Print_Print-Tips 3/2007

Yes sir, we can boogie!

Komplett verrückte CIA-Killer, fleischfressende Dschungelpflanzen und ein kräftig austeilender Boxer stehen diesmal - neben Zombies, der Geschichte des Hair-Metal und einer Anleitung in Sachen Mashups - auf dem Programm.    23.08.2007

Jürgen Fichtinger

Rip Gerber - Pharma

(Heyne; Photo s/w)


Fleischfressende Pflanzen im Urwald? Über die haben wir doch erst vor kurzem in Scott Smiths "Dickicht" gelesen ... Stimmt - aber der Debütroman des diplomierten Biochemikers Rip Gerber hat mit Rucksackstudenten oder wilden Eingeborenen genausowenig am Hut wie "Mission Impossible" mit der Doppelnull. Stattdessen entwirft der ehemalige CIA-Mitarbeiter ein spannendes Abenteuerszenario rund um riesige Venusfliegenfallen, Schlingpflanzen mit "Tanz der Teufel"-Trieben oder hinterfotzige Fitzcarraldo-Wannabes. Alle Befürchtungen, hier trockenes Wissenschaftsgarn vorgesetzt zu bekommen, zerstreut Gerber gleich in der Einstiegssequenz, in der zwei lesbische Touristinnen ohne ihren Führer durch den Dschungel promenieren. Besagte Venusfliegenfalle nimmt die unausgesprochene Aufforderung "Eat me" nämlich gar zu wörtlich ... (Wenn Ihnen das etwas zu schlüpfrig klingt, keine Sorge - ist es nicht.)

Außerdem mit dabei: ein Team Urwaldwissenschaftler inklusive Ex-Ehemann und Vater, dessen Sohn auf Zwangsurlaub, ein durchgeknallter Dorf-Capo sowie jede Menge Dschungel und Genmanipulation. Nicht zu vergessen ein umtriebiger Pharmakonzern, der sich nichts um den hippokratischen Eid schert und durchaus dazu bereit ist, in Sachen Angebot und Nachfrage ein klein wenig nachzuhelfen.

Es sind Romane wie "Pharma" oder auch James Rollins´etwas ins Phantastische abdriftender "Operation Amazonas", die bei der Lektüre daran erinnern, wie sehr es der aktuellen Blockbuster-Landschaft an ordentlichen Abenteuerfilmen mangelt. Auch wenn B-Movies wie die beiden "Anaconda"-Schlängler nur einen Tropfen auf den heißen Stein darstellen, sollten uns die Schlipsträger und Geldsäcke der Traumfabrik wenigstens ein weiteres billiges Sequel bescheren, anstatt Milionen über Millionen in schalen Event-Blödsinn zu investieren. Schließlich hätte man aus dem Budget und der Laufzeit von Teil zwei und drei der Karibik-Piraten gleich drei bis vier ordentliche Regenwaldkracher produzieren können. Rip Gerbers "Pharma" ist jedenfalls prädestiniert für eine Verfilmung und zeigt nebenbei, wie unterhaltsam Naturwissenschaft sein kann.

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Joe R. Lansdale - Sturmwarnung

("The Big Blow", Shayol)


Vom feuchten Regenwald der Gegenwart zur texanischen Insel Galveston, Anfang des 20. Jahrhunderts. Dort will sich der schwarze Boxer "Li´l Arthur" nicht von Rassendiskriminierung und sozialen Barrieren aufhalten lassen und trainiert für den Rückkampf um den "Sporting Club"-Pokal. Den örtlichen Stadt-Zampanos ist es nämlich gar nicht recht, wenn ein "Nigger" die normalerweise weißer-als-weiße Trophäe sein eigen nennt, und so engagieren sie einen rücksichtslosen Totschläger. Doch nicht nur diese Kleinigkeit bedroht die scheinbare Idylle der Dorfgemeinschaft - ein gigantischer Hurrikan hält ebenfalls auf die Insel zu ...

Dieser knapp 170seitige Katastrophenroman läßt Stephen Kings "Sturm des Jahrhunderts" wie ein warmes Lüflein aussehen und liefert einen in typischer Lansdale-Manier verfaßten "pageturner", der die Bestie Mensch wieder einmal als gefährlichstes Monster von allen offenbart. Der für seine immer wieder lesenswerten SF-Veröffentlichungen bekannte Shayol-Verlag hat mittlerweile noch ein paar andere dringend lesenswerte Noir-Delikatessen im Programm, darunter auch Lansdales erstes "Hap & Leonard"-Abenteuer sowie James Crumleys "Land der Lügen". (Die bis dahin letzte Veröffentlichung eines "Hap & Leonard"-Romans erfolgte übrigens mit "Schlechtes Chili" in der legendären "DuMont Noir"-Reihe)

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James Grady - Mad Dogs

(No Exit Press; Farbphoto: © Nathan Grady)


Erinnern Sie sich noch an "Six Days of the Condor" oder Sydney Pollacks Verfilmung "Die drei Tage des Condor" aus 1975? Die Romanvorlage zum großartigen Agentenstreifen mit Robert Redford und Faye Dunaway in den Hauptrollen steuerte der mittlerweile 58jährige James Grady bei, dessen neuester Roman "Mad Dogs" zeigt, daß der US-Autor noch lange nicht zum alten Eisen gehört. Wenn seine vier verrückten Staatskiller inklusive einer "Deadlier than the male"-Schönheit aus einem geheimen Irrenhaus der CIA ausbüchsen, um ein gefährliches Komplott zu durchkreuzen, schleifen sie den Leser mit bis zum bitteren Ende. Gradys Narrenschiff besticht gleichermaßen durch den dichten Plot und die einer brennenden Zündschnur ähnliche Erzählweise, sorgt aber zwischendurch auch immer wieder für fröhliches Schmunzeln. Wenn den fünf Herrschaften nämlich unterwegs die verschriebenen Psychopharmaka ausgehen und die Pläne für ihre Aufdeckungs-Tour immer abenteuerlicher werden, beschleicht einen das Gefühl, ein zweites Mal über das Kuckucksnest zu fliegen. Mit diesem durchgeknallten Quintett hätte Schwester Mildred ihre liebe Not gehabt ...

Unbedingt lesenswert und hoffentlich auch bald in deutscher Übersetzung erhältlich.

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Robert Kirkman & Charlie Adlard - The Walking Dead #3/4: Die Zuflucht/Was das Herz begehrt

("Safety behind Bars"/"The Heart´s Desire", Cross Cult)


Sie marschieren ... Auch im dritten und vierten Teil von Robert Kirkmans Comic-Reihe rund um die lebenden Toten bleiben Zombies und Flüchtlinge einander nichts schuldig. Doch sobald es sich Rick und seine Gefährten in einer ehemaligen Strafvollzugsanstalt gemütlich gemacht haben und vor den ewighungrigen Freßmaschinen sicher sind, kommt die Gefahr von innen. Die dortigen Gefangenen haben ihre eigenen Pläne, ein scheinbar harmloser Wegbegleiter entpuppt sich als gemeingefährlicher Psychopath, und neu aufgestellte Gesetze erweisen sich als moralisch höchst bedenklich. Ein interner Machtkampf und Ricks zunehmende geistige Erschöpfung bringen das Gleichgewicht der jungen Gemeinschaft gefährlich ins Wanken.

Während sich "Resident Evil: Apocalypse" und "28 Weeks Later" im Kino um den Tschinbumm-Faktor in Sachen "Ruhet endlich in Frieden" kümmern, konzentriert sich Kirkman weiterhin auf das postapokalyptische Szenario, die Figuren und ihre Verhaltensweisen angesichts permanenter Lebensbedrohung. Bleibt zu hoffen, daß auch der demnächst erscheinende fünfte Band und seine Nachfolger weiterhin charaktergetriebene Geschichten erzählen - und davon bitte reichlich!

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Chuck Klosterman - Fargo Rock City

("Fargo Rock City: A Heavy Metal Odyssey in Rural North Dakota", Rockbuch)


Auch wenn die Milchgesichter von Tokio Hotel derzeit die Teenie-Massen zum Kreischen bringen, sind sie bestimmt nicht die ersten, die haufenweise Geld in Fönfrisuren, Accessoires und Schminke investierten. Da gab es schon laaange vorher Jungs wie Poison, Europe oder Mötley Crüe. Der in metallischen Dingen höchst bewanderte Musikjournalist Chuck Klosterman begibt sich auf eine Zeitreise zu den Ursprüngen des Heavy Metal, genauer gesagt des Hair- und Glam-Metal, und erzählt von einer Zeit, als "Hard Rock" und "Heavy Metal" zumindest von den Fans klar getrennt wurden - Keyboards galten damals noch als "schwul". Der autobiographisch angehauchte Geschichtsband steckt voll wunderbarer Pointen und Seitenhieben auf Kritiker, Gesellschaft sowie den kleinen Unterschied zwischen den Geschlechtern und ist eine unterhaltend-lehrreiche Lektüre, die in keiner Schulbibliothek fehlen sollte. Lediglich im letzten Drittel läßt Klosterman etwas nach, nimmt sich selbst zu ernst und beginnt gescheit zu reden. Doch zu diesem Zeitpunkt hat man ohnehin noch vor lauter Lachen Tränen in den Augen, sodaß der halbherzige Schluß nicht weiter stört.

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Jordan Roseman - Audio Mashup Construction Kit

(Wiley & Sons)


Von kreischenden Gitarren und dahinbretterndem Schlagwerk hin zu den treibenden Beats internationaler DJs: Letztere haben die Pop-Industrie längst in ihren Grundfesten erschüttert, deren immer fader werdende Aufgüsse revitalisiert und mit ihrem Bastard-Pop generell für musikhistorisch frischen Wind aus der Retorte gesorgt. Wenn Pink Floyds "Another Brick In The Wall" zu "Staying Alive" von den Bee Gees dahingroovt, in "I Was Made To Love Your Titties" KISS und The Trucks miteinander in die Schlacht ziehen oder sich Iron Maiden und Blondie zu "Call Me Phantom" vereinen, beginnen selbst Statuen mit den Zehen zu wackeln.

Jordon Roseman, Bastard-Poppern besser bekannt als "DJ Earworm", legt nun mit dem "Audio Mashup Contruction Kit" die erste gedruckte Anleitung inklusive dazugehöriger Software für den Nachwuchs vor. Von musikalischen Grundkenntnissen über technische Wegweiser bis hin zum Vertrieb und zu den juristischen Aspekten - hier erfährt der rhythmusbegabte Freibeuter die richtigen Tricks und Kniffe. Wer zusätzlich über einen breiten musikalischen Horizont verfügt, dem steht wohl fast nichts mehr im Wege, um für das nächste Bootie sein Scherflein beizusteuern.

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