Kolumnen_Miststück der Woche – V/002: Once Upon A Time in Hollywood

Billie Eilish: "Everything I Wanted"

Noch warten wir auf das, was 2020 an neuer Musik bringen wird. Also halten wir kurz inne und blicken mit Manfred Prescher zurück in die mögliche Zukunft.    22.01.2020

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.


Das vor kurzem abgelaufene Jahr läßt mich doch eher ratlos zurück, aber das taten die Vorgänger auch. Die Charts boten die üblichen Misthaufen, in denen sich die eine oder andere Perle fand. Für ein paar Tage konnte man sich sogar daran erfreuen, daß Rap und Country zusammenfanden. "Old Town Road" hinterließ allerdings nur einen kurzen Eindruck, etwa so wie der strohtrockene Busch, der in Western immer über die verlassene Mainstreet kullert. Neu war das auch nicht, solche Kollaborationen gab es öfter schon, früher nannte man das mal Crossover, weil es damals ja auch noch die reine Lehre der stilistischen Abgrenzung gab. Doch heute, da man in Spotify-Playlisten alles möglich cross und over finden kann, ist Country-Hop nicht besonders ungewöhnlich. Sowas funktioniert durchaus, der Erfolg des Songs beweist es.

Wer es etwas geschmackvoller und dadurch haltbarer will, dem sei "Texas Son" von Khurangbin empfohlen. Die Psycho-Soul Band aus Houston holte sich den großartigen Leon Bridges dazu - und fertig war ein Ohrwurm erster Güte. Der ragt noch aus jeder Playlist heraus. Das Album dazu wird sicher klasse, aber wer hört heute schon noch Alben? Ausnahmen gibt es da freilich, zum Beispiel, wenn man auf intelligente Trinkerlyrik steht. Dann landet man zwangsläufig bei Faber oder Voodoo Jürgens. Wo der Schweizer sich manieriert und auch arrogant gibt, wandelt der Wiener relativ uneitel auf den Spuren von Leuten, die das nächtliche Zechen zur Kunstform erhoben - Qualtinger, Kurt Ostbahn oder Hans Moser. Der sang "Ich kann mein Schlüsselloch nicht finden" und zog dann auf ein weiteres Achtel, aus dem dann zu fortgeschrittener Stunde mindestens drei Vierteln wurden, ins nächste Wirtshaus weiter. Das diente, wie nun bei Voodoo in "‘S klane Glückspiel", meist dem Erkenntnisgewinn: "Des is mei Automat, auf den spü i immer/Immer kaunnst ned gwinna, des is scho kloar/Owa i muaß sogn, bis jetzt bin i im Plus/Waunnst a Serie host, muaßt sogn: 'Danke, Freunde, bei mir is heid Schluß!' ". Natürlich hält er sich nicht daran, denn Glück ist sowieso ein sehr vergängliches Gut. Den Satz dachte vermutlich bereits Uli Hoeneß, als er anno 1976 den finalen Elfmeter in den Belgrader Nachthimmel schoß, was die Nachtschwärmer in der Skadarlija schon damals nicht gestört hat. Weil immer kannst ned gwinna.

 

 

 

Damals, 1976, war ich noch ein Teenager im allerbesten Pickelalter und hatte den Kopf voller Zweifel an Gott, der Welt, den Menschen und dem ganzen Rest. Ich zweifelte an allem, bis auf den edlen Charakter von Hoss Cartwright. Und ich schrieb darob Gedichte, die gottlob zumeist in "Ablage 13" (Major Adolf Kottan) verschwanden. So machten es viele vor mir und so werden es, so die Welt nicht untergeht, noch viele nach mir machen. Genauso, wie es übrigens schon immer Liebeslieder gegeben hat und es sie immer geben wird.

Doch zurück zur Jugend: Um sich in schwermütige Gedanken zu versenken, braucht es in dieser Lebensphase eigentlich keinen Alkohol und keine Drogen. Mit solchem Zeug sollte der Nachwuchs sowieso vorsichtig sein und warten, bis die Fontanellen zusammengewachsen sind und das Rückgrat - hoffentlich - fertig ausgebildet ist. Außerdem hat man meist nicht genügend Taschengeld für den Stoff. Und das modern-juvenile Vorglühen führt vermutlich eher zu Filmrissen, als daß es neue Jimi Hendrixe oder Maeve Brennans hervorbringt. Jugendliche brauchen also eigentlich keine Hilfsmittel, um sich schöne Schwurbeleien auszudenken. Ihr eigener Gedankenkosmos reicht völlig. Manchmal, so wie vor ein paar Jahren Adele und Jake Bugg, erreichen sie mit ihrer Grübelei generationsübergreifend eine große Zahl an Menschen.


Jüngstes Beispiel ist Billie Eilish. Über die gerade eben erst 19 Jahre jung gewordene Songschreiberin ist vermutlich alles schon so oft und mit solchem Lobesüberschwang gesagt worden, daß zu vermuten ist, sie wird unter der Last der Erwartungen während der Produktion des Nachfolgers ihres rund 150 Millionen Mal verkauften Albums "When We Fall Asleep, Where Do Do We Go?" zusammenbrechen. Ich kannte mal eine Frau, die hatte - vermutlich hat sie es auch heute noch, es schlummert nur in den Tiefen ihrer persönlichen Vogesen - ähnliches Potential wie die Kalifornierin, aber sie zögerte, zauderte und spürte die Last der Erwartungen tonnenschwer auf sich. Wie schwer können Lorbeerkränze eigentlich sein? Billie Eilish folgen bei Spotify fast 55 Millionen Menschen, User oder wie auch immer man die virtuellen Unterstützer nennen mag. Für Billie selbst, für mich und für alle, die ihr Debütalbum mit seinen klugen Gedanken und dem Titel, der schon aus dem "Werther" von Goethe oder Plenzdorf stammen könnte, so schätzen, bleibt zu hoffen, daß sie sich einen feuchten Kehricht um die Erwartungen schert.

Mit dem neuen "Everything I Wanted" ist sie auf jeden Fall auf dem richtigen Weg: "Dachte, ich könnte fliegen/Also sprang ich von der Golden Gate Bridge/Niemand weinte/Niemand bemerkte es überhaupt/Ich sah sie genau dort stehen." Das darf man nur als Jugendlicher schreiben. Womit? Mit Recht! Weil es nämlich authentische Gedanken sind. Der Text erinnert mich an mein eigenes Geschreibsel: Das nun folgende Gedichtchen stammt aus dem Jahr, in dem man von Gary Numans "Are 'Friends' Electric" schockgefroren wurde und in dem XTCs "Making Plans For Nigel" der Jugend aus der Seele sprach - und ich? Ich war damals 18 Jahre alt und dichtete: "Jetzt ist das Arschloch 18/Und hängt ziemlich tot/Zwei Stunden lang/Bis ihn jemand lachend findet/Die Dachbodenstiegen zurücksteigt/Zwei Treibgasdeosprays holt/Und das Arschloch baumeln läßt/Mit 18".

 

 

Das Arschloch ist mittlerweile deutlich älter geworden, weiser wohl eher nicht. Denn die Weisheit der Jugend ist, siehe Billie Eilish, oft auch in späteren Jahren nicht mehr zu überbieten. Aber, liebe Billie, sie ist - im Lichte der Nacht betrachtet - auch nicht alles, was zählt. Ein Viertel in Ehren kann verbrauchte Weisheit zurückbringen. Aber nur nicht übertreiben, denn dafür ist die Phantasie zuständig. Womit sich der Kreis von Faber und Voodoo Jürgens zu Billie Eilish schließt.

Ich würde mich freuen, wenn Ihr nächste Woche wieder reinlesen würdet - dann gibt´s tatsächlich was ganz Neues. Bis dahin: Laßt uns froh und munter sein!

Manfred Prescher

Billie Eilish - Everything I Wanted

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Darkroom/Interscope Records 2019

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