Stories_Keiner kommt hier lebend raus

Keiner kommt hier lebend raus

John Ridley ist der schwarze Gigant des Noir-Romans. Martin Compart berichtet für den EVOLVER über eine neue Hoffnung der US-Unterhaltungsliteratur.    18.02.2004

Es gibt Romane, die gehören einfach nicht auf die Bestsellerliste. Das mag hart sein für Autor und Verlag, ist aber ein Naturgesetz. Denn wo der Pöbel trinkt, sind alle Brunnen vergiftet. Genau dies gilt auch für John Ridley, dessen Bücher bei uns anscheinend unter Ausschluß der Öffentlichkeit erscheinen.

Ridley, die große schwarze Hoffnung des Noir-Romans, gehört zu den neuen Giganten und entsorgte in bisher drei Romanen den amerikanischen Traum. Keine zehn Minuten möchte man in seiner Welt leben, aber jederzeit darüber lesen. Im Noir-Roman geht es nicht ums Gewinnen, sondern darum, das Verlieren so lange wie möglich hinauszuzögern. Kaputt und gescheitert, krabbeln Ridleys Protagonisten durch ihr übles Schicksal, verstecken sich in Suff und Dunkelheit, bevor sie langsam ins Nichts abrutschen. "Man kann der Vergangenheit nicht davonlaufen. Man kann sie nur ein bißchen verscharren", heißt es einmal. Seine Protagonisten sind Typen auf der Flucht, denen der Geldhai im Nacken sitzt und die nur eine Hand gebrauchen können, weil sie gerade die letzte Zahlungsaufforderung erhalten haben. Sonderlich sympathisch sind sie nicht, diese miesen kleinen Verlierer, die gerne jeden übers Ohr hauen wollen. "Jedes Jahr muß ich mehr Zeit aufwenden, um weniger Geld zu verdienen", sagt eine alte Nutte und stellt damit den allgemeinen Stand der Ökonomie fest. Ridleys unbarmherziger Kosmos ist pragmatisch: "Ich bin kein Mörder." "Woher willst´n das wissen, wenn du´s nie probiert hast?"

Gleich sein Romanerstling "Stray Dogs" war eine Sensation und bot den ganz harten Noir-Aficionados Frischfleisch. Oliver Stone besorgte sich umgehend die Rechte und machte daraus den unterschätzten Film "U-Turn": Als John Stewarts 64er-Mustang in dem Wüstenkaff Sierra verreckt, kann er sich völlig auf Murphys Gesetz verlassen. Am heißesten Tag des Jahres landet er in einem Ort voller Maniacs, Bekloppter und einer verdammt gefährlichen Frau. Nicht nur die Sonne brennt so erbarmungslos, "als marschierte man in benzingetränkten Shorts durch die Hölle". In der Wüste zu verdursten wäre ein gnädigeres Schicksal; wenn Stewart geahnt hätte, was auf ihn zukommt, hätte er die Feldflasche ausgeschüttet und wäre den Geiern begeistert entgegengeeilt. Was folgt, ist eine Noir-Farce, die sich James M. Cain und Charles Bukowski nach einem nicht wiedergutzumachenden Trinkgelage ausgedacht haben könnten.

In "L. A. Blues" geht es ganz tief in die Gülle von Los Angeles und Vegas. Die Geldverleiher von der harten Sorte brechen dem Ich-Erzähler Jeffty gleich auf der ersten Seite den Finger. Und das ist nur der idyllische Auftakt zu einer bösen Geschichte, die souverän zwischen unglaublich komischen Szenen und dunkelsten Abgründen balanciert. Jeffty, ein gescheiterter Drehbuchautor und miserabler Zocker, ist Kino-Fan: "Schwarze Serie. Die sollen bloß nicht so angeben. Selbst in den schwärzesten Filmen leben die Leute tausendmal besser als ich." Als sein alter Kumpel Nellis auftaucht, dem er einmal die Frau ausgespannt hat und der an der Nadel hängt, sieht Jeffty hinterlistig seine Chance. Denn Nellis kann Zen-Poker und verliert nie. Wer die besten Bücher von Elmore Leonard liebt, wird Ridley verschlingen.

Sein dritter Roman, "Everybody Smokes In Hell", liegt bei Ullstein noch auf Eis. Es ist wieder eine Loser-Geschichte, in der Paris Scott über das letzte Tape eines sich gerade umgebracht habenden Rockstars und einen Haufen Drogen stolpert. Natürlich hält Paris nicht die Chance seines Lebens in den gierigen Klauen, sondern eine Zeitbombe. Wieder geht es von L. A. nach Vegas - zwei Orte, die Ridley "mehr haßt als Krebs", Dreckslöcher, in denen man nicht leben mag. "Einfamilienhausghettos sind eine Spezialität von Los Angeles. Denn unsere Armen hatten Einfamilienhäuser, und unsere Schnapsleichen waren sonnengebräunt." Auch Las Vegas findet in seinen Augen kein Erbarmen: "Vegas für Familien? Schneewittchenschlösser und Vergnügungsparks, Schwuchteln, die mit weißen Tigern zauberten, und Pfeifen, die man nicht einfach ausnehmen und umbringen konnte. Was soll der Quatsch? Das Familien-Vegas lehrt die Kinder spielen, damit sie eines Tages ihr Geld hier verzocken."

John Ridley wurde in Milwaukee geboren. Er ging nach New York und studierte ostasiatische Kultur. Zur Abrundung des Programms begann er mit Shotokan-Karate. Eine Weile lebte er in Japan, versank in dieser Zivilisation und lernte auch die Sprache. Zurück in den USA, begann er eine Karriere als Stand-up-Komiker, die immerhin bis in die Spätnachts-Shows von Jay Leno und David Letterman führte. Deshalb wechselte er 1991 nach Hollywood und begann Drehbücher zu schreiben. Die Tretmühle eines Autors für "Black Sitcoms" nagte an ihm: "Für TV-Serien zu schreiben ist - bis auf wenige Ausnahmen - eine geistlose Fließbandarbeit, bei der man immer wieder dieselben blöden Gags recycelt. Aus reinem Selbsterhaltungstrieb schrieb ich meinen ersten Roman, denn ich liebe das Schreiben." Nebenher arbeitete er als Skript-Doktor für Visionäre wie Coppola und Oliver Stone, der 1997 Ridleys Regiedebüt "Cold Around the Heart" ("Menschenjagd") produzierte. Für diesen Noir-Film mit David Caruso wurde er in New York auf dem Urbanworld Film Festival (was immer das sein mag) ausgezeichnet.

Auch mit anderen Drehbüchern hatte Ridley Erfolg, etwa mit "Three Kings", das mit George Clooney verfilmt wurde. Außerdem ist er Koproduzent und Autor der höchst erfolgreichen TV-Serie "Third Watch", einer Art "NYPD Blue meets Emergency Room". Im Mai 2000 pitchte Ridley eine neue Serie über das Internet und war anschließend um eine Million Dollar reicher. Zusammen mit Sofia Coppola entwickelte er für den Kabelkanal HBO die Serie "Empire" über zwei Brüder, die eine HipHop-Plattenfirma leiten.

Aber seine große Liebe, das betont er immer wieder, ist der Roman. Daß bei seinen Zockergeschichten alles stimmt, hat nebenbei auch mit einer Frau zu tun: Ridley ist mit einer Berufsspielerin verheiratet. Und Ridleys literarische Frauengestalten sind die schlimmsten Femmes fatales der zeitgenössischen Kriminalliteratur - allesamt schwarze Witwen mit gehörigen Macken. Die tumben Protagonisten schnallen natürlich nichts: "Er musterte sie so skeptisch wie ein Urmensch, der zum erstenmal Feuer sieht." Seine geschlechtsspezifischen Analysen bestätigen einen Aphorismus von Nietzsche: "Der Mann ist böse, die Frau ist schlecht."

 

Martin Compart

Ridleys Romane


• "Stray Dogs" (1997; dt.: "U-Turn"; Ullstein)

• Love Is A Racket (1999; dt.: "L. A. Blues"; Ullstein)

• Everybody Smokes In Hell (2000)

• The Drift (2002)

• A Conversation with the Mann (2002)

• Those Who Walk the Darkness (2003)

Links:

Ridleys Drehbücher


• The Unprofessionals (in Arbeit)

• Undercover Brother (2002)

• Three Kings (1999)

• U-Turn (1997)

• Cold Around the Heart (1997)

Links:

Ridley als Regisseur


• Let Me Take You Down (2004; in Arbeit)

• Platinum (2003; TV-Serie, Episode 1.06: "Peace")

• Cold Around the Heart (1997)

 

Photo © Terry Johnson

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