Stories_Die Geschichte des Speed/Thrash Metal #1

Urbaner Pesthauch

In den 80ern wurde der Hardrock auf Touren gebracht: Immer schneller, lauter und böser droschen die Buben rund um die San Francisco Bay Area in die Saiten.
Eine Liebeserklärung an einen brutalen Musikstil. Von Claudia Jusits    13.10.2010

Ideen regieren die Welt.

(Voltaire)

 

Ich hasse Melodien.

(Kerry King, Slayer)

Teil 1: Die Bay Area

 

Ein hübsches Fleckchen Erde, das Gebiet um die Bucht von San Francisco, mit der Weinregion Nappa Valley, dem Technologiezentrum Silicon Valley, der Uni in Berkeley, dem Sacramento River und dem San Joaquin River, die das große Delta bilden. Ein ansprechender Rahmen für die Städte San Jose, Oakland und San Francisco selbst, das kulturelle Zugpferd dieser Region.

Trotz dieser unbestrittenen Reiseführer-Qualitäten ist es aber etwas ganz anderes, das dem Metal-Fan ein fast schon verklärtes Grinsen ins Gesicht zaubert.

 

Denn genau diese Bay Area gilt als eine der Brutstätten des Speed/Thrash Metal.

Warum gerade hier und warum gerade damals, darüber gibt es nur vage Theorien. Vielleicht war es an der Zeit, daß der Rock’n’Roll Virus erneut einen adäquaten Wirt fand, nicht in der harmlosen, zum Gesellschaftstanz verkümmerten Version, sondern in der echten, bösen und schnellen Ausformung.

Derlei hätte Tradion, ausgehend von den 50er Jahren, mit ihren wilden, das damalige Bürgertum verschreckenden Beatnik-Eskapaden, dem von der Allgemeinheit als "Lärm" abgekanzeltem Bebop und seinen weder Drogen noch Sex abholden Jüngern.

Jack Kerouac, einer der zentralen Figuren der Beat Generation, liefert in "Unterwegs" folgende Beschreibung:

"Die Verrückten, die verrückt danach sind, zu leben, verrückt danach, erlöst zu werden, und nach allem gleichzeitig gieren - jene, die niemals gähnen oder etwas Alltägliches sagen, sondern brennen, brennen, brennen wie phantastische gelbe Wunderkerzen, die gegen den Sternenhimmel explodieren wie Feuerräder, in deren Mitte man einen blauen Lichtkern zerspringen sieht, sodaß jeder 'Aahh!' ruft ..."

Das klingt schon fast nach "Hit the Lights", einem Song, den Metallica 1982 auf dem legendären "Metal Massacre"-Sampler veröffentlichten.

Im darauffolgenden Jahrzehnt wiederholte sich Kerouacs Vision, und San Fransicso wurde Mittelpunkt psychedelischer Schockwellen, die sich in Bands wie Blue Cheer, Jefferson Airplane oder den Grateful Dead entluden.

Von diesen bis zu den ebenfalls vor Ort - wenngleich Jahre später - tätigen Dead Kennedys läßt sich unter Auslassung puristischer Hartnäckigkeiten ein inspirativer Bogen ziehen.

Metallica allerdings wanderten Anfang der 80er nur deshalb in die East Bay Area aus, weil Cliff Burton - seines Zeichens Bassist bei der Band Trauma und Student am Junior College - sich beharrlich weigerte, nach Los Angeles, in die Heimatstadt der Band, zu ziehen. So kam der Prophet zum Berg, Cliff Burton wurde Bassist von Metallica ... und damit sind wir auch schon mitten in einer Geschchte, die alle Ingredienzen einer Tragikomödie enthält: Helden und Heldinnen, ihren märchenhaften Aufstieg und ihr gnadenloses Scheitern.

Aber alles schön der Reihe nach. Als Urväter können getrost Motörhead genannt werden. Ihre Kompromißlosigkeit schnitt dem Rock’n’Roll jeglichen virtuosen Schnörkel aus dem Fleisch.

Was blieb, wurde - skelettiert wie Iron Maidens Maskottchen Eddie - zur Nachahmung freigegeben.

Nicht unerheblicher Einfluß darf auch auch der NWOBHM (New Wave of British Heavy Metal) und mit ihr Iron Maiden und Judas Priest unterstellt werden. Auch die legendären Deep Purple ("Speed King") wirkten als "Beschleuniger"; nicht umsonst gilt doch Lars Ulrich, damals wie heute Schlagwerker bei Metallica, als fanatischer Purple-Fan.

 

Als besagter Ulrich mit versammelter Mannschaft in der Bucht "strandete", fand man sich in bester Gesellschaft wieder. Slayer, Exodus, Testament, Megadeth, Détente, Laaz Rockit und die später zu trauriger Berühmtheit gelangten Death Angel - um nur einige zu nennen - entwickelten gemeinsam eine heftigere Gangart des Metal, die für das gesamte Genre stilprägend wurde:

Haarscharf am Halsbrecherischen vorbei mußte das Riffing sein, untermalt von einem unerbittlichen Bassdrum-Gewitter (hier gab unter anderem Dave Lombardo von Slayer als personifizierte Fußmaschine den Takt vor). Brutale Bässe massierten die Magenmuskeln der fanatischen Zuhörerschaft, die von all dem gar nicht genug bekommen konnte. Energetisch analog zu diesem Sound wurde textlich eine pessimistische Sichtweise auf Gegenwart und Zukunft propagiert. Themen wie Krieg, soziale Mißstände - durchaus dem artverwandten Hardcore-Punk entlehnt - fanden ihre vokalistische Umsetzung in herzhaftem Gebrüll und/oder Gekreische, von den Fans liebevoll "Growling" und "Screaming" getauft.

Markante "Growler" wie Chuck Billy von der Band Testament oder Tom Araya von Slayer eröffneten eine bis dato unbekannte Dimension von Ausdrucksmöglickeiten. Und natürlich Dawn Crosby, die der Band Détente Stimme und Persöhnlichkeit lieh: Die beispiellose Aggressivität, mit der sie auf dem (leider einzigen) Album der Band, "Recognize No Authority" Wut und Frustration ohne Rücksicht auf Verluste in die Welt hinausschreit, machte sie zur Ikone des spezifisch weiblichen Metal-Gesangs.

Womit wir auch schon bei den tragischen Helden wären: Crosby, die nach Détente die Formation Fear of God gründete und in einem Interwiev anfang der neunziger Jahre von sich behauptete: "Ich bin zur Zeit die fröhlichste Person in dieser gottverdammten Welt!" verstarb 1996 im Alter von nur 33 Jahren an "excessive alcohol abuse".

Einer der wenigen, der so etwas wohl bereits in den frühen 80ern geahnt haben mag, ist Dave Mustaine von Megadeth. Nach einem lautstarken Streit um eine unbezahlte Telefonrechnung wurde er von Crosby und Kollegen bei einem Autritt mit Bierdosen beworfen, was in einer westerntauglichen Prügelei endete. (Die hätte es allerdings garantiert auch dann gegeben, wenn Slayer nicht auf ihre Kumpels von Exodus gehört hätten und im Ruthie’s Inn - wie ursprünglich geplant - geschminkt aufgetreten wären.)

Eine als rustikal zu bezeichnende Auseinandersetzung zwischen Mustaine und Metallica endete 1983 damit, daß er die Band verließ und durch den begabten Exodus-Gitarristen Kirk Hammett ersetzt wurde.

Das eine oder andere Veilchen blüht wohl auch im Underground ...

 

Parallel dazu wurde fleißig gearbeitet. Exodus veröffentlichten nach endlosen Querelen "Bonded by Blood", Death Angel katapultierten sich mit "The Ultra-Violence" und "Frolic Through the Park" in die vorderste Reihe, und Metallica brachten mit "Kill ´Em All" ein prototypisches Speed/Thrash-Album auf den Markt.

Dort war man mittlerweile aufmerksam geworden auf dieses musikalische Phänomen, das sich als ausgesprochen massentauglich erwies.

Fanzines wie das von Ron Quintana gegründete "Metal Mania" versorgten ihre Leserschaft mit den neuesten Informationen in Sachen Speed & Thrash, und Brian Slagels Metal Blade Records begann sich zu einem gutgehendem Unternehmen zu entwickeln. (Wobei nicht unerwähnt bleiben sollte, daß Slagel mit dem von ihm projektierten "Metal Massacre" -Sampler den darauf vertretenen Bands mehr als nur eine Tür öffnete.

Aus dem geschlossenen System "Bay Area" war eine weltweite Bewegung geworden, die auf ihren ersten Höhepunkt im Jahr 1986 zusteuerte; musikalisch eingeläutet unter anderem von Slayers "Reign in Blood", Megadeths "Peace Sells ... But Who’s Buying" und natürlich Metallicas "Ride The Lightning".

Wie die Geschichte weitergeht, erfahren Sie demnächst hier - in Teil 2: "New Jersey und die Folgen".

 

               

Claudia Jusits

Death Angel - The Ultra Violence

ØØØØØ

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(1987)

Links:

Détente - Recognize No Authority

ØØØØ 1/2

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(1986)

Links:

Exodus - Bonded By Blood

ØØØØ

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(1985)

Links:

Megadeth - Peace Sells ... But Who´s Buying?

ØØØØ

Leserbewertung: (bewerten)

(1986)

Links:

Metallica - Kill ´Em All

ØØØØ 1/2

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(1983)

Links:

Slayer - Hell Awaits

ØØØØØ

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(1985)

Links:

Testament - The Legacy

ØØØØØ

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(1987)

Links:

Kommentare_

alf - 15.10.2010 : 15.58
"wer die geschichte nicht kennt muss sie selber noch mal erleben" hat ein gscheiterl mal gesagt. in diesem fall muss ich nicht, aber es tut irrsinnig gut wie du das "nochmal erleben" einem schmackhaft machst.
als aufmerksamem leser entgeht einem auch nicht dein ebenso trefflicher artikel von 2008 (momentan rechts der 3.). freu mich schon auf teil 2!!! lga

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