01-08-2000/Abteilung: Müll-Mix/Archiv

Viele haben darüber schwadroniert, philosophiert und paraphrasiert - wissen tut trotzdem kaum einer was darüber. Höchste Zeit, Mißverständnisse auszuräumen und die Sache auf den Punkt zu bringen. 
Ein Interview von  r.evolver mit dem Namenspatron eines Genres: Dr. Trash.

Ein Museum soll eröffnet werden. Das Profil der virtuellen Ausstellung ist klar definiert. Noch während die ersten multimedialen Beiträge für die Schauräume des Trash-Museums vorbereitet werden, beginnt - ähnlich wie einst das Schwert des Damokles - die Kernfrage plötzlich gefährlich im Raum zu schweben: Was ist Trash denn nun wirklich? Zu viele Stefan Raabs, zu viele RTL-Shows, zu viele Schlingensiefsche Container vor der Wiener Staatsoper verwässern das Subkultur-Segment, verzerren den Begriff bis zur Unkenntlichkeit, führen in weiterer Folge zu einer Desorientierung der anfänglich motivierten Projektleitung. Da kann nur mehr einer helfen - der Doc!
 

EVOLVER: Herr Doktor Trash, bekanntlich hat sich eine mittlerweile nicht unwesentliche Kulturströmung ihren Namen ausgeborgt. Worauf führen Sie diesen Umstand zurück?
Dr. Trash: Trash ist keine Kulturströmung (oder dürfte zumindest keine sein, wenn auf dieser Welt noch irgendwas mit rechten Dingen zuginge), sondern ein medienübergreifender Genrebegriff. Was die Namensgleichheit angeht, so neige ich zur Vermutung, daß man sich zur Benennung derartiger Phänomene eben gern Namen von Persönlichkeiten ausborgt, die ähnliche Prinzipien verkörpern. Sollten Sie mir diese Frage aber jemals offiziell stellen, sehe ich mich gezwungen, jeden Zusammenhang strikt zu leugnen...

EVOLVER: Darf der Begriff "Trash" als Etikett für zeitgenössische Gegenströmungen herangezogen werden? In diesem Zusammenhang eine Zusatzfrage: Was, um alles in der Welt, soll Ed Wood mit Schlingensief gemeinsam haben?!
Dr. Trash: Trash ist nicht zeitgenössisch - oder nur insofern, als wir von der Zeit seit Erfindung der Massenmedien sprechen. Trash gab es schon, als Charles Dickens und Konsorten ihre Fortsetzungsromane für die "penny dreadfuls" schrieben, die alles enthielten, was die Menschheit immer schon interessierte: Sex & Gewalt, Sentimentalität und mit dem breiten Pinsel aufgetragene Grundgefühle wie Liebe und Haß, total überzeichnete Helden- und Schurkengestalten usw. usf. Trash waren aber auch die ersten "Stag"-Movies, Ärzteromane, Superhelden-Comics und vieles mehr, das die Hochkultur abfällig als "Schmutz & Schund" (oder im angloamerikanischen Sprachraum eben als "Trash") bezeichnete.
Vieles, das da auf den Markt geworfen wurde, ist selbst im nostalgischsten Rückblick nicht mehr als purer Dreck, der keine historische Aufarbeitung verdient. Einige Perlen aber gibt´s in jedem Misthaufen - und für diese haben sich intelligente und mutige Beobachter der populären Kultur eben den Begriff "Trash" angeeignet, was als ähnlich subversiver Akt zu verstehen ist wie die Verwendung des Schimpf- und Slang-Worts "Punk" zur Bezeichnung einer Musikrichtung, die zehn Minuten lang alles auf den Kopf stellte. Trash hat sich danach zur Subkultur entwickelt, die darauf spezialisiert ist, jene Perlen, die (fast versehentlich) vor die Säue geworfen wurden, aufzuspüren und liebevoll zu polieren; und Trash hat natürlich seinerseits wieder eine Menge anderer Subkulturen beeinflußt.
Zu Ihrer Zusatzfrage: Ed Wood und Schlingensief haben nur gemeinsam, daß in den Augen hoffnungslos Verblendeter beide als Trash-Produzenten gelten. Da es sich bei besagten Verblendeten aber um dieselben Idioten (vor allem die widerliche "Alternativ"-Kultur mit ihren vielen Ablegern und Tentakeln) handelt, die auch die grundfalsche Idee vom "So schlecht, daß es schon wieder gut ist"-Kulturerzeugnis hervorgebracht haben, muß man die Idee jedweder Parallele zwischen dem Schaffen dieser beiden Regisseure streng zurückweisen. Ed Wood hat seine Arbeit stets ernstgenommen und war stets davon überzeugt, gute Filme zu drehen (die genau deswegen ihre "mindblowin´" Qualität haben), während Schlingensief dem Klüngel dieser "Haha-was-bin-ich-doch-klug-und-ironisch"-
Pseudo-Exzentriker angehört, die bewußt Müll produzieren, der dann eben auch immer nur Müll bleibt. Wenn man solchen Leuten Geld gibt, dürfen sie in Hollywood Großmüll machen, aber das Prinzip bleibt dasselbe. Was wiederum erklärt, warum dumme Drecksfilme wie "Something About Mary", "Jackie Brown" und "Fargo" entstehen können, bei denen sich behäbig glucksende Studenten und "Standard"-Feuilleton-Leser im Kino wie echte Trash-Connaisseure vorkommen können.

EVOLVER: Stichwort "Etikett" - wer hängt es sich um und warum? Die Leute, die wir im historischen Kontext in den "Trash-Topf" werfen (z. B. Mario Bava), hätten sich selbst doch sicher sehr ungern in eben diesem gesehen.
Dr. Trash: Die Kulturgeschichte kümmert sich in ihren Bewertungen und Kategorisierungen ja nicht um das Selbstbild des Kulturschaffenden - den Göttern sei Dank. Mario Bava oder Ed Wood haben sich aus gutem Grunde nicht als Trash-Macher gesehen; wäre das anders gewesen, so wären ihre Werke (siehe oben) ebenso bedeutungslos, wie es die von Schlingensief, den Coen-Brüdern und Tarantino zweifelsohne in 20 Jahren sein werden.

EVOLVER: "Trash", sprich Abfall - billiges Mittel zum Protest einiger Provokateure oder Widerspruch?
Dr. Trash: Als kulturhistorische Kategorie hatte dieses Genre durchaus einmal Protestcharakter, bevor das Ästimieren von (fast immer falsch verstandenem) Trash zum Mainstream-Hobby wurde; bleiben also nur mehr die subversiven Jäger und Sammler, die sich noch heute abseits der Deppenmedien um die Aufrechterhaltung der "wahren Werte" des Trash bemühen. (Wozu Ihr Schaffen beitragen möge, mein Herr.) Als Kunstströmung ist es, wie bereits gesagt, ein dummes Kokettieren mit der eigenen Unfähigkeit (wie es z. B. "lustige" Alternativradio-Kabarettisten/Moderatoren tagtäglich aufs Grausamste vorführen).

EVOLVER: "Trash" als Gattung bzw. Genre haben wir abgehandelt - wie sieht´s abseits der Kunst aus? Würden Sie im breiten Feld der Subkultur lediglich das verunglückte Plagiat (z. B. Fake-Barbies aus China) zur Kategorie "Trash" zählen, und gibt´s darüber hinaus auch hier einen chiffrierten Kulturauftrag (wenn der unter Umständen auch "Sub" sein mag)?
Dr. Trash: Das "verunglückte Plagiat" (neben den Fake-Barbies sind das noch Phänomene wie italienische "Mad Max"-Postapocalypso-Verschnitte, japanisches Spielzeug oder indische Filmmusicals - die sich naturgemäß niemals selbst als Subkultur verstehen) ist nur ein Teil der Trash-Geschichte und -Gegenwart; daneben gibt es noch andere interessante Felder wie "Serienwahn", "ewige Zweite", "private Passionen" usw., über die ich mich jetzt gar nicht näher auslassen will, die Sie aber hoffentlich in ihrem "Trash-Museum" ausführlich abhandeln werden.

EVOLVER: Abschließend noch eine persönliche Frage - der Terminus "Trash" entspricht auch dem angelsächsischen Synonym für Abfall. Würden Sie sich denn als Abfalleimer bezeichnen?
Dr. Trash: Dr. Abfalleimer, bitte! Soviel Zeit muß sein.
 

Das wohltuende Gespräch mit Dr. Trash führte ein deprimierter r.evolver Ende Juni 2000 in Wien.


Dr. Trash

Kaufen/lesen/
wunderbar finden:

Günter Brödl/
Peter Hiess  Peep-Show 
(Kurt Ostbahn: Trainer & Trash ermitteln); Eichborn-Verlag

Bezugsquelle(n):
 überall im Buchhandel

Mails
an Dr. Trash