Kino_Zodiac - Die Spur des Killers

Aktenzeichen Z ... ungelöst

Der Polizeifilm der Siebziger ist wieder da: hart, realistisch, verfeinert mit ein wenig Melancholie und brillanten Dialogen. David Fincher hat einen spannenden und unaufdringlichen Film über die bis heute ungeklärten Morde des legendären Zodiac-Killers gedreht.    30.05.2007

"How can people be so cruel?" hören wir die Band Three Dog Night singen und blicken auf das Lichtermeer einer kalifornischen Großstadt. Die nächste Szene zeigt den Blick aus einem fahrenden Auto. Nächtliche Straßen gleiten vorbei. Ein Mädchen sitzt am Steuer. Die Frisur, die Musik, das Auto - es ist klar, wir befinden uns am Ende der sechziger Jahre. Ein junger Mann steigt ein, und die beiden, offensichtlich ein Liebespaar, fahren zu einem Aussichtspunkt. Bald ist der Parkplatz leer, doch dann biegt ein Wagen ein und parkt in unmittelbarer Nähe. Schon jetzt haben beide ein seltsames Gefühl, eine Vorahnung vielleicht. Als der Wagen schließlich startet und wieder losfährt, beruhigen sie sich wieder, doch die Ruhe ist nur von kurzer Dauer. Man hört abruptes Bremsen, quietschende Reifen - und schon ist das Auto wieder da. Dann geht alles sehr schnell. Der Junge will noch etwas sagen wie: "Hey, what´s up, man?", aber schon mitten im Satz steckt eine Kugel in ihm. Und der Killer spart nicht an Kugeln. Beide Jugendliche werden brutal niedergeschossen.

 

So sehr man auch damit gerechnet hat, daß genau das geschehen wird, so unerwartet und schockierend kommt es dann doch. Ebenso verlaufen im Film auch die anderen Morde. David Fincher zeigt einen Mörder, der nicht lange herumredet, sondern sofort handelt - und das filmt der Regisseur extrem realistisch. Bei ihm gibt es keine sich aufdrängenden oder gekünstelt wirkenden Perspektiven. Auch die Musik ist in diesem Moment nicht überpräsent, wie das sonst in Hollywood-Filmen quälend oft der Fall ist. Genau dadurch schafft Fincher aber die Spannung, sozusagen von innen heraus.

Der Mörder, der sich selbst den Namen Zodiac gibt, schickt handgeschriebene Briefe mit Zahlencodes und Hinweisen, von denen nur der Mörder wissen kann, an mehrere Zeitungen, unter anderem an den "San Francisco Chronicle". Dort arbeiten der dem Alkohol nicht abgeneigte Journalist Paul Avery (treffend besetzt: Robert Downey Jr.) und der junge Karikaturist Robert Graysmith (Jake Gyllenhaal), der von den anderen Journalisten nicht wirklich ernst genommen wird. Die beiden verbindet das Interesse an der Auflösung des Geheimnisses um die Identität des Zodiac-Killers.

Weitere Morde folgen. Auch die verantwortlichen Polizisten Dave Toschi (Mark Ruffalo) und Bill Armstrong (Anthony Edwards alias Dr. Green aus "Emergency Room") werden immer tiefer in den Fall hineingezogen. Doch der Hauptverdächtige Arthur Leigh Allen (John Carrol Lynch), dessen Befragung zu einem der beunruhigendsten Momente im Film zählt, muß leider aufgrund mangelnder Beweise freigelassen werden. Weder die Fingerabdrücke noch seine Handschrift stimmen mit denen des Zodiac-Killers überein.

Die schleichende Frustration, die bei allen Beteiligten eingesetzt hat, erreicht ihren Höhepunkt. Bill Armstrong, einer der Polizeibeamten, gibt seinen Dienst bei der Mordkommission auf; Paul Avery verfällt immer mehr dem Alkohol, verläßt halb freiwillig den "Chronicle". Der Karikaturist Robert Graysmith wiederum entwickelt eine regelrechte Obsession. Obwohl ihm alle raten, den Fall aufzugeben, da der Mörder auch jahrelang keinen Brief mehr geschrieben hat, kann er nicht anders: er muß ihn finden, sein Gesicht sehen. Immer wieder wird er von unheimlichen Anrufen heimgesucht. Aufgrund seiner Nachforschungen, die auf den Hauptverdächtigen Arthur Leigh Allen hindeuten, werden die Ermittlungen in den Neunzigern wieder aufgenommen. Bevor Anklage erhoben werden kann, stirbt Allen aber an einem Herzinfarkt. Graysmith behauptet, ab diesem Zeitpunkt keine eigenartigen Anrufe mehr erhalten zu haben. Das erfahren wir im Abspann des Films.

 

Wer schon bei David Finchers Film "Se7en" (1995) Schwierigkeiten hatte, trotz der Spannung den selbstgefälligen Umgang mit der Filmtechnik zu ignorieren und spätestens bei "Fight Club" (1999) die Nase voll hatte von all dem offenbar trendigen Schrott, sollte "Zodiac" auf jeden Fall eine Chance geben. Fincher überrascht in seinem neuen Werk durch Zurückhaltung. Schon im Vorspann prangt der Filmtitel nicht riesig über der Hälfte der Leinwand, sondern wirkt verhältnismäßig klein. Auch sonst setzt der Regisseur nicht auf Schaulust, wie etwa bei "Se7en", wo alles ins Extreme gesteigert wird, sondern auf Realismus und Trockenheit - und bleibt genau deswegen spannend bis zum Schluß.

Behutsam und fast beiläufig läßt Fincher das Privatleben der Figuren aufscheinen. Kurze Dialoge oder Szenen genügen, um zu wissen, worum es geht. All das erinnert in hohem Maße an die wirklich guten Polizeifilme und Polit-Thriller der sechziger und siebziger Jahre, bei denen man (als Zuschauer) die Zigaretten und den Schweiß der Bullen noch riechen konnte. Genannt seien hier nur "French Connection" (1971) von William Friedkin und "Die Unbestechlichen" (1976) von Alan J. Pakula, auch eine "wahre" Geschichte, in der die Journalisten Carl Bernstein und Bob Woodward von der "Washington Post" während des amerikanischen Vorwahlkampfes 1972 die Abhöraffäre der Republikaner aufdeckten und damit einen Skandal auslösten, der Präsident Nixon zum Rücktritt zwang.

Die Länge von "Zodiac" (fast zweidreiviertel Stunden), zugegebenermaßen eine Herausforderung, entspricht den Problemen der Personen, die sich mit dem Fall befassen. Langsam, aber stetig steigt bei allen die Frustration über die Unmöglichkeit, den Hauptverdächtigen Arthur Leigh Allen als Mörder festzunageln. Das ist übrigens auch eines der Themen des Films: der Gegensatz zwischen Fakten und Spekulationen, zwischen dem Polizisten Dave Toschi, der ebenso unter einer Art Sisyphos-Syndrom leidet wie alle anderen, und dem Zeichner Robert Graysmith. Toschi weiß, daß nur die Fakten zählen, klare Beweise, wie Fingerabdrücke oder die Übereinstimmung der Schrift. Doch die führen halt einfach nicht zur Aufklärung des Falles. Graysmith will das nicht einsehen, kämpft bis zum Schluß, trägt Aussagen zusammen und versucht Überzeugungsarbeit zu leisten.

Nicht umsonst wird explizit Don Siegels Selbstjustizkrimi "Dirty Harry" aus dem Jahr 1971 zitiert, der - auch auf den Ereignissen rund um den Zodiac-Killer basierend - eindeutig aus dem rechten, konservativen Eck kommt. Wer erinnert sich nicht an den zynischen, illusionslosen Inspektor Harry Callahan (Clint Eastwood, für alle, die es wirklich nicht wissen) und seinen Ausspruch: "Go ahead, make my day!", bevor er so richtig loslegte? In "Zodiac" sitzt die gesamte Polizeiriege im Kino, dem Mann National Theatre in Westwood (in dem übrigens auch "Zodiac" selbst vorgeführt wurde!), und sieht sich "Dirty Harry" an, Dave Toschi verläßt noch vor dem Ende den Saal. Später einmal fragt er Graysmith, ob er ernsthaft wie "Dirty Harry" enden möchte.

Vielleicht ist es die Verwendung des gleichen Kamerasystems, die an manchen Stellen an Filme von Michael Mann denken läßt (der sowohl "Collateral" als auch "Miami Vice" größtenteils mit High-Definition-Digitalkameras gedreht hat). Selbst wenn in "Zodiac" der sich von der Handlung immer wieder loslösende Blick eines Michael Mann fehlt, so ist er dennoch ein ausgesprochen gelungener Thriller, der etwas wiederbringt, was man schon vermißt hat: klischeefreie Spannung.

Tina Glaser

Zodiac - Die Spur des Killers

ØØØØ

(Zodiac)


USA 2007

157 Min.

Regie: David Fincher

Darsteller: Jake Gyllenhaal, Mark Ruffalo, Robert Downey Jr. u. a.

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Kommentare_

Der Hühnafloh von Idaho - 09.06.2007 : 14.49
Toller Artikel. Bitte mehr von Frau Glaser.
Zuckerbussi - 24.06.2007 : 01.24
Sehr schöner Artikel!

Der Film hatte meines Erachtens leider auch einige schwere Mängel und unnötig langwierige Teile. Würde den Film mit 7 von 10 Punkten bewerten. Er erinnert mich stimmungsmäßig sowohl an "All the President's Men" als auch an "The Usual Suspects". Beide würde ich allerdings höher einstufen. Bussi mit Zucker.

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