Kolumnen_Miststück der Woche - V/001: The Man In The High Castle

Kitty Solaris: "Never Been Away"

Totgesagte leben angeblich länger. Ob das stimmt, weiß nicht einmal Manfred Prescher - und der weiß sonst so einiges. Sicher ist aber, daß das "Miststück" nach insgesamt 365 Ausgaben mehr oder minder sanft entschlief. Oder ins Koma fiel. Aber jetzt ist es wieder da. Mit einem passenden Song zum Start.    15.01.2020

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.

 
Eigentlich war das "Miststück" ja nie weg, denn wirklich alle bisherigen Kolumnen geistern immer noch im Netz herum. Manche davon sind noch immer frisch wie ein irischer Frühlingsmorgen, andere ranzig wie altgewordene Butter von irischen Freilandweiderindern. Und dann gibt es noch welche, die miefen schon beim Öffnen der jeweiligen Webseite auf EVOLVER oder kolumnen.de so, wie man sich den Gestank der Zombies in "Shaun Of The Dead" vorstellt. Aber deshalb muß man doch nicht unbedingt wieder neue Texte unter das Volk bringen, oder?

Nein, liebe Leser zwischen Elmshorn und Ebreichsdorf, zwischen Oberursel, Obereinherz und Obergurgl, das muß man nicht. Aber obwohl nun auch schon wieder fast genau drei Jahre zwischen jetzt und dem nicht ganz so granden Finale liegen, wird der Autor immer wieder nach neuen "Miststücken" gefragt. Das freut ihn - und eitel, wie der narzißtische Rest seiner von Grund auf geläuterten Person immer noch ist, spornt ihn jede positive Nachricht an. Zwar ist er eigentlich davon ausgegangen, daß der ganze "Miststück"-Kladderadatsch längst von der hinteren Moms weggespült und in den großen Ozean des Vergessens abgetrieben wurde, beziehungsweise in den Web-Archiven vor sich hingammelt und Speicherplatz wegnimmt. Aber das Internetz vergißt einfach nichts, es merkt sich jeden Scheiß.

Also danke für die nette Post und die hoffnungsvoll geäußerten Wünsche. Eine Leserin hätte gern einen "Miststück"-Podcast, vermutlich, weil ich – ganz im Sinne von Schulz und Böhmermann – so "fest und flauschig" bin. Dem Anliegen kann ich freilich erst einmal nicht entsprechen, denn vor den Podcast hat der liebe Gott, der hier "die Chefetage" heißt, ja erst einmal neue Texte gestellt (und somit angeordnet). Und das völlig zu Recht, weil von nichts kommt bekanntlich meistens nichts. Grundsätzlich ist die Idee mit dem Podcast schon ganz in Ordnung, aber für so etwas braucht man einen Partner, so wie seinerzeit Butch Cassidy den Sundance Kid brauchte oder wie meinetwegen Pumuckl erst eine Guitarre, um Ed Sheeran werden zu können.

Ich fürchte, alleine mit Autotune werde ich das mit den Podcasts nicht bewerkstelligen können. Das Tool will ich aber ohnehin den sich wie Schimmelpilze an den Wänden im alten Haus von Rocky Docky vermehrenden Deutschrappern überlassen - oder von mir aus den heillos überschätzten Bilderbuch. Nein, liebe Leser, das ist jetzt erst mal keine Generalabrechnung mit den Kunstschmockbubis oder den Hip-Hop-Depperln, denn sowohl im Werk der Band um Maurice Ernst als auch bei der rhythmusbetonten Herumreimerei findet sich immer wieder mal etwas auf bescheuerte Art Nettes: "Denn in mei´m Kopf sind alle tot wie ein Rockstar/Wärst du lieber Mona Lisa oder Pop Art" von RIN zum Beispiel. Oder "leih mir deinen Lada", was eigentlich "leih mir deinen Lader" heißen soll. Aber weil der Russe immer noch raucht wie ein Schlot, hat der Lada serienmäßig einen Zigarettenanzünder - und dort könnte sich das Smartphone ja auch aufladen lassen. Wir merken: Auch in der Provinz wird scheinbar moderne Musik gemacht. Der Rapper RIN stammt aus dem schwäbischen Nest Bietigheim-Bissingen, Bilderbuch kommen aus dem noch winzigeren Kremsmünster. Und wir merken außerdem, daß es früher vielleicht besser, aber auf jeden Fall nicht soviel anders war.

 

Es ist ohnehin fast so, als sei das "Miststück" nie weggewesen. Deshalb paßt der eine oder andere Alttext noch ganz gut, und deshalb ist es auch einfach, im Elfenbeinturm des hohen Schlosses zu sitzen und wieder neue zu schreiben. Es hat ja durchaus etwas Tröstliches, daß sich die Welt scheinbar verändert, aber eben letztlich doch bleibt, wie sie war. Ihr geht es, trotz Baby-Adolf, Polkappen- und Gletscherschmelze, trotz seltsamer Elektroroller, trotz Brexit oder Markus Lanz, wie uns: Es bleibt alles beim Alten, nur, daß das Alte zwangsläufig immer älter wird und das Neue schon alt aus der Jeansfabrik kommt.

Daß sich heute Präsidenten großer Nationen die Frisur teilen, das hatten wir schon zu Kennedys Zeiten. Neu sein mag, daß man als Vorlage für Farbe und Schnitt nun den Schweif von Jolly Jumper gewählt hat. Das ändert aber grundsätzlich nichts an meiner Behauptung. Insofern paßt das Lied der Berlinerin Kitty Solaris perfekt: "Never Been Away" ist eine Hymne der Beständigkeit, ein schöner, eingängiger, leicht folkiger Song, der nicht aus der Provinz stammt - obwohl er in seiner zeitlosen Schlichtheit auch in Obereinherz erdacht worden sein könnte -, sondern aus "Bärlin" (Horst Seehofer). Dort, irgendwo zwischen Berghain und Kantine Kohlmann, gilt die Künstlerin, die eigentlich Kirsten Hahn heißt, als Geheimtip. Zu Recht übrigens und überdies schon seit gefühlten Ewigkeiten. Solaris steht halt auch für Beständigkeit: sie trägt nicht nur Frisur und Sonnenbrille der in der schwäbischen Provinz geborenen Berlinerin Hildegard "Hilde" Knef auf - sie schreibt auch Songs, die 2020 so klingen, als seien sie schon 1978 oder 1995 dagewesen. Was die Lieder des neuen Albums "Cold City" vermutlich waren, so wie diese Kolumne auch.

 


Bevor ich für diese erste Woche aufhöre, muß ich noch mal auf den Podcast zurückkommen: Mir wird, falls tatsächlich Interesse besteht, nichts anderes übrigbleiben, als einen passenden Sidekick - von mir aus auch mit der Haarfarbe von Lukes Wundergaul - zu suchen. Ich werde beizeiten mit dem Matchen beginnen. Derzeit interessiert sich die Mehrzahl zumindest der Deutschen für ein textlich eigentlich unbedeutendes Stück Kinderchor. Die Kleinen bezeichnen die Großeltern darin als "Umweltsäue". Der Shitstorm danach übersteigt praktisch fast alles, vom Greta-Bashing bis Tempolimit-Gehate. Ich denke, während ich kopfschüttelnd durch die Posts navigiere, ohne hängenzubleiben, erstens an Harald Schmidt, der mal sinngemäß sagte: "Wieso soll ich den Alten dankbar sein? Weil sie erst alles zu Bruch hauen und es dann wiederaufgebaut haben?" Und ich denke zweitens daran, daß wir in der Hood auch ein Lied über Oma hatten, und das war - danke, Geraldino, für die Erinnerung an den Text - auch ganz schön gemein: "Komm, wir fressen unsre Oma, erst den Arm und dann das Bein, o welch köstliches Aroma, meine Oma, die schmeckt fein, doch irgendwann ist Oma alle, keine Frage, was kommt dann? Na, dann bau´n wir eine Falle, und dann ist der Opa dran."

Wir lesen uns nächste Woche wieder? Darüber würde ich mich freuen wie ein Schneekönig.

Manfred Prescher

Kitty Solaris - Cold City

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Solaris Empire 2018

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Kommentare_

Bruno Gellert - 15.01.2020 : 14.05
Ich hab es eigentlich nicht mehr für möglich gehalten... Miststück ist wieder da. Alles wird vielleicht gut.
Hellwig, Ursula - 16.01.2020 : 14.09
BRAVO!DU hast das Schreiben nicht verlernt...
Beate Binder - 19.03.2020 : 14.26
Lieber Autor, dass Du die große Kitty Solaris hier würdigst, ist für mich eine große Freude. Und wenn Du mit zeitlos "klassisch schön" meinst, teile ich Deine Ansicht. Beate aus Berlin

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