Print_Thomas Fröhlich - Sherlock Holmes und das Geheimnis des Illusionisten

Use Your Illusion

Der philosophische Illusionismus lehrt, daß die Außenwelt nur scheinbar und in unserer Vorstellung existiert. Durchaus handfest hingegen ist Thomas Fröhlichs Theaterstück rund um die berühmteste Spürnase aller Zeiten.    01.07.2013

Der Wiener Autor Thomas Fröhlich läßt den unvergleichlichen Meisterdetektiv in seinem neuen Fall nicht etwa auf einen antagonistischen Bösewicht treffen - nein, Sherlock Holmes prüft die Wirklichkeit selbst in ihrer phantastischen Vielschichtigkeit auf Herz, Hirn und Nieren. Im neueröffneten Miskatonic Theatre werden der alternde Ermittler und sein treuer Begleiter Dr. Watson Zeugen einer mesmeristischen Soirée des Illusionisten Nyarlathotep. Die angekündigte Seelenwanderung zweier Besucher des Theaters, die auf die Bühne gebeten werden, verläuft mehr als erfolgreich, da neben dem quasi Feinstofflichen auch alles andere hinter dem Vorhang verschwindet.

Bei den Vermißten handelt es sich um Mina Harker und Humphrey van Weyden, was Holmes´ Ermittlungen nicht gerade erleichtert, da die beiden (wie der Leser weiß) doch ihrerseits Protagonisten fiktiver Geschichten sind: Harker, bestens bekannt als Gegenspielerin des Grafen Dracula, und van Weyden, der sich - eben vor dem Ertrinken gerettet - dem unberechenbaren Kapitän Wolf "Potato Chrusher" Larson, auch "Seewolf" genannt, ausgeliefert findet.

Der aus dem Zuschauerraum verschwundene Edwin Drood macht das Trio komplett und die Wirklichkeit so fragmentarisch wie Charles Dickens´ Romanfragment, dem er entsprungen ist. Mysteriöse Nachrichten von Bram Stoker und Jack London, die plötzlich in der Baker Street auftauchen, führen Holmes immer tiefer in ein Labyrinth unerklärlich scheinender Trugbilder.

So gerät in Fröhlichs Theaterstück die Einheit von Zeit und Raum zusehends aus den Fugen, was zu einem faszinierenden Gedankenspiel führt und natürlich einige Fragen aufwirft. Zum Beispiel: Bis zu welchem Ausmaß lebten und überleben die genannten Autoren in ihren Figuren? Wieviel Identität und Persönlichkeit waren sie zu opfern bereit, um ihre Protagonisten unsterblich werden zu lassen? Ist die Bereitschaft, in mancherlei Hinsicht verrückt zu werden, der Preis für die eigene Unsterblichkeit?

Liegt hier der Hund von Baskerville begraben?!

Nur jemand, dem künstliche Paradiese (so wie Charles Baudelaire sie verstanden hat) nicht fremd sind, wird in der Lage sein, die sich immer weiter verzweigenden Parallelwelten zusammenzuführen und diesen Fall zu klären. Und wer eignete sich für ein solches Unterfangen wohl besser als der geniale Sherlock Holmes, der ja selbst eine Legende ist. Aber damit geht er ganz locker um - oder doch nicht, Mr. Doyle?

Thomas Fröhlich versteht "Das Geheimnis des Illusionisten", wie er dem nicht minder unterhaltsamen Glossar zum Stück voranstellt, in erster Linie als Würdigung an das von ihm verehrte Genre der Kriminal-, Mystery- und Schauerliteratur. Damit fällt der Vorhang aber immer noch nicht endgültig.

Im Nachwort von Andreas Gruber erfährt der Leser von dessen erster Begegnung mit Fröhlich und wie aus dieser Begegnung Freundschaft und aus einer Erzählung Grubers das vorliegende Stück wurde. Die im besten Sinn des Wortes liebevolle und unprätentiöse Art und Weise der Schilderung dieser Ereignisse, das völlige Fehlen jeglicher Eifersüchteleien, wie sie Künstlern im Umgang miteinander unterstellt wird, wirft dann doch unweigerlich eine letzte Frage hinsichtlich einer potentiellen weiteren Parallelwelt auf: Wer von den beiden ist denn nun wirklich Sherlock Holmes - und wer Dr. Watson?!

Claudia Jusits

Thomas Fröhlich - Sherlock Holmes und das Geheimnis des Illusionisten

ØØØØ

Leserbewertung: (bewerten)

EVOLVER BOOKS (Wien 2013)

Links:

Kommentare_

Termine
Black Inhale live in Wien

Nothing but Pure Metal

Den Schwebezustand zwischen Underground und größer werdendem Bekanntheitsgrad meistert die österreichische Metalband Black Inhale fast mühelos. Davon kann man sich am 7. Mai in der Szene Wien überzeugen.
 

Stories
Geschenktips für das Christkind

Alle Jahre wieder

Claudia Jusits ist zwar etwas aus der Übung, was Briefe an das Christkindl betrifft - beschwört den Geist der diesjährigen Weihnacht aber mit einigen Werken, die sie selbst geschenkt bekommen hat. Motto: gepflegter Kontrollverlust. Sollte ihr (und uns) das zu denken geben?  

Termine
Simm City 2015

Heiße Nächte in Simmering

Nicht mehr ganz so böse Veteranen aus allen möglichen Metal-Spielarten, ein Ausflug in die Entstehungszeit des Rock´n´Roll sowie die Wiederkunft der UFOs und alten Götter - das alles und noch viel mehr erwartet Mutige, die sich in der finsteren Saison in den 11. Wiener Gemeindebezirk trauen.  

Print
Christoph Bochdansky - Anmerkungen zur Umgebung

Die Bochdansky-Identität

Wer sich vom spröden Titel abschrecken lässt, begeht einen groben Fehler. Dieses Buch ist imstande, die Welt der eigenen Erfahrungen derart auf den Kopf zu stellen, daß selbst Ohrensausen zum Schellengeklingel einer bunten Narrenkappe wird.  

Print
Andi Appel - Keine Gnade

Born to be Bartsch

In seinem ersten Buch widmet sich Andi Appel den österreichischen Hardrockern von Blind Petition - und nimmt dabei kein Blatt vor den Mund.  

Print
Veronika A. Grager - Gnadenlos

Katharsis Unchained

Auch in diesem Thriller taucht das schmerzhaft-beliebte Thema der Entführung und des Mißbrauchs von Kindern auf. In den Medien ist zwar seit Jahren von nichts anderem mehr die Rede, doch die Autorin versucht sich an einer anderen Methode der Aufarbeitung - über den Umweg der Kunst und der wünschenswerterweise daraus resultierenden Katharsis.