Video_Eddy Saller auf DVD

Sex, Crime and Austria

Schmierige Spelunken, leichte Mädchen - und dazwischen Udo Kier oder Herbert Fux: Mit "Schamlos" und der Erstveröffentlichung von "Geißel des Fleisches" gibt es jetzt zwei Trash-Perlen des österreichischen Regisseurs für den Hausgebrauch. Hans Langsteiner hat sie sich angesehen.    23.11.2009

Fast hatte man es über all der Oscar- und Goldene-Palme-Euphorie vergessen: Der österreichische Film hat beziehungsweise hatte auch so etwas wie eine dunkle Seite. In den 50er und 60er Jahren entstanden - zwischen "Sissi"-Romantik und dem Aufkommen des Neuen Österreichischen Films - Klassiker des Trash-Kinos. Zwei davon, "Schamlos" und "Geißel des Fleisches", liegen jetzt in einer neuen DVD-Edition vor.

Es sind beides Perlen aus der Abteilung "Sex & Crime", inszeniert vom mittlerweile leider verstorbenen Haudegen Eddy Saller, gedreht in preisgünstigem Schwarzweiß und mittels bundesdeutscher Synchronfassung für den gesamten deutschsprachigen Markt tauglich gemacht. Beide Filme scheinen, wiewohl ungeniert spekulativ und teilweise unfreiwillig komisch, aus heutiger Sicht höchst sehenswert: Ihr grindiger Realismus transportiert viel damaligen Zeitgeist, etliche Schauspieler sind inzwischen Weltstars (Udo Kier!), und die knappe Laufzeit von jeweils an die fünf Viertelstunden läßt Langeweile gar nicht erst aufkommen.

 

Während der 1968 entstandene Film "Schamlos" bereits in der Standard/Hoanzl-Edition "Der österreichische Film" verfügbar war, ist "Geißel des Fleisches" (1965) eine echte DVD-Premiere. Bisher war dieser Titel, gemeinsam mit "Schamlos" und drei weiteren einschlägigen Titeln, nur in einer 1992 veröffentlichten (und längst vergriffenen) zuckerlrosa gehaltenen VHS-Video-Box von GiG-Video erhältlich.

Geißel des Fleisches ist eine wüste Serienkiller-Story, die sich die seinerzeitige Popularität des "Opernmörders" Josef Weinwurm zunutze macht. Der hatte im März 1963 eine elfjährige Ballettschülerin in einem Duschraum der Wiener Staatsoper mit gezählten 34 Messerstichen ermordet - eine der spektakulärsten Bluttaten der heimischen Kriminalgeschichte. Der Film macht aus dem vor wenigen Jahren in der Haft verstorbenen Einzeltäter einen von Herbert Fux gespielten Serienkiller namens Alexander Jablonsky, der sich während der gegen ihn geführten Gerichtsverhandlung an seine Taten erinnert.

 

Jablonsky wird als ehemaliger Maler und Pianist vorgestellt - Liebe zur (gar zeitgenössischen) Kunst gilt als schwer suspekt; in "Schamlos" tritt dieser Aspekt ebenfalls zutage. Auch sonst stößt hier, wer nach ideologischem Urgrund sucht, bald auf schwer Reaktionäres. So scheinen etwa die leicht bekleideten und moralisch lockeren jungen Frauen letztlich selbst an ihrer Ermordung schuld zu sein - eine Lesart, die bereits die einleitende Texttafel nahelegt. "Wird in unserer Zeit nicht", liest man da, "diese GEFAHR noch gefördert durch übersteigerte Betonung alles EROTISCHEN, durch fast schon abstoßende ZURSCHAUSTELLUNG sexueller Reize im alltäglichen LEBEN ...?" Viel heuchlerischer geht´s nimmer, und der dann folgende Film tut sein Bestes, von jener Libertinage, die er zu verurteilen vorgibt, nach Kräften zu profitieren. Da gibt es jede Menge nackter Frauenbrüste (seinerzeit eine verruchte Sensation!) zu sehen; der erste Mord im Duschraum der Opern-Ballettgarderobe erinnert mit seinen Zwischenschnitten auf den wasserspendenden Duschkopf bewußt an das (damals gerade aktuelle) "Psycho"-Vorbild; und wenn Jablonsky in einem "Playboy"-Nachtclub neue Opfer sucht, dann findet er sie erst, nachdem die Kamera die dort auftretenden Damen dem hechelnden Spießer im Kinosaal ausgiebig ins Bild gerückt hat. 

 

Das alles ist natürlich so durchschaubar wie Fensterglas, gleichzeitig aber als Zeitdokument höchst aufschlußreich und ziemlich unterhaltsam anzusehen. Zumal Eddy Sallers Inszenierung handwerklich durchaus in Ordnung geht: Die sorgfältig ausgeleuchteten Schwarzweißbilder erinnern an die zur selben Zeit entstandenen Edgar-Wallace-Filme, die Schauspieler (eine blutjunge Edith Leyrer als judokundige Polizeiassistentin!) sind mit Verve bei der Sache, und die Musik (Gerhard Heinz) erinnerte einen Kritiker zu Recht an Peter Thomas auf Italienurlaub.

Das alles gilt auch für den 1968 entstandenen Schamlos, der der wüstere der beiden Filme ist. Im Kern ist er eine Art österreichisches juvenile deliquency movie um einen jungen Bandenchef, der sich nach einem Mord an einer Prostituierten mit einem mächtigeren Rivalen anlegt und dabei umkommt. Den jungen Mann ohne Zukunft spielt ein damals noch unbekannter Udo Kier, der mit seiner Mischung aus Mick-Jagger-hafter Attraktivität und Kinskischer Intensität die eigentliche Sensation des Films ist. Was war der junge Kier doch für ein scharfer Feger! Ansonsten viel Action, einiger unfreiwilliger Dialoghumor ("Dies ist ein Femegericht und keine Party! Ihr führt euch entsprechend auf, versteht ihr?!") und gegen Filmschluß ein paar Schnipsel einer Otto-Mühl-Materialaktion, als "Rieseneierkuchen mit Fleischbeilage" offenbar der Gipfel der Perversion für die Zuschauer der 60er Jahre ...

Die beiden DVDs kommen in geschmackvoller Schwarzweiß-Aufmachung daher und enthalten als Wendecover auch das damalige Plakatmotiv. Auf der Hülle findet sich jedoch kein Hinweis auf das jeweilige Entstehungsdatum der Filme  - gelten die 60er Jahre etwa als Kassengift?

 

Ein Wort zu den Extras: "Interviews mit Regisseur, Produzent und Darstellern" werden da versprochen, und rein formal stimmt das auch. Zu sehen bekommt man nämlich einen etwa 15minütigen Ausschnitt (und zwar auf beiden DVDs denselben!) aus der österreichischen Dokumentation "Die verlorenen Jahre" von Reinhard Jud und Leo Moser aus dem Jahr 1992, ohne daß irgendwo auf der DVD diese Quelle genannt wäre; auch der Ausschnitt selbst enthält weder Vor- noch Nachspann. Das ist dann doch ein wenig trashig, paßt aber andererseits wiederum zum Thema.

Dennoch handelt es sich um zwei empfehlenswerte Bereicherungen des DVD-Markts, denen weitere Genre-Veröffentlichungen folgen sollten. Die "Mädchen für die Mambo-Bar" warten! 

Hans Langsteiner

Geißel des Fleisches

ØØØ 1/2

Leserbewertung: (bewerten)

Donau Film/Alive DVD (Ö 1965)

DVD-Region 2

81 Min. + Zusatzmaterial, dt. OF

Regie: Eddy Saller

Darsteller: Herbert Fux, Peter Janisch, Edith Leyrer u. a.

Links:

Schamlos

ØØØØ

Leserbewertung: (bewerten)

Donau Film/Alive DVD (Ö 1968)

DVD-Region 2

74 Min. + Zusatzmaterial, dt. OF

Regie: Eddy Saller

Darsteller: Udo Kier, Rolf Eden, Marina Paal u. a.

Links:

Kommentare_

mr. moto - 23.11.2009 : 13.36
Danke für die aufschlussreichen Rezensionen!!! Beide DVDs schon bei Amazon erstanden!
Alban Sturm - 27.11.2009 : 15.08
Sehr geehrter Herr Langsteiner,
als ich die "Geißel" vor vielen Jahren sah, habe ich mich - so wie die Mehrheit des anwesenden Kinopublikums - herzlich schiefgelacht. Kann sein, daß die Produzenten seinerzeit damit spekulierten, das Publikum würde diesen grenzenlos patscherten Versuch eines Krimis ernstnehmen; ich sehe ihn als gelungene Parodie auf die Unzulänglichkeit österreichischen Filmschaffens. Sehenswert ist er in jedem Fall, allein schon wegen der großartigen Visage von Fux.
An "Schamlos" kann ich mich nicht erinnern. Ich werde ihn mir daher so bald wie möglich ansehen - wenn er nur halb so lustig ist wie die "Geißel", wird es ein gelungener Abend. Danke für den Tip!

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