Video_Utopia Ltd.

Spontan, jung und energiegeladen

Eigentlich wollen sie nur Musik machen, doch 1000 Robota mußten 2010 lernen, daß das Busineß da ein Wörtchen mitreden will. Die Hure Kommerz wartet an jeder Ecke und Vermarktung ist alles - das erfahren auch die drei Hamburger Punker in Sandra Trostels Dokumentation.    03.05.2012

"Gegen das System" war gestern, das merkten auch die drei Burschen von 1000 Robota früh. Äußerlich sind die eigenen Eltern heutzutage kaum noch wirklich zu schockieren, wie Jonas Hinnerkort bei einem Interview in "Utopia Ltd." konstatiert. Und Punk sei inzwischen eine Musikrichtung und kein Gefühl mehr. Man paßt sich an, anstatt zu rebellieren. Da legt einem das eigene Label auch einmal nahe, beim Bundesvision Song Contest von Stefan Raab teilzunehmen. Kommerzieller Ausverkauf? Nein, danke.

Ob man denn wirklich gegen Tocotronic in den Lyrics ausholen müsse, will Gunther Buskies vom Label Tapete Records wissen. Spannungen mit Tapete zeichnen sich früh ab, wenn die Musik als "Müll" bezeichnet wird und man sich einigt, sich uneinig zu sein. Später beklagt sich Buskies dann, daß die Band in zwei Wochen nur 600 Platten verkauft hätte. "Nicht überwältigend" sei dies, schreibt er in einer E-Mail. "So ein Bastard", echauffiert sich Band-Sänger Anton Spielmann.

 

Wenn uns "Utopia Ltd." etwas zeigt, dann, daß Anspruch und Wirklichkeit auseinanderklaffen. Bereits wenige Monate nach ihrer Gründung beginnt der rasante Aufstieg der drei Hamburger Schüler. Sie kriegen einen Vertrag bei Tapete Records und weitestgehend positive Kritiken. Nach zwei geschriebenen Songs stand dann Sandra Trostel auf dem Plan und wollte eine Dokumentation drehen. "Spinnt die?" dachte sich der 18jährige Anton zuerst, ließ sie dann aber doch gewähren.

Fortan schlagen sich 1000 Robota mit der Erwartungshaltung ihrer Umgebung herum. Die Medien schreiben, sie klingen wie Fehlfarben oder die Goldenen Zitronen. "Jeder rafft es nicht", regt sich Frontmann Anton im Büro von Buskies auf; und amüsiert sich: "Wir klingen doch wie Jack Johnson!" Vergleiche passen ihnen gar nicht, sie wollen ihre eigenen Ideen haben. "Wir wollen Entstehung verursachen und nicht erinnern", erklärt Anton einem Journalisten.

 

So eine Haltung kommt gut an, auch bei Trostel. "Der Kult dauert nur noch einen Klick lang", meint die Regisseurin in Hinsicht auf das Internet. Gelebt wird im 21. Jahrhundert im Netz. "Die Leute mögen's einfach", weiß Jonas. "Und einfach ist MySpace." Von freier Musik im WWW halten die drei aber wenig. Schließlich wollen sie es als Musiker schaffen, und das bedeutet, daß man von seiner Musik leben kann. Vorerst wohnen sie aber noch daheim, in einem dörflichen Idyll bei Hamburg, wo sich Jonas und Bassist Basti Muxfeldt auf das Abitur vorbereiten, während Anton eine Ausbildung bei Tapete beginnt.

Den normalen Band-Wahnsinn erleben sie in ihrer Freizeit. Oft sehen wir sie sitzend und rauchend am hellichten Tag Bier trinken, während die Whiskey-Flasche gut sichtbar auf dem Tisch steht. Sie jammen munter drauflos und werfen gerne auch einen Track vom Album, weil sie ihn scheiße finden. Dabei hielten sie ihn vor wenigen Monaten noch für gut, als sie ihn schrieben - so die Kritik von Buskies. Er erntet ein Schulterzucken der Marke Fuck it. Who cares? Packt man halt andere, bessere Songs drauf.

 

Die Emotionen kochen hoch, die Beteiligten liefern sich hitzige Diskussionen. Buskies hebt hervor, daß es sein Geld sei, das die Musik von 1000 Robota finanziert. Die mögen sich wohl angelehnt an Die Ärzte denken: "Ist das noch Punkrock?" Ruhe haben sie nicht einmal auf ihren Tourneen. Im Auto fahren sie über Belgien nach London. Verfahren sich, verpassen fast den Zapfenstreich ihres Hostels, und ein Strafzettel erwartet sie am nächsten Tag auch noch. Das alles auf eigene Kosten, schließlich ist es eine Promotion-Tour. So wartet für einen Gig ein trauriger Lohn von 50 Euro.

Immer wieder geraten Band und Label aneinander, wenn es darum geht, die Übernachtungen zu zahlen. Unterdessen jubeln die Musikblätter 1000 Robota zum next big thing hoch. Dabei spielt die Band meist vor halbleeren Hallen. Bei einem Konzert ist der Platz vor der Bühne so leer, daß Anton mit dem Veranstalter ausmacht, auf 100 Euro Gage zu verzichten, wenn er dafür 40 Leute auf die Gästeliste läßt. Nur will von den Teenies draußen keiner auf sein Konzert - nicht einmal umsonst. "Rave Punk? Nee, laß ma", winkt einer ab. Und auch als ihn Anton darauf hinweist, daß es sich um Wave Punk handle ("wie Joy Division"), nicht Rave Punk, überzeugt das den anderen nicht.

 

Die Diskrepanz zwischen der medialen Darstellung und dem tatsächlichen Anspruch beklagt auch Anton gegen Ende von "Utopia Ltd." An dieser Stelle hätte man es sich als Zuschauer gewünscht, wenn Trostel ihren Blick etwas erweitert hätte. Zum Beispiel, indem sie einen der Musikjournalisten zu Wort kommen läßt, der 1000 Robota zum "hot new shit" hochstilisiert. Genauso wie ein Statement von seiten Tapete Records dem Zwist der Rocker mit ihrem Label etwas mehr Objektivität verliehen hätte. So ist Anton für den Zuschauer das totale Medium und die einzige Informationsquelle.

Er verliest die Kritiken, genauso wie auch die Mails von Tapete. Zudem ist er es, der als Sprachrohr der Band fungiert, nicht nur, weil er ihr Frontman ist. Jonas sagt wenig, Basti noch weniger. Anton kristallisiert sich dadurch als Gesicht von 1000 Robota heraus, bildet die im Grunde ausschließliche Identifikationsfigur. Dabei verstört er mit seinem exzentrischen und narzißtischen Gehabe - er will mit 1000 Robota nicht an andere Bands erinnern, sondern andere Bands prägen und nennt sich dabei in einem Atemzug mit den Beatles - und gefällt zugleich durch seine offene und unverblümte Art.

 

Sandra Trostels Dokumentation vermittelt in ihren besten Momenten einen exzellenten Eindruck davon, womit sich junge Bands in unserer heutigen Medienlandschaft konfrontiert sehen. Wo ein Casting-Star auf den nächsten folgt und Phänomene wie Justin Bieber oder die Arctic Monkeys im Internet geboren werden. In der Tat dauert der Kult nur noch einen Klick lang, und die Frage, die "Utopia Ltd." unterschwellig stellt, lautet: Ist da noch Platz für echten Punkrock? Inwieweit läßt sich gegen das System rebellieren, wenn der eigene Ruhm von diesem abhängt?

Zugleich erinnert der Film nicht nur einmal an Rob Reiners Kult-Klassiker "This is Spinal Tap", wenn sich 1000 Robota mit leeren Hallen und lästigen Labels auseinandersetzen müssen. Ihren Namen generierte die Band daraus, daß 1000 für "sehr viel" steht und Roboter Menschen seien, die "nicht reflektieren und selbst Entscheidungen treffen, sondern für sich entscheiden lassen". Das "a" am Ende wiederum zeuge davon, daß die drei nicht so denken würden.

 

Letztlich kann man sagen, daß 1000 Robota dem Bandnamen gerecht wurden. Getreu den Ärzten fragten sie sich, ob das noch Punkrock sei: "Ich glaube nicht."

 

       

Florian Lieb

Utopia Ltd.

ØØØ 1/2

Leserbewertung: (bewerten)

Produktion: D 2011

Videovertrieb: Rapid Eye Movies

 

DVD Region 2

90 Min. + Zusatzmaterial

 

Regie: Sandra Trostel

Links:

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