Editorial_31. 10. 2007

Wie Röhrljeans den Rock´n´Roll ruinieren

Endlich wieder ein Editorial! Und weil wir vom EVOLVER bekanntlich für nix Zeit haben, mußten wir Eberhard Lauth - einen lieben Freund des Hauses - ersuchen, uns einen besonders gelungenen Beitrag aus seinem Weblog zur Verfügung zu stellen. Also: Indie ist (noch) nicht tot, klingt aber so!    07.11.2007

"Es liegt an den Hosen." Könnte man sagen - und das ist im Rahmen einer ganze drei Tage dauernden Premiere in meinem Leben auch so geschehen. Ja, es sind die Röhrljeans, die die Rockmusik kaputt machen, getragen von blassen Briten oder Amerikanern, die mit sicherem Gespür jegliche Form des synkopierten Rhythmus aus ihrer Musik heraushalten. Könnte ja sonst abwechslungsreich klingen.
Diese Sicht der Dinge erregte natürlich Widerspruch (die Dame trug Röhrljeans), war ja aber auch nur als Provokation gedacht. Selbstverständlich hat ein Hosenschnitt grundsätzlich nichts mit Musik zu tun, aber blöderweise ist in der Popmusik nichts grundsätzlich. Ganz im Gegenteil: Immer bestimmt auch das Bild, also das wörtlich übersetzte Image, die Bedeutung von Musik. Wie sich jemand kleidet, gehört da dazu - und damit auch, welche Hosen er trägt. Und Ende des Exkurses, wir sind hier ja nicht im Proseminar ...
Also: Die vergangenen fünf Jahre lassen sich als jene festmachen, in denen der so genannte Indie-Rock seinen endgültigen Sieg errungen hat - mit den Ohren des ambitionierten Pop-Hörers nachgehört, wohlgemerkt. Dem Gros der Musikhörer sind solche Erkenntnisse eher wurscht, weil zum Beispiel bald ein neues Album mit Walgesängen von Céline Dion ansteht, und diese Dame davon mehr verkaufen wird als all die Indie-Buberl zusammen.
Indie-Rock bedeutet, wie schon angedeutet und kurz zusammengefaßt: gitarrenlastige Popmusik mit wenig Melodie, wenig Signifikanz, wenig Spannungsbögen. Popmusik von Röhrljeansträgern wie den Dirty Pretty Things oder Interpol, um nur zwei von den zwei Millionen uniformer Stilpräger da draußen zu nennen. Oder Null-Funk-Musik - ein Begriff, den ich mir hiermit von jemandem ausleihe, der die ganze Causa nicht nur von außen, sondern auch als Praktiker beurteilen kann.
Dieser Spielart der Popmusik hat sich nun auch der Musikkritiker des "New Yorker" gewidmet, seinen Text mit dem schönen Titel "A Paler Shade Of White" versehen und darunter einen programmatischen Satz geschrieben: "How indie rock lost its soul". Auch Sasha Frere-Jones, so heißt der Autor, moniert in seinem Essay die Langeweile, die ihn befällt, wenn er von Berufs wegen auf Konzerte gerade angesagter Indie-Bands à la Arcade Fire (blöderweise habe ich da nachgegoogelt und erkannt: Die tragen keine Röhrlhosen ... verdammt) gehen muß.
Ihn beschleicht dabei immer der Verdacht, daß das Getue um die künstlerische Urgewalt dort oben auf der Bühne keine Entsprechung in der Musik selbst hat. "I´ve spent to many evenings at indie concerts waiting in vain for vigor, for rhythm, for a musical effect that could justify all the preciousness", schreibt er. Und weiter: "How did rhythm come to be discounted in an art form that was born as a celebration of rhythm´s possibilities?" Kurz zusammengefaßt: Alle reden vom Revival des Rock´n´Roll - und dann fehlt ihm jene Essenz, die ihm nicht erst seit Elvis´ Hüftschwung innewohnt, nämlich das Fahrige, Unberechenbare? Soll das alles gewesen sein?
Der Nachteil dieser Erkenntnis liegt natürlich auch auf der Hand. Der Vorwurf, ein älter werdendes G´scheiterl erkläre hier wieder einmal nachwachsenden Generationen, daß früher mit Elvis, dem James Brown, dem Hendrix, den Clash oder den sonstwie Legendären alles besser gewesen sei, ist leicht aus dem Text destilliert.
Der Vorteil ist, daß er bei all dem Lamentieren eines vergißt: Irgendwann ist auch die Röhrljeans-Phase vorbei. Man erinnere sich nur an die Ziegenbart-Invasionen der 90er Jahre als entbehrliche Nachwirkungen der Grunge-Jahre - alles vergessen. So wird es auch all den "blassen Weißen" im Sinne Frere-Jones´ gehen, die kein Interesse für die Segnungen der afroamerikanischen Wurzeln der Musik haben, die sie spielen. Der Troß, der sie heute noch mit Null-Begriffen wie stylishsexy assoziert, wird morgen weiterziehen. Sie werden ihre Röhrlhosen ausziehen. Sie werden von der Bildfläche verschwinden.
Wann das passieren wird? Keine Ahnung. Aber einen Tip wage ich: spätestens dann, wenn selbst Kate Moss nicht mehr mit Indie-Rockern schläft.

 

Redaktionelles PS: Seit kurzem besteht im EVOLVER übrigens die Möglichkeit, Leserbewertungen abzugeben. Worauf warten Sie noch?

Eberhard Lauth

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Kommentare_

bernhard - 05.01.2008 : 09.57
danke, mit diesem editorial hat man mir den frust über die "the....-bands" von der seele geschrieben. mir bleibt nur zustimmend zu nicken, weiter so!

Editorial
9. 5. 2008

Was kommt nach der Zeitung?

Gute Frage - wie unser geschätzter Gastautor Eberhard Lauth in seinem Weblog findet. Und weil auch wir uns seit vielen Jahren über dieses Thema den Kopf zerbrechen, haben wir ihn gebeten, uns seinen Eintrag als Editorial zur Verfügung zu stellen. Aber lesen Sie selbst ...  

Editorial
31. 10. 2007

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Endlich wieder ein Editorial! Und weil wir vom EVOLVER bekanntlich für nix Zeit haben, mußten wir Eberhard Lauth - einen lieben Freund des Hauses - ersuchen, uns einen besonders gelungenen Beitrag aus seinem Weblog zur Verfügung zu stellen. Also: Indie ist (noch) nicht tot, klingt aber so!  

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