Editorial_7. 5. 2009: Wort zum Donnerstag

Diplomkellner

Auch Pater Michael Hass hat einmal studiert - und zwar ordentlich. Deswegen ficht es ihn auch so richtig an, daß auf staatlichen und privaten Universitäten in den unheiligen Nullenjahren nur noch zukünftige Arbeitslose mit rosa Schleife herangezüchtet werden.    13.05.2009

"Früher waren richtige Akademiker", wisperte der Herr im Nadelstreif mir zu, als wir gemeinsam aus dem Beichtstuhl getreten waren. Wir waren beide erschöpft, weil er mir seine ebenso zahlreichen wie uninteressanten Sünden in allen Einzelheiten gestanden hatte - doch offenbar wollte er noch etwas loswerden, bevor er sich Richtung Altar und zu seinen 400 Ave Maria begab.

"Wie meinst du das, mein Sohn?" fragte ich den Beladenen und legte ihm gütig die Hand auf die nadelgestreifte Schulter.

"Schauen Sie, Pater, ich bin Professor ..."

"Hoffentlich ein ordentlicher", wandte ich scherzhaft ein, weil es immer heißt, der Kirche fehle es an Humor.

"Äh - ja, freilich. Aber es geht um was ganz anderes. Nämlich, daß heute jeder Trottel einen pseudoakademischen Titel kriegt. Und darin bin ich schuld, das heißt, nicht ich allein, aber die gesamte Kollegenschaft, die Universitätslehrkörper, das System."

"Wie das?"

"Überlegen Sie sich doch, Hochwürden: Als Sie und ich noch jung waren, da schloß man sein Studium an einer staatlichen Universität mit dem Doktortitel ab. Und die Welt wußte, wen sie vor sich hatte: jemanden, der seine Lehrjahre abgedient, seine Prüfungen abgelegt und eine Dissertation geschrieben hat. Einen Herrn Doktor eben - oder auch eine Frau."

"Und Gott sah, daß es gut war", zitierte ich sicherheitshalber aus der Bibel.

"Aber plötzlich waren die Magister da. Begonnen hat´s mit den Buchhaltern, die auf einmal nicht mehr an der Hochschule für Welthandel, sondern an der Wirtschafts-Universität studierten. Und wenn sie fertig waren, hießen sie nicht mehr Diplomkaufmann, sondern Magister. Buchhalter blieben sie trotzdem."

"Wem sagen Sie das?" Bedächtig schüttelte ich mein Haupt, um den Gedanken an die gewissenlosen Schurken, die den ohnehin schon fragwürdigen Kapitalismus in eine stinkende Verbrecherspelunke verwandelt haben, gar nicht erst Fuß fassen zu lassen. Zum Glück fiel mir eine kleine Geschichte ein: "Sie haben recht. Vor 25 Jahren oder so machte ein guter Bekannter von mir seinen Abschluß in Betriebswirtschaft. Und als er in heiterer Runde freudestrahlend erzählte, daß er nun Magister sei, erhielt er von einem der Veteranen aus unserer Mitte die lakonische Antwort: 'Wieso, hast a Apotheken?' Ja, so sahen wir das damals ..."

"Und so war es auch. Etwa um diese Zeit begann der Niedergang: Aus den Gymnasien kamen nur mehr Minderbegabte, die Matura war soviel wert wie zwei Eislutschker, und das Universitätswesen mußte sich dem anpassen: Alles wurde verschult, modulisiert, amerikanisiert - und wir haben aus Bequemlichkeit mitgemacht. Heutzutage wären wir froh, wenn wir nur das Problem mit den Magistern hätten."

"Ich nehme an, Sie sprechen von den vielen Bachelors, den Masters und den sogenannten Fiidiis, die heute herangezüchtet werden, um mit einem Jodeldiplom in der Tasche ihren Dienst in den Callcentern und Einzelhandelsketten unseres versklavten Kontinents abzuleisten", warf ich ein, um das Verfahren abzukürzen und kundzutun, daß ich ohnehin genau weiß, was gespielt wird. Weil wir Kirchenmänner ja nicht hinter dem Mond leben - und erst recht keine Theologen brauchen, die ihr gesammeltes Wissen über Gott und die Welt auf die Rückseite ihrer Visitenkarte kritzeln können.

"Ja, genau, diese PhDs, was soll das überhaupt sein?! Und die vielen Privatunis, die überall aus dem Boden schießen und weniger anzubieten haben als die Fernkurse, für die früher auf den Umschlagseiten von Romanheftln geworben wurde! Und die unzähligen Piefke-Studentlein, die sich seither nach Österreich verirren und hier alles besser wissen, obwohl sie zu Hause nicht einmal die Studienberechtigung zum Balkongärtner gekriegt hätten! Das ist doch katastrophal! Hören Sie mir überhaupt noch zu, Pater?"

Mein Beichtkind hatte recht. Ich war abgelenkt, weil ich mir gerade vor meinem inneren Auge ausmalte, wie ich auf einem Operationstisch lag, wegen einer harmlosen Muttermalentfernung vielleicht, schon halbbetäubt, und plötzlich ein flachsblonder, privat ausgebildeter Chirurg über mir aufragte, ein Emdii aus dem deutschen Norden, das Skalpell zückte und "Na, das wern wa schon hinkriegen mit den neuen Nieren, nich, Pastor?" bellte.

"Wie bitte? O ja natürlich", schreckte ich auf. "Wissen Sie was, mein Sohn? Sie beten jetzt 500 Ave Maria. Ab jetzt hilft uns nur mehr Gottvertrauen."

Pater Michael Hass

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