Kolumnen_Miststück der Woche - V/012: Walk The Line

Dixie Chicks: "Gaslighter"

Sie sind unverwüstlich, die Dixie Chicks - seit 31 Jahren gibt es sie bereits. Manfred Prescher findet, daß es an der Zeit ist, ein Hohelied auf diese Band und auf Frauen um die 50 anzustimmen. Im Gegensatz zu einigen männlichen Überlebenden der goldenen Ära von Rock und Pop setzt diese Band nicht darauf, in Würde zu altern. Sie sammelt einfach Erfahrungen und bleibt dabei erstaunlich jung. Und das kann man dann auch wieder "in Würde altern" nennen ...    08.04.2020

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 

31 Jahre sind eine verdammt lange Zeit für eine Band - und natürlich hinterlassen diese Jahrzehnte ihre Spuren im Line-up einer Gruppe. Bei den Dixie Chicks zum Beispiel sind vom ursprünglichen Quartett nur noch die kreativen Köpfe Emily Robinson und Marty Maguire übrig. Ergänzt um die auch solo erfolgreiche Natalie Maines, besteht die Dreier-Formation aber schon seit 1994 oder ´95; man fand sich also schon vor dem großen Erfolg des eigentlich vierten Albums "Wide Open Space" und den drei bislang erschienenen Nummer-1-Nachfolgern zusammen.

Die Dixie Chicks stehen damit durchaus für Kontinuität und langsames Arbeiten, aber auch für eine Virtuosität, die man im Country-Mekka Nashville/Tennessee tatsächlich immer schon fand - mindestens aber seit jener Zeit, als die Carter Family die Berge herunter und ins Aufnahmestudio kam. "Aber die Chicks kommen doch gar nicht aus Tennesseee", erklärt die beste Liebespartnerin von allen. Und sie hat recht, das Trio stammt aus Texas: Robinson und Maguire aus Dallas, Maines aus Lubbock. Kenner der Materie wissen zumindest durch die Bücher von Kinky Friedman oder die Biographie von Willie Nelson, daß sich Leute aus dem "Lone Star State" Texas in der Kommerzmetropole Nashville, die eigentlich doch eher eine mittelgroße Stadt in einem weiten Land ist, sehr plagen. Es ist zu vermuten, daß sich Frauen in dieser sehr maskulinen Umgebung aus Plattenfirmen, Grand Ole Opry, Clubs und Studios besonders plagen, und das auch, wenn sie nicht explizit aus Texas, sondern wie die große Patsy Cline aus Virginia oder wie Dolly Parton sogar fast aus der Nachbarschaft kommen.

 

 

Die Dixie Chicks haben jedenfalls fast zehn Jahre gebraucht, um mit ihrer rockend-swingenden Mischung aus Bluegrass und dreistimmigem Gesang Erfolg zu haben. Vermutlich hat man ihnen in Nashville nahegelegt, die hinterwäldlerische Volkstümelei zugunsten von massenkompatiblen Pop-Elementen abzulegen. Diese Annahme der besten Liebespartnerin von allen teile ich, obwohl es dafür außer den schmissigen Hits keine Belege gibt. In Interviews, etwa mit dem amerikanischen "Rolling Stone", erzählt Emily Robinson eher, daß es am Anfang keine Gelegenheit gab, von der Musikbranche Nashvilles überhaupt irgendwie wahrgenommen zu werden. Die Chicks waren in Dallas und Umgebung durch viele Auftritte und drei beim kalifornischen Indie-Label Crystal Clear Records erschienene Platten längst ziemlich bekannt, bevor die hohen Herren in Nashville auf sie aufmerksam wurden - und die Geldzählmaschinen unter den Stetsons zu rattern begannen.

 

Mittlerweile haben die Dixie Chicks längst musikalischen Nachwuchs großgezogen, etwa die U.S. Girls, die allerdings nicht in den Staaten, sondern in Kanada geboren wurden. Diese auch schon seit fast eineinhalb Jahrzehnten existierende Formation klingt zwar nicht so sauber und rein nach Country-Pop - und sie hat noch andere Einflüsse, etwa auch Punk und Industrial, verinnerlicht. Aber im Selbstbewußtsein und im Wissen um ihre Qualitäten als Songwriterinnen und Musikerinnen erinnert sie durchaus an die frühe Phase der Dixie Chicks. Empfohlen sei ihr neues Album "Heavy Light" und die Single "4 American Dollars", die auf ihre swingende Art tatsächlich die Nähe zu Nashville sucht. Und falls jemand von euch fragt: Natürlich swingt Nashville traditionell auch.

 

 

 

Doch zurück zu den Dixie Chicks, die sich für ihr neues Album "Gaslighter" und die gleichnamige Vorab-Single gewaltige 14 Jahre Zeit gelassen haben. Während sie verschwunden waren, hat sich die Musikindustrie via Streaming-Diensten zu Ungunsten der Künstler runderneuert, wurde die Welt edsheeranisiert und folgt nun The Weeknd, Post Malone oder Billie Eilish, was man nicht schlecht finden muß. Genauso wenig wie die Tatsache, daß die Dixie Chicks so tun, als sei zumindest musikalisch nichts passiert, was aus ihrer Sicht auch durchaus so wirken kann - alles geht vorüber, aber Country-Musik bleibt Country-Musik. Jenseits von Bandgefüge und Studio hat sich die Welt der drei Künstlerinnen wohl aber doch verändert. Ohne zu sehr ins Private gehen zu wollen: "Gaslighter" ist eine Abrechnung mit dem Ex, wie sie manchmal nötig ist, wenn der Trennungsschmerz der Wut ("Wie kann man nur so dumm sein?" - Olli Schulz) auf den Verflossenen und auf sich selbst weicht. Dann wird das Gasfeuerzeug - der Gaslighter - zum wichtigen Werkzeug des Loslösens: Die Briefe, Photos, Tickets gemeinsam irgendwo zwischen Obereinherz und Lubbock besuchter Konzerte, die süßen Herzkrakeleien, also alles, was man eben nicht im Mail-Programm oder bei WhatsApp gelöscht hat, fallen einem Purgatorium zum Opfer. Da kann es leicht sein, daß der Gaslighter mehrfach nachgefüllt werden muß.

Hinterher, wenn die jüngste Vergangenheit den Flammen zum Opfer gefallen und "zu Asche, zu Staub" zerfallen ist, kann man mit Schmackes zum flotten "Gaslighter" der Dixie Chicks um die qualmenden Überreste der Zerstörungsorgie herumtanzen. Dazu paßt das neue Lied der ewig jungen Ladys perfekt. Wenn die Zerstörungswut verraucht ist, kann man es solange vergessen, bis es wieder gebraucht wird.

So, das war es für heute, ich habe zwischen all den Buchstaben hier nämlich vergessen, daß der Kaffee noch unter dem Siebträger steht und kalt geworden ist. Also zapfe ich mir einen neuen doppelten Espresso - und verweise euch mit all meiner Liebe zu euch auf die kommende Woche. Im kommenden Miststück erzähle ich euch dann was vom Pferd und von Jarvis Cocker.

Manfred Prescher

Dixie Chicks - Gaslighter

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Photos: © Sony Music / 4AD

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