Kolumnen_Miststück der Woche - V/008: Wild At Heart

The Destroyer: "Cue Synthesizer"

Was für ein seltsamer Name - oder doch nicht? Destroyer heißen ein mediokrer Actionfilm und eine ziemlich extreme Metalband. Doch die schreibt man "Deströyer" und sie hat sich den Zusatz "666" an den Namen gehängt. Aber warum nennt nun ein eigentlich braver Kanadier sein Projekt The Destroyer? Naja, vielen Eltern fällt in puncto Nachwuchsbenennung auch nichts "G´scheites" ein, findet Manfred Prescher.    04.03.2020

Man kennt das ja: Langsam quält man sich aus dem Bett - und noch ehe man sich damit beschäftigen kann, mit Schwung und Elan in den Tag einzugreifen, wird man schon überrollt. Unter der Dusche, beim Rasieren, beim Frühstücken, im Auto: Immer hat man dieses eine Lied auf den Lippen, summt es vor sich hin, nervt damit die Umgebung. Dabei weiß man nicht mal, wie es dieses Miststück von Song überhaupt geschafft hat, die Geschmackskontrollen zu überwinden. In dieser Kolumne geht es um solch perfide Lieder.


Für den nun folgenden Satz müßte ich eigentlich zwei Euro ins Phrasenschwein werfen: "Namen sind Schall und Rauch."

Dieses geflügelte Wort geistert seit Menschengedenken durch den Sprachschatz und ist trotzdem nicht richtig - außer man gehört zu den Leuten, die über kein nennenswertes Namensgedächtnis verfügen. Denen gibt man dann besser die Telefonnummer, damit sie wieder Kontakt mit einem aufnehmen können und bis dahin Ruhe geben. Nein, ohne Namen geht es nicht; die sorgen dafür, daß man andere in all dem Getümmel und zwischen all den Neuveröffentlichungen wiederfindet. Denn wer kennt das nicht? Man hat dieses Miststück von Melodie im Ohr, kommt aber nicht darauf, wer es singt.

Aus diesem Grund hat der liebe Gott am neunten Tag das Internet und dann gleich "Shazam" - das Programm, nicht den Superhelden - erfunden. Man singt also sein Smartphone oder Tablet an, und was taucht normalerweise nach wenigen Sekunden auf? Richtig, die Namen von Künstler und Song. Dann stiefelt man los zum Amazon seines Vertrauens und kauft einen Tonträger oder streamt den Ohrwurm aus der Masse der in irgendeiner Soundcloud hinterlegten Liedschaften heraus. Wenn nun aber Hinz und Kunz nicht mehr auf Hinz, Kunz oder Schewardnadse, sondern mehrheitlich auf Destroyer hören, könnte es mit der Wiedererkennung schwierig werden. Aber wir haben ja noch den Songtitel.

 

Der Zerstörer, um den es hier geht, heißt eigentlich Daniel "Dan" Bejar, was ein richtig guter Name ist. "Bejar" klingt zwar leicht nach einem Volk aus "Star Trek: Deep Space Nine", läßt sich aber womöglich auch deshalb gut merken. Mitte der 1990er gründete er The Destroyer praktisch als Ich-AG, bevor er das Projekt auf Bandstärke vier anwachsen ließ. Federführend bleibt Bejar aber weiterhin, denn er schreibt die Songs und erzählt - wie sein Vorbild Leonard Cohen - die Geschichten. Daß er dabei wie eine Mischung aus Cat Stevens und Hardrocker aussieht, paßt eigentlich gut. Denn man soll sich kein Bild von ihm machen, sprich ihn auf irgendeinen Style festlegen. Man soll ihm zuhören, wenn er singt, spricht oder zur Sechssaitigen greift, die bei ihm auch mal zur Elektrokreischsäge mutiert. "Um Himmels willen", stöhnte da die beste Liebespartnerin von allen regelmäßig - bis sie eines Tages genauer hinhörte und verstand, wovon Bejar da zur Guitarre sang: von Gott und der Welt nämlich.

Wenn das neue, 12. Album "Have We Met" erscheint, hat er sich schon zu sehr vielen Dingen und Gegebenheiten Gedanken gemacht und diese vertont. Er baute goldene Brücken, sang über Töchter und hatte uns mit dem tatsächlich "Kaputt" betitelten, neunten Werk eine alternative und sehr intelligente Sommerplatte kredenzt. "Cue Synthesizer", die erste Single - oder was auch immer - zum neuen Werk ist im Vergleich eher defätistisch. Bejar ist, so scheint es, in all den Jahren, in denen er immer wieder knapp am Starruhm vorbeischrammelte, viel herumgekommen. Sein Fazit fällt ebenso knapp wie klar aus: "Anderswo ist es auch Kacke". "Been to America, been to Europe, it´s the same shit/Went to America went to Europe, it´s all the same shit."

Wie soll man mit dieser Erkenntnis umgehen? Das Urlaubsgeld gleich zuhause in Hochprozentiges investieren oder einen Teil  davon für die Zeit in St. Elsewhere aufheben und sich dort den heimischen Spirituosen zuwenden? Oder soll man doch was anderes versuchen?  Wie wäre es mit guter Musik? Bejars Rat ist ebenso einfach und zeitlos universell - fast wie bei "Play That Funky Music" von Wild Cherry oder "Dance To The Music" von Sly & The Family Stone: "Cue synthesizer/Cue guitar/Cue synthesizer/Wherever you are" - also musiziert er gegen die Ödnis an, die ihn überall umgibt. Das macht der gewöhnliche DJ natürlich ohnehin schon immer so, nämlich dann, wenn er die CD oder die Vinylscheibe "eincuet", also den Punkt festlegt, an denen der Track starten soll. Auf diese Weise hat man schon manch fades Introgedudel, möglichst bevor die Zuhörer und Tänzer sich gelangweilt weg- und anderen Dingen zuwandten, zugunsten eines harmonischen Übergangs "weggeschoben".

 

 

Bejar und seine Kumpane halten die Spannung in den Songs aufrecht, weil die Instrumentierung spannend ist. Die Gitarre dominiert oft, sie spricht mit dem Sänger und verleiht dessen Worten entweder etwas zusätzliche Unterstützung oder kontrastiert die Lyrics. Der Wohlklang, den The Destroyer auch im besten Cohen-Sinne draufhaben, wird immer wieder gebrochen. Aber er wird nicht "kaputtgemacht". Es ist nicht wie bei Daliah Lavi, die anno 1971 "Wer hat mein Lied so zerstört, Ma?" fragte. Denn erstens heißen Destroyer nur so, zweitens wollen sie nur spielen - und das durchaus virtuos. Drittens schließlich würden sie im Zweifelsfall ihre Songs selber malträtieren, weil man so etwas auch nicht Fremden überlassen sollte. Am Ende steht da eine schepps klingende Ruine, bei der ausgerechnet die Elemente erhalten blieben, die man selbst mit der musikalischen Abrißbirne zuvorderst platt gemacht hätte. Zerstörung kann, wenn man zerstören kann, auch etwas Gutes entstehen lassen. Das ist es, was Bejar meint, wenn er in Interviews von "gezielten Strukturauflösungen" und von Reduktion spricht. Manchmal ist es nötig, sich vom Ballast des Zuviel zu verabschieden - und sei es nur, um die schlichte Schönheit eines Liedes erkennen zu können.

Ob es in der nächsten Ausgabe des "Miststücks" viel Schönes zu entdecken gibt? Das müßt, dürft, könnt ihr naturelehmann selbst entscheiden. In einer Woche feiere ich mit euch die insgesamt 375. Ausgabe der Kolumnenreihe. Dazu lasse ich Spotify per Zufallsgenerator durch das riesige in irgendwelchen schwedischen Servern aufgetürmte Song-Gebirge stromern. Was der Dienst dann herausdestilliert, präsentiere ich euch als Playlist - und schreibe, was mir zu der vermutlich sehr kruden Auswahl einfällt. Bis dahin achtet darauf, daß ihr nicht zu einfältig seid, denn nur Wissen macht bekanntlich "ah!" Und nur Bildung hilft gegen Vogelschißgrippe.

Manfred Prescher

The Destroyer - Have We Met

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Cargo Music 2020

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