Print_John Grisham - Anklage

Seifenblase

Das muß einem Autor erst einmal gelingen: einen Roman schreiben, in dem nichts passiert. John Grisham hat es geschafft.    08.04.2015

2008: Nach der Pleite der US-amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers platzt die große Immobilienblase. Weltweit verlieren Menschen nicht nur ihre Häuser, sondern auch ihre Jobs.

Auch Samantha Kofer, New Yorker Anwältin für Immobilien- und Baurecht bei Scully & Pershing, "der größten Kanzlei, die die Welt je gesehen hatte", steht plötzlich auf der Straße. Man stellt ihr eine Wiederbeschäftigung in Aussicht, bis dahin soll sie allerdings ein Jahr lang für eine Non-Profit-Organisation arbeiten. Dummerweise ist die einzige Stelle, die sie angeboten bekommt, eine Pro-bono-Kanzlei in Brady, einem Kaff in der entlegensten Ödnis von Virginia.

Trotzdem nimmt Samantha den Job an. Sie lernt die Gegend und deren Einwohner kennen, übernimmt ein paar Fälle von häuslicher Gewalt und Versicherungsbetrug, studiert die Akten, läßt sich ab und an über den Kohleabbau aufklären, der die Gegend um Brady bestimmt und sich nicht nur negativ auf die Natur auswirkt, sondern auch auf die Menschen, die reihenweise an der Staublunge erkranken. Gelegentlich schaut Samantha einem Anwalt bei den Prozessen gegen die Kohlebergwerksbetreiber über die Schulter, geht wandern, fährt durch die Gegend, telefoniert mit einer Freundin in New York, mit ihrem Vater, ihrer Mutter, sitzt mit ihren Kollegen zum Mittagessen zusammen, spielt mit deren Kindern oder macht irgendetwas, was auf Dauer ebenso belanglos ist. Spätestens nach 100 Seiten fragt sich der Leser: Und wann fängt die Geschichte endlich an?

Über diese Frage rätselt man auch nach 200 Seiten, nach 300 Seiten und ... als dann endlich der erwähnte Anwalt unmittelbar nach einer Klageeinreichung bei einem Flugzeugunglück ums Leben kommt, spielt es irgendwie keine Rolle mehr. Da hat man nämlich längst die Freude an der "Anklage" verloren, denn von der fehlenden Dramatik abgesehen sind einem auch die Figuren völlig fremdgeblieben. Sie machen zwar ständig irgend etwas, aber es ist bedeutungslos, hat keinen roten Faden, keine Handlung, geschweige denn, daß der Nicht-Plot überhaupt sympathische Charaktere schafft. Die Figuren sind blaß, ohne Konturen, ohne Reibungspunkte. Oder, kurz gesagt: langweilig.

Und das trifft leider auf das ganze Buch zu.

Marcel Feige

John Grisham - Anklage

Ø 1/2

(Gray Mountain)

Leserbewertung: (bewerten)

Heyne (D 2015)

Links:

Kommentare_

Print
Michael Connelly - Götter der Schuld

Der schmale Grat

"Götter der Schuld" werden die zwölf Geschworenen genannt, die im Gerichtssaal über die Schuld eines Angeklagten entscheiden. Nur was, wenn der unschuldig ist, die Beweise dafür aber fehlen? Marcel Feige klärt auf.  

Print
Katja Bohnet - Messertanz

Kleine Welt

Das Romandebüt der deutschen Autorin ist vieles: ein Thriller, ein Familiendrama, eine Rachestory. Vor allem ist es jedoch unbedingt lesenswert, wie Marcel Feige findet.  

Print
Stephen King - Basar der bösen Träume

Königliches Gemenschel

Hat´s der Schöpfer von Klassikern wie "The Shining", "Carrie" oder "Misery" nach all den Jahrzehnten immer noch drauf? Marcel Feige hat sich in seine neue Kurzgeschichtensammlung vertieft.  

Print
Michael Robotham - Der Schlafmacher

Mut und Konsequenz

Mit einem Robotham kann man für gewöhnlich nichts falsch machen, findet Marcel Feige. Sein neuer Roman ist allerdings eine Ausnahme.  

Print
John Grisham - Anklage

Seifenblase

Das muß einem Autor erst einmal gelingen: einen Roman schreiben, in dem nichts passiert. John Grisham hat es geschafft.  

Print
Greg Iles - Natchez Burning

WTF?

Der Rassenwahn in den Südstaaten Amerikas ist ein Thema, das den US-Autor Greg Iles nicht zum ersten Mal beschäftigt - diesmal allerdings ambitioniert und (fast) ohne Kompromisse.