Kolumnen_Kolumnen, die die Welt nicht braucht #54

Ulysses versus Bonanza

Einsames Aufräumen ist das gemeinschaftliche Feiern unserer Zeit. Entsprechend miste auch ich ununterbrochen aus - Medien zum Beispiel, weil die sowieso verzichtbar sind. Vor allem Bücher werden völlig überschätzt.    27.11.2020

Eigentlich brauchen Sie nicht mehr als diese Kolumne, um irgendwas Irrelevantes zu erfahren oder sich über etwas noch Irrelevanteres aufregen zu können - was ja die beiden einzigen Dinge sind, die Medien leisten können. Zwar glauben Sie das jetzt einfach nicht, weil Ihnen das bisher noch keiner in dieser Ehrlichkeit gesagt hat; doch beides hat sich ja bereits im Verlauf dieses Absatzes geändert. So gewandelt, lesen Sie diese Kolumne ab hier als anderer Mensch weiter. Mission accomplished, mehr kann keine Kolumne leisten. Und diese hier ist heute aus gegebenen Anlaß auch mal ernsthaft.

Wie ich da also neulich so aufräume, fallen mir allerlei Bücher in die Hände. Jedes Buch von Palahniuk, der fast komplette Auster, beinahe alles von Murakami. Jedes beinahe ungelesen, weil ich bei allen dreien (und vielen anderen) den Fehler machte, erst zufällig ein, zwei lesenswerte Bücher zu lesen - nur um danach blind einfach alle Bücher des jeweiligen Autors zu kaufen (aber nicht zu lesen, weil schon das jeweils dritte fad war).

Ich gebe es zu: Seit Jahren langweilen mich die meisten Bücher. Es fällt mir zunehmend schwer, etwas zu finden, was mich über Seite 23 hinaus begeistert (Ausnahme bei Stephen King: über Seite 723 hinaus). Und wenn ich mal sowas finde, dann schaffe ich sofort alle Bücher des gleichen Autors an. Vielleicht aus der paranoid gesehen gut begründbaren Angst heraus, ein anderer Leser könnte sie mir wegkaufen.

 

Je mehr ich darüber nachdenke, desto irrer erscheint mir im Rückblick mein Buchkonsum. Als Beispiel dafür kann Ulysses von James Joyce dienen. Im zarten Alter von um die 20 erwarb ich das Ding, und das weiß ich, weil ich damals noch das Datum des Erwerbs im Buch selbst notierte. Stolz, als hätte ich einen zwei Meter langen Piranha geangelt. Dabei hatte ich nur ein Buch gekauft.

Ich weiß allerdings nicht mehr, was mich damals, vor 30 Jahren, zu diesem Kauf getrieben hat. Vielleicht fand ich beim hobbymäßigen Übersetzen von Finnegans Wake dessen Plot so packend, daß ich sofort losgezogen bin, als nächstes den Ulysses an einem Tag zu bezwingen. Vielleicht auch nicht. Und wie ich da also unlängst so aufräume, fällt mir eben der genannte Ulysses in die Hände. Die Wollschläger-Übersetzung bei Suhrkamp, lila, im Pappschuber.

"Bad decisions make good plots", lautet eine imho ziemlich dümmliche Autorenweisheit. Wahr ist daran, daß Protagonisten schwierige Entscheidungen fällen müssen. Ich zum Beispiel diese: Ulysses wegschmeißen - oder nicht? Ins Altpapier oder zurück ins überquellende Regal, zur (geplanten) Auslese nur jener wirklich wichtigen Bücher, mit denen ich ... ja, was eigentlich ... nun, vielleicht: mit denen ich alt werden möchte? Die noch im Regal stehen sollen, wenn man mich - die Füße voran - aus der Wohnung trägt? Die beim nächsten Umzug umzuziehen sich wirklich "lohnt"?

Also: Wegschmeißen oder nicht?

An dieser Entscheidung erkennt man sofort den Unterschied zwischen wilder Jugend (= den Ulysses kaufen, der Unlesbarkeit des Werks kühn die Stirn bietend, Platz im Regal habend) und milder Altersweisheit (= Weltliteratur wegschmeißen, der angeblichen Unwegschmeißbarkeit des Werks kühn die Stirn bietend, im Regel Platz schaffend, für Souvenir-Nippes).

 

Zufälligerweise, und ich erwähne das nur kurz am Ende, weil es in dieser Kolumne von immenser Wichtigkeit ist, quasi der Kern, entschieden sich meine Frau, die beste Ehefrau von allen, und ich noch am gleichen Tage, eine Folge Bonanza anzuschauen.

Das war zwar schlimmstes Gutmenschenkonzentrat, moralinsaurer als ein Fluor-Antimonsäure-Cocktail mit einem Spritzer Zitrone. Aber dennoch lustiger als jener Tag in Dublin.

Also ab in die Tonne mit James Joyce. Und Sie dürfen mich nun gerne Barbar nennen; mein Griechisch kommt ohnehin nicht über das in der Gastronomie als Gast Notwendige hinaus – und schon als Kind war mir Ursus (im Film) näher als Odysseus (im Buch). Aber, und das wird Sie hoffentlich trösten: Am Ende würde ich auch die Cartwrights rauswerfen. Alle miteinander. Nur Hop Sing dürfte bleiben.

 

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Zum dieskolumnigen Bilderrätsel:

 

"Welche Maske schützt wirklich?"

Andreas Winterer

Kommentare_

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