baß" nach. Die Lösung: Eine aluglänzende Komponente (vom Autor zunächst eher für Zierrat gehalten) entpuppte sich auf Nachfrage als der treibende Vollverstärker. Der hervorragende SACD-Player der Kette wurde mit ordinären Selbstgebrannten gefüttert und zum reinen Zuspieler degradiert, der zugehörige Amp hing gar nicht an den Boxen: Es war der "D-Premier" von Devialet, der sowohl als Wandler fungierte als auch die Wilsons antrieb.

Etwas später kamen die McIntoshs dann doch noch zum Einsatz, und zwar an entsprechend elitären Elektrostaten von Martin Logan. Die Flächenstrahler mit ausgefeilter Konus-Aktivbaß-Sektion spielten wunderschön - und doch war die Kette ein klarer Rückschritt im Vergleich zu vorher. Der Baß schien zu schwächeln und hinkte hintennach; die Mitten kamen mit warmem Strahlen, verloren aber bei Forti die Übersicht und engten die Bühne zusätzlich ein (von der heiklen Richtwirkung ohnehin abgesehen). Lediglich in den Höhen bewiesen die Folien ihre Überlegenheit: gegen solch unaufdringliche Klarheit hatten auch die selektierten Focal-Inverskalotten der Sophias keine Chance.

 

Aber was war denn das davor nun für ein Wunderkastel, dieser Devialet-Amp?

Für das audiophile Weltbild des Autors war es reichlich erschütternd, zu erfahren, daß es sich um einen Digitalverstärker handelte. Zerhackte Impulse aus Schaltnetzeilen? Gut für preisgünstige Alles-Player, aber Verstärker solcher Bauart pflegten sich durch dünnen und künstlichen Sound auszuzeichnen ....

Um es kurz zu machen: Der französische Amp hat gerade einen EISA-Award gewonnen, und ist im Prinzip ein Class A-Vollverstärker mit "aufgesetztem" Class D-Booster. (Was - Sie haben das jetzt nicht verstanden? OK, Spaß beiseite. Es ist eine Weltneuheit, und Details finden Sie hier.)

Als einziger Kritikpunkt wäre vielleicht zu nennen, daß die Darstellung eher in Richtung kühl-analytisch geht. Das könnte ein Grund dafür gewesen sein, traditionell "warm" klingende amerikanische Schallwandler anzuschließen; es könnte aber auch heißen, daß wir uns zu lange an die Fehler von HiFi-Anlagen gewöhnt haben.

Schade allerdings, daß keines der dort ausgestellten Transrotor-Laufwerke zum Einsatz kam. Zwar drehte sich eine LP auf dem massiven Teller, aber auf Nachfrage bekam man zu hören: "Das müßte mein Kollege machen, der ist grad nicht da; der kennt sich mit Plattenspielern aus". Interessant. Was wohl so schwierig daran sein mag, eine Nadel abzusenken? Vielleicht die Tatsache, daß es dafür keinen Knopf auf einer Fernbedienung gibt.

 

Sonst gab es bei dieser Messe auch noch jede Menge Bildschirme und Surround-Gedröhne. Und täglich eine Weinverkostung. Dazu müssen Sie aber jemanden fragen, der 1) nicht vorzugsweise Bier trinkt und 2) sich Filme nicht lieber im Kino anschaut. Das Hotelpersonal war übrigens ausgesucht höflich und zuvorkommend - wie man das von so einem noblen Haus halt erwartet.

Kompliment an den Veranstalter: Für höchst moderate 12,- Eintritt bekam man mehr geboten, als sich selbst an einem ganzen Tag rezipieren läßt. Wir freuen uns jedenfalls schon auf die "klangBilder|11".

Marcus Stöger

klangBilder|10

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