Stories_R.I.P.: James Graham Ballard

Mythen der nahen Zukunft

Er war eine der wichtigsten Inspirationen der Industrial-Bewegung, der Schutzheilige der Cyberpunk-Autoren und der letzte legitime Nachfolger der Surrealisten: James Graham Ballard ist am Sonntag im Alter von 78 Jahren verstorben. Peter Hiess schrieb 1996, im Gründungsjahr des EVOLVER, ein Porträt über den großen britischen Schriftsteller - das wir jetzt als Nachruf wiederveröffentlichen: Back to the future.    21.04.2009

"Catherine sah mich bereits in neuem Licht. Respektierte sie mich, beneidete sie mich vielleicht sogar, weil ich einen Menschen auf die einzig legale Weise getötet hatte, mit der man heute noch einer Person das Leben nehmen kann? Der Autounfall wird im Inneren dirigiert von den Vektoren von Geschwindigkeit, Gewalt und Aggression. Reagierte Catherine auf das Abbild dieser drei, das, ähnlich wie auf einer photographischen Platte oder einem Illustriertenbild, in den dunklen Blutergüssen meines Körpers und den Umrissen des Lenkrads festgehalten war? Die Narben über der gerichteten Fraktur meiner linken Kniescheibe reproduzierten exakt die vorstehenden Schalter von Scheibenwischern und Standlicht. Als ich mich dem Orgasmus näherte, seifte sie ihre Hand alle zehn Sekunden ein, sie hatte ihre Zigarette vergessen und konzentrierte sich ausschließlich auf diese Körperöffnung von mir, wie die Krankenschwestern, die sich in den ersten Stunden nach meinem Unfall meiner angenommen hatten. Als mein Samen in Catherines Handfläche spritzte, hielt sie meinen Penis fest umklammert, als wäre dieser erste Orgasmus nach meinem Unfall ein einmaliges Ereignis für sie. ...
Ich nickte ihr freundschaftlich zu, während meine Hand unter der Bluse auf ihrer Hüfte ruhte. Ihr herrlich nymphomaner Verstand, der seit Jahren mit einer Diät von Flugzeugunglücken, Kriegsberichten und von in verdunkelten Kinos vermittelter brutaler Gewalt gefüttert wurde, stellte eine unverzügliche Verbindung zwischen meinem Unfall und all den alptraumhaften Fatalitäten der Welt her, die sie als Teil ihrer sexuellen Ausschweifungen wahrnahm. Ich streichelte ihre warmen Schenkel, spürte eine Träne zwischen ihren Beinen, dann spielte ich mit dem Zeigefinger mit der blonden Schamhaarlocke, die sich wie eine Flamme vom oberen Apex ihrer Vagina emporkräuselte. Ihre Lenden schienen von einem exzentrischen Kurzwarenhändler ausgestattet worden zu sein."

"Crash" (1973)

 

Die letale Verschmelzung von Fleisch und Stahl, Blut und Motoröl. Erotische Träume von Frontalzusammenstößen mit Filmstar Liz Taylor. Fetischistische Abhandlungen über den Eintrittswinkel der Lenksäule in den Körper des Fahrers und die Anordnung von Narben auf der Haut von Unfallprofis. James Graham Ballard, der Autor von "Crash" - dem 23 Jahre nach seiner Veröffentlichung von David Cronenberg, seines Zeichens Experte für das "neue Fleisch", verfilmten Kultbuch - bezeichnet sein Werk als "ersten pornographischen Roman des 20. Jahrhunderts".

"Die Lektorin meines Londoner Verlegers merkte zum Manuskript an: 'Der Autor dieses Buches ist jenseits psychiatrischer Hilfe' ", erzählt Ballard über die Entstehungsgeschichte seines visionären Romans zur Erotik der Automobiltechnik. "Die Frau war mit einem Psychiater verheiratet und hatte selbst Psychiatrie studiert. Wenn dir ein Psychiater zugesteht, daß nicht einmal er dir noch helfen kann, ist das eigentlich das größte Kompliment, das es gibt. Dann hast du absolute Freiheit erlangt."


"The handbrake penetrates your thigh - quick, let´s make love, before we die; on warm leatherette, warm leatherette. Join the carcrash set."
The Normal/Grace Jones - "Warm Leatherette"


Science-Fiction-Kennern, deren Ansprüche über formelhafte Weltraumopern und kindische "Star Wars"-Märchen hinausgehen, ist der Brite James Graham Ballard seit Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre, als die englische SF-"New Wave" ihre Blütezeit feierte, ein Begriff.

Ballard wurde 1930 in Shanghai geboren, erlebte dort mit, wie seine Familie durch die Ereignisse des Zweiten Weltkriegs ihre Existenzgrundlage verlor, und verbrachte einige Jahre seiner Kindheit in einem japanischen Kriegsgefangenenlager. (Die Erfahrungen dieser Jahre hielt er in dem Roman "Das Reich der Sonne" fest, der von Steven Spielberg verfilmt und daher - obwohl eher untypisch für sein Gesamtwerk - zum einzigen echten Bestseller des Schriftstellers wurde.) Erst nach Kriegsende kehrten die Ballards nach England zurück, wo James zur Schule ging und anschließend zwei Jahre Medizin studierte. Seinen Militärdienst leistete er bei der Royal Air Force in Kanada ab, wo er aus Langeweile Science Fiction zu lesen und bald einschlägige Stories zu schreiben begann. Schon sein erster Roman, die relativ konventionelle Weltkatastrophengeschichte "Der Sturm aus dem Nichts" (1961), verkaufte sich gut genug, um Ballard eine Karriere als hauptberuflicher Schriftsteller zu ermöglichen.

Nach dem Sandsturm, der die Welt zur unbewohnbaren Wüste macht, ließ Ballard weitere apokalyptische Bedrohungen aufmarschieren: eine auf die Verschmutzung der Meere zurückzuführende Trockenheit ("Die Dürre"), die geheimnisvolle Verwandlung aller biologischen Materie in kristalline Strukturen ("Die Kristallwelt") und ein Klimasturz, der den Planeten Erde zum heißen, urzeitlichen Dschungel macht ("Karneval der Alligatoren"). Schon hier gewinnt man als Leser den Eindruck, daß sich Ballards Protagonisten der Katastrophe hingeben, sie mit offenen Armen aufnehmen und den Evolutions/Devolutionsschritt begrüßen, ähnlich wie später Clive Barker in seinen Horrorstories die Monster zu fast sympathischen Erlösergestalten machte.


"Obwohl ich natürlich etwas voreingenommen bin, glaube ich fest daran, daß Science Fiction die wahre Literatur des 20. Jahrhunderts ist - und wahrscheinlich die letzte literarische Form vor dem Tod des geschriebenen Wortes und der darauffolgenden Herrschaft der Bilderwelt. SF ist eine der wenigen Formen moderner Belletristik, in der es ausdrücklich um Veränderungen geht - soziale, technologische und die Umwelt betreffende - und mit Sicherheit die einzige Form, die sich mit der Erfindung der Mythen, Träume und Utopien unserer Gesellschaft befaßt."
"Hobbits in Space?" (1977); in: "A User´s Guide to the Millennium"


Ende der 60er Jahre schloß sich Ballard der Science Fiction-"New Wave" an, der auch Autoren wie Michael Moorcock, Norman Spinrad, Thomas M. Disch und Brian Aldiss angehörten und die literarische Methoden der Avantgarde der 20er und 30er Jahre auf das Utopien-Genre anwandte. In der einflußreichen Zeitschrift "New Worlds" veröffentlichte er experimentelle Texte, die er als "condensed novels" bezeichnete und die provokante Titel wie "Plan für ein Attentat auf Jacqueline Kennedy", "Warum ich Ronald Reagan ficken möchte" oder "Das Attentat auf John Fitzgerald Kennedy unter dem Aspekt eines Autorennens betrachtet" (letzerer eine Hommage an Alfred Jarry) trugen. Die erste Auflage des Buches "The Atrocity Exhibition" (dt.: "Liebe und Napalm. Export USA" bzw. "Die Schreckensgalerie"), das diese komprimierten Romane zusammenfaßte, wurde wegen des zu erwartenden Skandals vom Verlag eingestampft.

In seinen traditionelleren Kurzgeschichten (gesammelt in Bänden wie "Der tote Astronaut", "Die Zeitgräber", "Myths of the Near Future" oder "Der vierdimensionale Alptraum") erforschte er den sogenannten "Inner Space", das innere Universum des Menschen im Zeitalter der Massenmedien, der institutionalisierten Fiktionen, der gescheiterten Weltraumprogramme und der Psychoanalyse.

Seine Protagonisten sind keine Action-Helden mit Lasergewehren, sondern Paranoiker, Endzeitphilosophen, Schizophrene und Depressive; seine Bilder und Landschaften - aufgegebene, verfallende Raumfahrtzentren, geheimnisvolle Wachtürme, postapokalyptische Kriegsszenarien - entstammen dem Reich des (kollektiven) Unterbewußten unserer Zivilisation und lassen die bevorstehende Verschmelzung von Biologie und Kybernetik vorausahnen. Im Roman "Hallo Amerika!" entführte der Autor seine Leser in die Ex-USA der nahen Zukunft: Über den fast menschenleeren, von Umweltkatastrophen verwüsteten Kontinent ziehen nomadische Stämme, und der einzige Rest "Kultur" findet sich in der Glitzerstadt Las Vegas, die von einem verrückten Wissenschaftler namens Charles Manson beherrscht wird.

Zu den bedeutendsten Werken Ballards gehört seine "Beton-Trilogie", die aus den Romanen "Der Block" (Yuppie-Wolkenkratzer degeneriert zum anarchischen, urmenschlich-kannibalistischen Chaos), "Die Betoninsel" (ein Mann schafft es nach einem Unfall nicht mehr, aus dem Niemandsland zwischen mehreren Autobahnzufahrten herauszukommen und beginnt ein Robinson-Dasein zwischen den Symbolen der industriellen Ära) und "Crash" bestand. Daß er - vor allem im letzten der genannten Bücher - "perversen" Sex zum Thema eines bis dahin zutiefst pubertären Genres erhob, machte ihm viele Feinde, trug ihm aber andererseits die bis heute währende Bewunderung des kulturellen Underground ein.


"Die Beziehung zwischen Sex und Science Fiction - oder vielmehr die faktische Abwesenheit von Sexualität im gesamten Genre - ist seit jeher rätselhaft. Die Lösung liegt meiner Ansicht nach in der Tatsache, daß Science-Fiction-Autoren eine echte Gemeinschaft kindlicher Gemüter bilden, die im allgemeinen jeder Veränderung mißtrauisch gegenüberstehen, politisch ultrakonservativ sind und angestrengt jeden Gedanken daran vermeiden, was Erwachsene nach Einbruch der Dunkelheit miteinander treiben."
"A User´s Guide to the Millennium" (1987); aus dem gleichnamigen Buch


Der amerikanische Subkultur-Verlag Re/Search widmete Ballard im Orwell-Jahr 1984 ein eigenes Buch mit Interviews und ausgewählten Texten; für die Cyberpunks der 80er und 90er Jahre wurde er nicht zuletzt dadurch zum Schutzheiligen.

"Ballard steht höchstens eine winzige Stufe unter Buddha, was seine Bedeutung für die Welt betrifft", schwärmte der Autor Richard Kadrey ("Metrophage"). "Er sieht Technologie auf eine völlig menschliche und sehr isolierte Art; sie ist für ihn ein Werkzeug, mit dem man die inneren Landschaften des Unterbewußten erforschen kann. Er ist eigentlich ein Surrealist. Er ist eine Ausdehnung der surrealistischen Bewegung und arbeitet mit den Mitteln des späten 20. Jahrhunderts."


"Wir leben in einer seltsamen Zeit - sie ist viel fragmentarischer als z. B. die späten 40er Jahre. Damals war alles Teil eines Ganzen, irgendwie faßbarer. Das geht jetzt vielleicht zu Ende. In einem gewissen Sinn wird die Zeit zu existieren aufhören: es ist völlig egal, ob man im Jahr 1982 lebt, oder 1992 oder 2002 - der Begriff einer einheitlichen Welt wird verschwinden.
J. G. Ballard im Interview


Was tut ein Science-Fiction-Autor, wenn sich die meisten seiner Prophezeiungen bewahrheitet haben und viele seiner Ideen von postmodernen Pseudodenkern durch den Schmutz des Feuilletons gezogen werden?
Ballard unternahm das einzig Richtige: er kehrte dem Genre den Rücken und wandte sich dem "Mainstream" zu - wenn auch mit Anklängen an den magischen Realismus. Nach dem Erfolg von "Das Reich der Sonne" schrieb er den Roman "Der Tag der Schöpfung", in dem ein Arzt in einem afrikanischen Dürregebiet einen zweiten Nil zum Entspringen bringt und dann in Begleitung eines widerlich zynischen Fernsehmachers zur Quelle dieses Naturwunders reist.

Die Novelle "Running Wild" beschreibt einen Massenmord mit Kindesentführung und beleuchtet auf überraschende Weise das Verhältnis zwischen Eltern und Kindern.

"The Kindness of Women" ist so etwas wie die Fortsetzung von Ballards autobiographischem Roman "Empire of the Sun" und erzählt von der Zeit nach seiner "Heimkehr" aus Shanghai nach England.

"Rushing to Paradise" (dt.: "Höllentrip ins Paradies" bzw. "Stürmt das Paradies") handelt davon, wie Tierschützer auf einer winzigen Pazifikinsel den Albatros vor der Ausrottung bewahren wollen und dabei entdecken, wer hier eigentlich die bedrohte Spezies ist.

Auch Ballards aktuelle Werke zeigen, daß er nichts von seinem schriftstellerischen Talent eingebüßt hat (und daß es sich auszahlt, seine älteren Bücher im Antiquariat oder der Bücherei zu suchen): "A User´s Guide to the Millennium" ist eine Kollektion von Essays und Rezensionen aus den letzten 35 Jahren, die in erfrischender Weise selbst abgedroschenen Themen noch neue, intelligente Aspekte abgewinnen.

Der neue Roman des Visionärs der Gegenwart handelt von einem erfolgreichen Reiseautor, der erfährt, daß sein Bruder an der Costa del Sol angeblich einen Brand gelegt hat, bei dem fünf Menschen ums Leben gekommen sind. Die futuristisch scheinende Umgebung dieses Thrillers ist längst Wirklichkeit: eine monotone, sterile Ferienkolonie am Meer, wo sich die Touristen verzweifelt nach immer extremeren Formen der Unterhaltung sehnen. Und auch der Titel des Buches gibt die Stimmung der ausgehenden 90er Jahre nahezu perfekt wieder. Es heißt "Cocaine Nights" ...


"Hat die Zukunft noch eine Zukunft? Je näher wir dem Jahr 2000 kommen, das wie ein bedrohlicher Planet vor uns aufragt, desto mehr Millenniumsängste werden aller Wahrscheinlichkeit nach in unser Leben eindringen. Erstaunlicherweise haben wir der Zukunft scheinbar den Rücken zugekehrt und neigen dazu, unseren Blick nostalgisch über eine verklärte Vergangenheit schweifen zu lassen, die damals kaum jemand wirklich miterleben durfte. Gegenwärtig dürfte es sogar weniger Millenniumskulte geben als vor 20 Jahren, in der Blütezeit der Moonies und des Maharishi. Vielleicht tritt unsere Fin-de-siècle-Dekadenz nicht in der Form schrankenloser Exzesse, sondern vielmehr als jener übersteigerte Puritanismus in Erscheinung, den wir bei den politisch Korrekten und in den verschiedenen moralischen Überzeugungen von Fitneß-Fanatikern, New Agern und Tierschützern erkennen."
"Back to the Heady Future" (1993); in: "A User´s Guide to the Millennium"

Peter Hiess

Woran ich glaube

von James Graham Ballard


Ich glaube an die Macht der Phantasie, die Welt neu zu erschaffen, die Wahrheit in uns zu befreien, die Nacht fernzuhalten, den Tod zu transzendieren, Autobahnen zu verzaubern, uns bei den Vögeln einzuschmeicheln, das Vertrauen Verrückter zu gewinnen.
Ich glaube an meine Obsessionen, an die Schönheit des Autounfalls, an den Frieden des überfluteten Waldes, an die Reize des verlassenen Ferienstrandes, an die Eleganz von Autofriedhöfen, an das Geheimnis mehrgeschoßiger Parkhäuser, an die Poesie verlassener Hotels.
Ich glaube an die vergessenen Startbahnen von Wake Island, die zum Pazifik unserer Einbildungen deuten.
Ich glaube an die geheimnisvolle Schönheit der Margaret Thatcher, an die Wölbung ihrer Nasenflügel und den Glanz auf ihrer Unterlippe, an die Melancholie verwundeter argentinischer Wehrpflichtiger; an das ruhelose Lächeln des Tankstellenpersonals; an meinen Traum, in dem Margaret Thatcher von einem jungen argentinischen Soldaten in einem vergessenen Motel liebkost wird, während ein tuberkulöser Tankstellenpächter dabei zusieht.
Ich glaube an die Schönheit aller Frauen, an den Verrat ihrer Phantasie, meinem Herzen so nahe; an die Verbindung ihrer entzauberten Körper mit den verzauberten Chrom-Geländern an Supermarktkassen; an die warme Duldsamkeit meiner eigenen Perversionen.
Ich glaube an den Tod des Morgen, an die endgültige Erschöpfung der Zeit, an die Suche nach einer neuen Zeit im Lächeln der Kellnerinnen von Autobahn-Raststationen, in den müden Augen von Luftüberwachern auf Flughäfen außerhalb der Reisesaison.
Ich glaube an die Genitalien großer Männer und Frauen, an die körperlichen Posen des Ronald Reagan, Margaret Thatcher und Prinzessin Di, an die süßen Düfte, die von ihren Lippen aufsteigen, während sie den Kameras der ganzen Welt ihren Respekt erweisen.
Ich glaube an den Wahnsinn, an die Wahrheit des Unerklärlichen, an den gesunden Menschenverstand von Steinen, an den Irrsinn von Blumen, an die Verseuchung, die die Apollo-Astronauten für die menschliche Rasse bereithalten.
Ich glaube an nichts.
Ich glaube an Max Ernst, Delvaux, Dali, Tizian, Goya, Leonardo, Vermeer, Chirico, Magritte, Redon, Dürer, Tanguy, die Watts Towers, Böcklin, Francis Bacon und an alle unsichtbaren Künstler in den psychiatrischen Anstalten dieses Planeten.
Ich glaube an die Unmöglichkeit der Existenz, an den Humor von Gebirgen, an die Absurdität des Elektromagnetismus, an die Farce der Geometrie, an die Grausamkeit der Arithmetik, an die mörderischen Absichten der Logik.
Ich glaube an halbwüchsige Frauen, daran, daß sie durch ihre eigenen Beinstellungen verdorben werden, an die Reinheit ihrer schlampigen Körper, an die Spuren, die ihre Vulvae in den Badezimmern schäbiger Motels hinterlassen.
Ich glaube an den Flug, an die Schönheit des Flügels und an die Schönheit von allem, was je geflogen ist, an den Stein, den ein kleines Kind wirft, und der in sich die Weisheit von Staatsmännern und Hebammen trägt.
Ich glaube an die Sanftheit des chirurgischen Skalpells, an die grenzenlose Geometrie einer Kinoleinwand, an das verborgene Universum in Supermärkten, an die Einsamkeit der Sonne, an die Geschwätzigkeit der Planeten, an die endlose Wiederholung unserer selbst, an die Nichtexistenz des Universums und die Langeweile des Atoms.
Ich glaube an das Licht, das Videorecorder in Kaufhausfenstern aussstrahlen, an die messianischen Einsichten der Kühlergrills in Autosalons, an die Eleganz von Ölflecken auf den Rümpfen der Boeing-747-Maschinen auf Flughafenrollfeldern.
Ich glaube an die Nichtexistenz der Vergangenheit, den Tod der Zukunft und die zahllosen Möglichkeiten der Gegenwart.
Ich glaube an die Gestörtheit der Sinne: an Rimbaud, William Burroughs, Huysmans, Genet, Celine, Swift, Defoe, Carroll, Coleridge, Kafka.
Ich glaube an die Architekten der Pyramiden, des Empire State Building, des Führerbunkers in Berlin und der Startbahnen von Wake Island.
Ich glaube an die Körpergerüche der Lady Di.
Ich glaube an die nächsten fünf Minuten.
Ich glaube an die Geschichte meiner Füße.
Ich glaube an Migräneanfälle, die Langeweile an Nachmittagen, die Angst vor Kalendern, das Verräterische an Uhren.
Ich glaube an Angstzustände, Psychosen und Verzweiflung.
Ich glaube an die Perversionen, an die Vernarrtheit in Bäume, Prinzessinnen, Premierminister, baufällige Tankstellen (schöner als das Taj Mahal), Wolken und Vögel.
Ich glaube an den Tod der Gefühle und den Triumph der Phantasie.
Ich glaube an Tokio, Benidorm, La Grande Motte, Wake Island, Eniwetok, Dealey Plaza.
Ich glaube an Alkoholismus, Geschlechtskrankheit, Fieber und Erschöpfung.
Ich glaube an den Schmerz.
Ich glaube an die Verzweiflung.
Ich glaube an alle Kinder.
Ich glaube an Landkarten, Diagramme, Codes, Schachspiele, Puzzles, Flugpläne, Airport-Anzeigetafeln.
Ich glaube allen Entschuldigungen.
Ich glaube allen Rechtfertigungen.
Ich glaube allen Halluzinationen.
Ich glaube allen Wutanfällen.
Ich glaube allen Mythen, Erinnerungen, Lügen, Phantasien und Ausreden-
Ich glaube an das Geheimnis und die Melancholie einer Hand, an die Freundlichkeit von Bäumen, an die Weisheit des Lichts.

Links:

Kommentare_

Print
Klaus Ferentschik - Ebenbild

Doppelgänger-Phantasie

In seinem neuen Roman erzählt Klaus Ferentschik von Spionen, verschwundenen USB-Sticks, Hagelkörnersammlern und Eisleichen. Das Ergebnis ist ein philosophisch-psychologischer Agententhriller, der mehr als doppelbödig daherkommt.  

Kolumnen
Depeschen an die Provinz/Episode 42

Du darfst ...

Gute Nachricht für alle Desorientierten und von Relikten der Vergangenheit Geplagten: Unser beliebter Motivationstrainer Peter Hiess zeigt Euch einen Ausweg. Und die erste Beratungseinheit ist noch dazu gratis!  

Kolumnen
Depeschen an die Provinz/Episode 41

Gleisträume

Will man sich in den Vororten verorten, dann braucht man auch die praktische Verkehrsverbindung. Der EVOLVER-Stadtkolumnist begrüßt den Herbst mit einer Fahrt ins Grüne - und stimmt dabei ein Lob der Vorortelinie an.  

Kolumnen
Depeschen an die Provinz/Episode 40

Weana Madln 2.0

Treffen der Giganten: Der "Depeschen"-Kolumnist diskutiert mit dem legendären Dr. Trash die Wiener Weiblichkeit von heute. Und zwar bei einem Doppelliter Gin-Tonic ... weil man sowas nüchtern nicht aushält.  

Kolumnen
Depeschen an die Provinz/Episode 39

Der Tag der Unruhe

Unser Kolumnist läßt sich von Fernando Pessoa inspirieren und stellt bei seinen Großstadtspaziergängen Beobachtungen an, die von ganz weit draußen kommen. Dort wirkt nämlich selbst das Weihnachtsfest noch richtig friedlich.  

Kolumnen
Depeschen an die Provinz/Episode 38

Schneller! Schneller!

Wie man hört, trainieren US-Soldaten in Manövern für die Zombie-Apokalypse. In Wien scheint sie bereits ausgebrochen. Der EVOLVER-Experte für urbane Beobachtungen weiß auch, warum.