Stories_Berlinale 2009/Journal I

I like to be in America

Die ersten Wettbewerbsfilme der Berlinale zeigen europäische Regisseure bei ihrem US-Debüt, vom Krieg traumatisierte Soldaten, die an ihrer Resozialisierung scheitern, und ein Pärchen, das im Italien-Urlaub durch die Beziehungshölle geht.    13.02.2009

 

Es ist kein Geheimnis, daß der Wettbewerb auf der Berlinale nicht nur jene Sektion ist, die am meisten Aufmerksamkeit auf sich zieht, sondern auch die mit den schwächsten Filmen. Neben zahlreichen hochkarätig besetzten, meist profillosen Großproduktionen, die bereits einige Wochen später in die Kinos kommen, ist die Berlinale auch Plattform renommierter Regisseure, die man alle schon einmal in besserer Form gesehen hat. Die neuen Filme von Altmeistern wie Paul Schrader, Claude Chabrol und Theo Angelopulos laufen in diesem Jahr allerdings ohnehin außer Konkurrenz.

 

So auch Tom Tykwers The International, der das Festival am Donnerstag eröffnete. Die Tatsache, daß es sich dabei um den ersten Genrefilm des Regisseurs handelt, ließ Schlimmes vermuten, das sich aber letztendlich nur bedingt bewahrheitete. Ein etwas verkrampft wirkender Clive Owen kämpft in Tykwers US-Debüt als Interpol-Agent gegen die dunklen Machenschaften einer übermächtigen Weltbank. Statt Themen wie Globalisierung und Finanzkrise aufzugreifen, bleibt die Bank als Imperium mit internationalem Einfluß völlig austauschbar und das Augenmerk vor allem auf der konventionellen Inszenierung eines Thrillers. Alles in allem ist "The International" zwar ein solider Genrebeitrag mit einer beachtlichen Action-Szene im nachgebauten Guggenheim-Museum, so richtig in Fahrt kommen will der Film aber nicht.

 

Auch der französische Regisseur Bertrand Tavernier hat sich für In the Electric Mist in die USA begeben, um dort einen typisch amerikanischen Genrefilm zu drehen. In dem mit zahlreichen Noir-Elementen gespickten, gemächlich erzählten Südstaatenkrimi folgt der verbitterte Provinz-Detective Dave Robicheaux - Tommy Lee Jones spielt hier im Prinzip dieselbe Rolle wie in "No Country for Old Men" und "Three Burials" - der Spur zweier scheinbar unzusammenhängender Mordfälle. Je länger die Ermittlungen dauern, desto mehr scheinen sich auch Verbindungen zwischen der seit 40 Jahren in den Sümpfen verwesenden Leiche eines Schwarzen und einer Mordserie aus der Gegenwart zu erschließen. Tavernier erzählt - abgesehen von einigen surrealen Szenen, in denen Robicheaux Soldaten aus dem Bürgerkrieg erscheinen - eine recht gewöhnliche, wenn auch stimmungsvoll in Szene gesetzte Kriminalgeschichte. Wenn der Regisseur seinen Whodunit-Erzählstrang aber gegen Ende ins Leere laufen läßt, wirkt das wie ein verzweifelter Versuch, einem durchschnittlichen Film mehr Komplexität zu verleihen, als er eigentlich hat.

 

 

Beim Dritten im Bunde der europäischen US-Debütanten handelt es sich um den Schweden Lukas Moodysson, der sich nach seinen experimentellen Videoarbeiten "A Hole in my Heart" und "Container" einem ungewohnt konventionellen Familiendrama widmet. Mammoth handelt von einem New Yorker Yuppie-Pärchen (Gael Garcia Bernal und Michelle Williams) in der Identitätskrise. Gleichzeitig erzählt Moddysson anhand der philippinischen Haushälterin, deren Kinder und einer thailändischen Prostituierten von den Schattenseiten der Globalisierung. Ohne penetranten moralischen Appell und mit viel Zuneigung für die Figuren erzählt "Mammoth" in gestylten Bildern von der Suche nach dem persönlichen und finanziellen Glück. Auch wenn Moodysson im Vergleich zu Tykwer und Tavernier noch am ehesten seine künstlerische Handschrift - wie die langsamen Zooms der Kamera und die trashigen Pop-Songs - bewahrt hat, wirkt sein Stil im Vergleich zu früheren Filmen ein wenig verwässert. Warum der Film bei seiner Pressevorführung jedoch ausgebuht wurde, während die Kritiker einen Film wie die verkitschte Nazi-Romanze "Der Vorleser" frenetisch beklatscht haben, bleibt ein Rätsel.

 

 

Es hat sich unter der Leitung von Dieter Kosslick etabliert, daß viele der Wettbewerbsfilme aktuelle sozialpolitische Themen aufgreifen. Neben Moodyssons eher zurückhaltender Auseinandersetzung mit der Globalisierung beschäftigten sich unter anderem zwei Filme mit den Folgen des Irak-Krieges. Der dänische Beitrag Lille Soldat von Annette K. Olesen erzählt von der Soldatin Lotte (Trine Dyrholm), die traumatisiert aus dem Krieg zurückkehrt und in die zwielichtigen Geschäfte ihres Vaters verstrickt wird. Ihre Aufgabe besteht darin, die nigerianische Prostituierte Lily (Lorna Brown) zu ihren Kunden zu chauffieren. Als sie sich mit Lily anfreundet, ist sie schließlich von der Idee besessen, sie aus dem Teufelskreis der Prostitution zu befreien. Auf ähnliche Weise wie "Taxi Driver" oder vor einigen Jahren "Dias de Santiago" zeigt "Lille Soldat", wie sich Lotte wieder in die Gesellschaft einzugliedern versucht und kläglich daran scheitert. Der realitätsnahen Inszenierung der Regisseurin kann man nicht viel vorwerfen. Dafür, daß die Geschichte schon oft erzählt wurde, fehlt dem Film aber neben seiner blaßgrauen Ästhetik etwas, das ihn von anderen abhebt.

 

 

Um einiges besser gelingt das Oren Moverman in seinem Spielfilmdebüt The Messenger. Darin geht es ebenfalls um einen angeschlagenen Kriegsheimkehrer, der jedoch weiter im Dienst der US Army steht und die undankbare Aufgabe bekommt, den Angehörigen gefallener Soldaten die Todesnachricht zu übermitteln. Ganz ohne Filmmusik und mit einfachsten filmischen Mitteln zeigt "The Messenger" auf nicht ganz so hoffnungslose Weise wie "Lille Soldat", welche Auswirkungen ein Krieg auf die menschliche Psyche hat. Moverman widmet sich dabei vor allen seinen erstklassigen Schauspielern. Besonders Woody Harrelson als versoffener Armeeprolet sorgt für viele amüsante Augenblicke. Den Sog, den der Film am Anfang durch die detaillierte Schilderung von Wills Arbeit und ihren Regeln entwickelt, verspielt Moverman dann in der zweiten Hälfte ein wenig durch eine unmotivierte Liebesgeschichte.

 

 

Ein angenehme Überraschung gab es auch mit dem neuen Film der deutschen Regisseurin Maren Ade, die sich in ihrem Beitrag Alle Anderen nicht mit sozialpolitischen Themen auseinandersetzt, sondern mit banalen Alltagssituationen. Wie schon in ihrem Debüt "Der Wald vor lauter Bäumen", in dem Ade ihre Zuschauer mit einer nervtötenden Lehrerin quälte, zeigt auch "Alle Anderen" auf sezierende Weise die kleinen Grausamkeiten des menschlichen Zusammenlebens. Ein scheinbar harmonisches Pärchen wechselt in seinem Italien-Urlaub ständig zwischen extremen Gefühlszuständen. Mal lieben sich die beiden leidenschaftlich, mal brodelt tiefste Verachtung in ihnen, sei es zu beim Wandern oder beim Abendessen mit einem befreundeten Pärchen. Der Charme des Films besteht darin, daß er so unscheinbar daherkommt, wobei sich der Mangel an Dramatik bei der Laufzeit von zwei Stunden durchaus bemerkbar macht.

Das vorgezogene Resümee der diesjährigen Wettbewerbsfilme fällt gar nicht einmal so schlecht aus. Einmal abgesehen von Sally Potters prätentiösem Blue-Screen-Schwachsinn Rage gab es bisher zumindest noch kein wirkliches Ärgernis. Die kommenden Tage werden zeigen, ob es sich vielleicht doch mehr lohnt, in den weniger beachteten Sektionen des "Panoramas", des "Forums" oder der "Generation" nach Entdeckungen zu suchen.

 

Fortsetzung folgt ...

Michael Kienzl

Berlinale 2009


59. Internationale Filmfestspiele Berlin

 

Berlin, 5.-15. Februar 2009

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