Stories_Ketzerbriefe: Jörg Haider

Der König ist tot - es lebe der König?

Auch ohne seine Galionsfigur erzielte das BZÖ bei den Kärntner Landtagswahlen ein überraschend hohes Ergebnis. Und da justament in der aktuellen Ausgabe der "Ketzerbriefe" ein Nachruf auf Jörg Haider erschienen ist, wollen wir Ihnen nicht vorenthalten, was der "Bund gegen Anpassung" über den verstorbenen Landeshauptmann denkt.    04.03.2009

Die Nachricht vom Tod des bei Freund und Feind bekannten österreichi­schen Politikers Jörg Haider, der in der Nacht vom 11. auf den 12. Okto­ber 2008 bei einem Verkehrsunfall tödlich verunglückte, schlug in Öster­reich und insbesondere in Kärnten, wo er seit Jahren Landeshauptmann war, wie eine Bombe ein. In den folgenden Tagen wuchs die spontane öffentliche Anteilnahme der Bevölkerung zu einer Trauerbewegung an, die keinem europäischen Nachkriegspolitiker je zuteil wurde; Tausende warteten geduldig in endlosen Schlangen, um sich von dem Verstorbe­nen zu verabschieden, legten Bilder und Grußbotschaften nieder, stellten Trauerkerzen, die schnell zu einem weiten Lichtermeer wurden, am Vor­platz des Klagenfurter Landhauses auf, wo er aufgebahrt war. Der An­drang zu den Trauerfeierlichkeiten war so groß, daß die ganze Klagen­furter Innenstadt abgesperrt werden mußte, mehr als 25.000 Menschen, die mit Sonderzügen und Shuttle-Bussen anreisten, nahmen am Begräbnis teil. Für sie war "die Sonne in Kärnten untergegangen", so der zweifellos etwas sentimentale, aber die Verlustempfindung doch anschaulich wi­derspiegelnde Kommentar aus dem Volk.

Die Presse grummelte und knurrte nicht nur in Österreich, sondern auch in Deutschland und der Schweiz, angesichts dieser unverordneten, wirklich beeindruckenden Anteilnahme - im Unterschied zu medienbe­gleiteten, staatsorganisierten, peinlich aufgesetzt wirkenden Trauerfei­ern für irgendwelche x-beliebigen Kartellmarionetten - für den seit über zwei Jahrzehnten ohne Unterlaß als "Rechtspopulisten" und "Faschi­sten" verbellten Politiker und warf ihm den altbekannten Dreck auch ins Grab hinterher. Das Mißfallen der Medien darüber, daß ihr jahrelanger Propagandaauftrag offensichtlich nicht hatte voll erfüllt werden können, war deutlich zu merken; was die Herrschenden bzw. deren Lohnschrei­ber vom Volk halten, zeigte sich einmal mehr daran, daß sie Haider pe­netrant und unverfroren als "Rattenfänger" bezeichneten.

Haider war tatsächlich bei einem großen Teil der Bevölkerung sehr beliebt, bei den letzten Landtagswahlen in Kärnten erhielt er entgegen allfälliger Pressehetze immerhin 42 Prozent der Stimmen - im Gegensatz zu Hitler, in dessen Nähe er ja bösartigerweise oft gestellt wurde und posthum wird, hatte Haider die Medien, also die Sprachrohre der Herrschenden, immer gegen, Hitler dagegen schon lange vor 1933 immer für sich. Haider gab sich nicht nur volksnah, sondern war es; ließ es sich nie nehmen, auf Volksfesten ohne Ankündigung zu erscheinen, mit allerlei unbekannten Leuten ein Bierchen zu trinken und sich bei dieser Gelegenheit den Fragen aus dem Volk zu widmen. Kurzum, er war ein erfolgreicher Volkstribun, eben ganz unpejorativ "populi­stisch", was ja volksnah bedeutet. Er betrachtete das Volk nicht wie die Politikerkollegen vom Kartell als dummes Stimmvieh, er sprach aus, was das zumindest kleinbürgerliche statt von "Staatsknete" lebende Volk dachte, deshalb empfand es ihn als einen von ihnen. Wie weit er wirklich der "Anwalt der Schwachen" war - diese Formulierung war im Zusammenhang mit den Trauerfeierlichkeiten oft zu hören -, kann man kritisch überprüfen, daß er es überhaupt war und in jedem Fall mehr als irgendwelche Kartellbonzen, ist sicher.

 

Die Wahl Haiders bzw. des BZÖ (Bündnis Zukunft Österreich) und der FPÖ (Freiheitliche Partei Österreich) - ich werde auf die Spaltung des sogenannten dritten Lagers noch zurückkommen - war von Anfang an eine ge­gen die Presse, ein Indiz dafür, daß die Verblödung des Volkes durch den gleichgeschalteten Medienapparat nicht zwingend Erfolg zeitigen muß, der Faktor Volk also manchmal und zum Ärger von dessen Wär­tern ernstzunehmen bleibt. Jenseits der konkreten inhaltlich-­programmatischen Punkte ist die Wahl der sogenannten "Rechten" - völlig analog zu Deutschland (seinerzeit Schönhubers Republikaner, jetzt NPD oder DVU) und der Schweiz (Blochers SVP) - immer auch eine Protestwahl gegen den in fremdem Interesse agierenden Parteien­klüngel von S bis C bis F bis Grün, und das ist allemal besser als einfa­ches Gehorsamsblöken!

Unmittelbar vor Haiders Tod hatten knapp ein Jahr nach dem glän­zenden Wahlerfolg Blochers die "Rechten" in Österreich mit zusammen etwa 30 Prozent der Stimmen ein Schweiz-analoges Ergebnis erzielen können, und ohne die SP-typische Intervention wären es sicher noch mehr ge­wesen. Der Hauptgrund des aktuellen Wahlerfolges war zweifellos die von BZÖ und FPÖ auf die Fahnen geschriebene Ablehnung des EU-Reformvertrages (wer hat davon aus der deutschen Presse je etwas Brauchbares vernommen?), in Wahrheit ein Ermächtigungsgesetz nach Hitlers Vorbild im Dienste der USA (1), und ihre Forderung nach einem Referendum dazu - man sieht mal wieder, wie faschistisch! (Irgend­welche Schulreformen oder andere vergleichsweise peripheren Wahlkampfthemen hatten, so sehr sie da und dort in den Vordergrund ge­drängt wurden, allenfalls sekundären Charakter.)

Nachdem die Anti­-EU-Stimmung in Österreich in den Monaten vor der Wahl insbesondere nach der Ermutigung durch die Iren, die dem nach dem "Nee" und "Non" der Holländer und Franzosen pseudogelifteten EU-Vertrag die bitter notwendige Abfuhr erteilt hatten, noch mal deutlich zugenom­men hatte, gerierte sich dann plötzlich der SPÖ-Vorsitzende (Gusen­bauer) auch als EU-Gegner und forderte analog zu den "Rechten" die Volksabstimmung - als ob er und seine SP-Kumpane bzw. ihre regie­rende Partei nicht jahrelang Gelegenheit gehabt hätten, genau diese auch zu initiieren. Die Presse berichtete dann ausführlich über diesen angeblichen Streit in der SP, transportiert werden sollte natürlich der Gedanke, daß es ja auch in der SP ach sooo "EU-kritische" Stimmen gäbe, man also gar nicht "rechts außen" wählen müsse, wenn man den Reformvertrag ablehnt. (Merke: die SP ist immer die Notbremse, wenn das Volk gegen die Gleichschaltung das Hirn bewegt.)

Sicher ist diesem abgekarteten Spiel der eine oder andere auf den Leim gegangen, aber doch immerhin 30 Prozent nicht; dies ist dem offensiven Wahlkampf Haiders für das BZÖ und dem derzeitigen FPÖ-Vorsitzenden Strache zu dan­ken! Es wäre jetzt richtig spannend geworden - spannender als im weitgehend oppositionsfreien Deutschland bleibt es trotz Haiders Tod immer noch -, wenn die an völlig peripheren Punkten zerstrittenen Parteien des dritten Lagers ihre Kräfte unter der gemeinsamen Über­schrift "Volksabstimmung gegen EU-Diktat" nach dem gemeinsamen Wahlerfolg hätten bündeln können. Entsprechende Anstrengungen wa­ren unmittelbar vor Haiders Tod unternommen worden. Insofern hat die subjektiv berührende Trauer über Haiders Tod eine brandaktuelle objektive Komponente; allen US-Strategen und deren Lakaien ist zu­mindest ein mittlerer Stein vom eiskalt gegen das Volk kalkulierenden Herzen gefallen. Denn natürlich hätte unter gemeinsamer Führung des durchaus respektablen Strache und der bewährten Ikone Haider - er steht bei aller programmatischen Beschränktheit für Durchhaltevermö­gen, war da und dort vielleicht schwach und inkonsequent, ist aber nie zu Kreuze gekrochen - die Sache ein größeres Schwergewicht bekom­men. Ob es einem paßt oder nicht, es hängt oft viel an Personen.

 

Im Jahre 1986 wurde Jörg Haider in Innsbruck zum Bundesparteiobmann (= Parteivorsitzenden) der FPÖ gewählt, womit ein grundsätzlicher Kurswechsel der Partei von einer FDP-ähnlichen Funktionärspartei, die gerade noch mit 4,7 Prozent der Stimmen das Zünglein an der Regierungsbil­dungswaage spielen konnte (in Österreich gilt die antidemokratische 4-Prozent-Klausel; mit der noch volksfeindlicheren deutschen 5-Prozent-Klausel wäre mit Sicherheit der innenpolitische Verlauf in Österreich in den vergangenen 20 Jahren wesentlich anders verlaufen; man sieht, wie wenig manchmal reicht), zu einer kleinbürgerlichen Oppositionspartei verknüpft war. Mit ihm konnte der Stimmenanteil innerhalb weniger Monate bei der National­ratswahl 1986 knapp verdoppelt werden.

Die darauffolgenden Wahler­folge waren trotz massiver Hetzkampagnen gegen Haider nicht weniger beeindruckend. Der Erfolg basierte auf Forderungen, die den "kleinen Mann" betrafen und ihn angesichts zunehmender Arbeitslosigkeit schon längst beschäftigten. Das waren eine restriktive Einwanderungspolitik, also Stop des Lohndrückerimports, das Brechen des in Österreich be­sonders verfilzten Parteienproporzsystems, das jede Faser des öffentli­chen Bereiches überwucherte (2), und die Ablehnung einer EU, die nicht dem Wohl der Bürger, sondern deren Entmündigung durch einen euro­päischen Bonzenapparat dienen soll. Dabei handelt es sich um ein Pro­gramm, das auf Menschen zugeschnitten war, die von eigener Arbeit le­ben und nicht von Steuergeldern oder Mehrwert, sehr wohl von der Infla­tion entwertete Löhne und erhöhte Mieten zu spüren bekommen und lieber in Rentenkassen und Gesundheitsvorsorge zahlen, als eine parasi­tierende Kaste auszuhalten bzw. US-Aggressionen zu bezahlen.

In seinem Buch "Die Freiheit, die ich meine" drückte Jörg Haider 1993 seinen Standpunkt zur EU folgendermaßen aus: "(...) bei einem Machtzuwachs in einer 'demokratisch' organisierten Zwölfer-Runde von Ministern kommt die ech­te Demokratie, nämlich die des Bürgers und deren konstitutionelles Rückgrat, die Gewaltenteilung zwischen Legislative, Exekutive und Jurisdiktion, unter die Rä­der. Brüssel bestimmt, sei es die Kommission, sei es die Ministerrunde, zu oft über die Köpfe der Bürger hinweg." (3) Daß Haider und seine Partei trotz Kritiklo­sigkeit gegenüber dem Hase-und-Igel-Spiel "Gewaltenteilung" die De­mokratie ernstgenommen haben, zeigt sich demgegenüber in ihrer regen Volksbegehrenaktivität. Um den programmatischen Überblick kurz abzu­runden, sei Haiders Einsatz für Steuersenkungen und gegen die Demüti­gung der Raucher und Autofahrer erwähnt. Die Schnittmenge aller Punk­te ist der Erhalt des Wohlstands und der Bürgerrechte, Errungenschaften der Französischen Revolution und der Arbeiterbewegung, also alles ande­re als "rechts" - entsprechend gaben 44 Prozent der unter 45jährigen Arbeiter bei der Nationalratswahl 2008 FPÖ und BZÖ ihre Stimme.

Für diese menschenfreundlichen Programmpunkte ist von der ersten Stunde an gegen Haider gehetzt worden. (4) Nun, wenn die Aussage, daß bei gleichbleibendem Dividenden (Kuchen) und steigendem Divisor (Esser) das für den einzelnen übrigbleibende Kuchenstück kleiner wird, faschi­stisch ist, dann war Haider ein Faschist und mit ihm jeder, der die Grundrechenarten irgendwann einmal kapiert hat. Als Haiders FPÖ 1993 das Volksbegehren "Österreich zuerst" mit dem Kerninhalt einer restrik­tiven Einwanderungspolitik initiierte, setzte eine bis dahin in Österreich beispiellose Hetze ein.

Ich habe diese Atmosphäre aus Drohung und Gewalt seinerzeit als Schüler erlebt. Was mir als unpolitischem Menschen bei aller Einschüchterung aber doch auffiel und mir dank Haiders Ermu­tigung auch nicht mehr auszureden war, war die grobe Unlogik der Het­zer, wobei der Schröder-Duzfreund André Heller, der von seiner realen Villa und seinen besungenen Luftschlössern herabstieg und die Lichter­ketten gegen den mit Haider angeblich aufkommenden Faschismus or­ganisierte, sozusagen den Vogel abschoß. Seine Plakate liefen sinngemäß darauf hinaus, daß man deshalb mehr Einwanderer reinlassen solle, weil man ja auch brasilianischen Kaffee oder italienische Pizza importiere.

Die Mobilisierung wurde landesweit durchorganisiert. Schüler, die an Lich­terkettenaufmärschen teilnehmen wollten, wurden vom Unterricht frei­gestellt. Es war alles andere als ratsam, sich auf offener Straße als FPÖ-Anhänger zu erkennen zu geben, denn eine Parole des so rührselig dar­gestellten Lichtermeers, das unter dem Motto "Anständigkeit zuerst" firmierte, lautete: "Bringt die Nazis her, heut´ sollen sie brennen im Lich­termeer." Ein Arbeiter brachte in seinem Brief an Haider die Atmosphäre sehr anschaulich auf den Punkt: "(...) Nun zum Volksbegehren: Viele von meiner Abteilung waren fest entschlossen, zu gehen [das Volksbegehren zu unterschreiben, Anm. d. Verf.]. Aber die SPÖ legte 3 Wochen davor Rund­laufzettel mit dem Inhalt: Ich bin gegen das Volksbegehren (Name, Adresse, Un­terschrift) in jedem Büro aus. Diese blieben solange liegen, bis sich auch der letz­te Kollege eingetragen hatte. Man wurde sogar vom Chef dazu aufgefordert, sei­ne Unterschrift abzugeben. Und jeder unterschrieb. Wie kann man jetzt noch das Volksbegehren unterschreiben, wenn doch nun Name und Adresse GEGEN das Volksbegehren ausliegt? (...) Ich bin relativ jung, d. h. ich habe keinen 2. Weltkrieg mitgemacht und kenne Hitler nur von den Geschichtsbüchern. Aber so muß es damals wohl gewesen sein." (5)

Das Ziel, mit dieser konzertierten Aktion gegen das Volksbegehren das Volk einzuschüchtern und die FPÖ zu vernichten (in Deutschland ist dies ja bei den Republikanern weitgehend gelungen), wurde nicht erreicht. Das Volk ließ sich nicht das Hirn waschen und wählte weiter FPÖ.

 

1999 wurde dann die FPÖ mit knapp 28 Prozent der Wählerstimmen zweitstärkste Partei in Österreich und ging eine Koalitionsregierung mit der ÖVP ein. Daraufhin wurde wiederum massive, diesmal interna­tional koordinierte Hetze in Szene gesetzt. In ganz Europa schoß die Presse aus allen Rohren gegen den neuen "Faschismus" in Österreich, die EU verhängte erstmals in ihrer Geschichte Sanktionen gegen Öster­reich. Die entsprechende Erklärung der EU vom 31. 1. 2000 stellte eine grobe Verletzung der nationalen Selbstbestimmung dar und soll dem erinnerungswilligen Leser hier nicht vorenthalten werden: "Die Regie­rungen der 14 Mitgliedsstaaten werden keinerlei offizielle bilaterale Kontakte auf politischer Ebene mit einer österreichischen Regierung unter Einbindung der FPÖ betreiben oder akzeptieren; Es wird keine Unterstützung für österrei­chische Kandidaten geben, die Positionen in internationalen Organisationen anstreben; Österreichische Botschafter werden in den EU-Hauptstädten nur noch auf technischer Ebene empfangen."

Darüber hinaus wurden wissen­schaftliche Kontakte abgebrochen, Austauschprogramme aufgekün­digt, Städtepartnerschaften eingefroren und ein Kulturboykott verhängt. Aufgrund massiver Proteste gegen diese offene Mißachtung demokratischer Wahlen sowohl in Österreich als auch im europäischen Ausland (z. B. in Griechenland, Dänemark und Finnland) mußte die EU nach 8 Monaten die Sanktionen zurückziehen, sie hat nebenbei im glei­chen Zeitraum von Österreich 700 Millionen Euro Beitrag kassiert.

Par­allel zu den europäischen Sanktionen kamen unmißverständliche Dro­hungen direkt vom Weltherrn aus Übersee, die einmal mehr verdeutli­chen, wer der Stichwortgeber bei der Liquidierung der Demokratiereste in Europa wirklich ist. Die entsprechende Rede im US-Kongreß (8. 2. 2000) spricht in diesem Sinne für sich: "At a time, Mr. Speaker, when the European Union, the United States, and other democratic nations are wor­king actively to discourage ethnic hatred in the republics of the former Yugos­lavia and elsewhere, Joerg Haider and his neofascist allies are appealing to ra­cist sentiment and xenophobia (...) Therefore, we need to engage in a volunta­ry ban against tourism to Austria, the purchase of Austrian products, the use of Austrian airlines, and investments in that country. People need to under­stand that elections have consequences; and when 27 percent of the Austrian electorate chooses to support an extremist who has made complimentary re­marks about Adolf Hitler and who has repeatedly expressed the most obnoxi­ous, racist and xenophobic sentiments, the American people and the people of other civilized countries must respond (...) Democracy is not just elections; it is sharing of a set of values of free and open societies."

Was mit "consequences" gemeint war, darüber bestand ein halbes Jahr nach dem militärischen Überfall auf Serbien, auf den sich die Einleitung ja direkt bezieht, kein Zweifel. Kurze Zeit vorher hat eine große Mehr­heit der Österreicher (auch Haider und die FPÖ) noch gegen die Serben und Iraker mit den US-imperialistischen Wölfen geheult, innerhalb weniger Monate stand Österreich, wirtschaftlich und politisch isoliert, selbst als Alpen-Serbien auf der US-Abschußliste. Ja, so sieht die prakti­sche Seite von "freedom and democracy" aus, wenn man nicht die "set of values" des Herrn teilt.

Die Einschüchterung zeitigte Folgen. Haider zog sich, sicher selbst erstaunt über das Ausmaß der geballten Drohung und offenen Gewalt - die "Rechten" machen ihre (hier leider wirklich ewiggestrige) national-protektionistische Rechnung immer ohne den Weltherrn, der ja ein handfestes Interesse an der Ausplünderung und Verelendung Europas hat, wobei die "Rechten" eben stören - sowie konfrontiert mit Mord­drohungen (er mußte u. a. mit Polizeieinsatz aus einem Wiener Re­staurant, das von mit Pflastersteinen bewaffneten Antifa-Pogromisten umzingelt war, befreit werden), von der Bundespolitik nach Kärnten zurück, wo er Landeshauptmann blieb.

Die verbliebene farblose FPÖ-Regierungsmannschaft ohne Haider an der Spitze biß in den Jahren ihrer Regierungsbeteiligung chronisch in den Köder der von der ÖVP offen so benannten Strategie "Entzauberung durch Einbindung", statt dem leninistischen Prinzip, das Parlament als Tribüne zu nutzen, zu folgen. Sie ließ sich an Nebenfronten aufreiben und verlor die Haupt­sache aus den Augen. Das "rechte" Lager stimmte zwischenzeitlich sogar für die Ratifizierung des EU-Vertrages, was das Volk zu Recht mit drastischen Stimmverlusten honorierte. Die FPÖ zerfaserte in end­losen internen Streitereien (um des Kaisers Bart), was schließlich in der durch Haider betriebenen Abspaltung des BZÖ gipfelte, wobei tatsäch­lich substantielle Differenzen einfach nicht auszumachen waren und sind. Die Glanzpunkte Haiders und der FPÖ in dieser Zeit waren zweifellos die beiden Besuche des Landeshauptmanns beim von impe­rialistischer Gewalt bedrohten und umzingelten irakischen Präsiden­ten Saddam Hussein, demonstrativ und mutig genau zu dem Zeit­punkt, als die US-Lügenpropaganda in Vorbereitung des zweiten Überfalls auf den Irak auf Hochtouren lief, und das von ihm betriebene und durchgesetzte Überflugs-und Durchfahrverbot für die US-Mordmaschinerie. Nicht zuletzt dieses mutige Verhalten hat Haider zu Recht zur österreichischen Ikone gemacht. (6)

 

Das österreichische Volk hat jetzt, ermutigt durch die Franzosen, Niederländer und Iren - und damit sind wir wieder beim Ausgangs­punkt - die unzweideutige Haltung in der EU-Frage, zu der sowohl FPÖ als auch BZÖ zurückgekehrt sind und die ja im Kern die Forde­rung nach Selbstbestimmung der Völker statt US-Diktat beinhaltet, mit dem Rekordergebnis von zusammen 30 Prozent der Stimmen quittiert. Man wird sehen, ob das Vertrauen gerechtfertigt ist.

Wir haben zur Analyse der neuen "Rechten" schon öfter Stellung genommen, auch dazu, daß wir ihr nationalistisch-protektionistisches Programm deshalb nicht teilen, weil es schon mittelfristig nicht durch­führbar ist. (7) Der Internationalismus entsprechend unserer Parolen - Geburtenkontrolle, Arbeitszeitverkürzung, Gleichheit weltweit - ist die einzige vernünftige Menschheitsalternative; wer anderer Ansicht ist, ist zur offenen Debatte jederzeit willkommen. Das protektionistische, auf Wohlstandserhalt in einem Land gerichtete Programm der neuen "Rechten" kann dabei eine Zwischenstufe sein, einfach deshalb, weil jemand, der einmal anfängt, sich gegen Verelendung und Unrecht zu wehren, statt williges Stimmvieh und Knecht zu sein, eher auf den Ge­schmack nach einem lebenswerten Leben kommt als jemand, der mit Hartz IV dahinvegetiert und sich auch noch einredet, daß man "auch so glücklich sein" könne. Ich selbst kann als Österreicher, der seine Jugend unter dem Eindruck der Haiderschen Ermutigung verbracht hat, sagen, daß Haider für mich die Weichen für politisch-gesellschaftliches Bewußtsein gestellt hat. Es mag paradox klingen, aber ohne ihn wäre ich kein Leninist geworden.

An dieser Stelle sei dem braven Bundesdeutschen, der sich seinen Schönhuber hat weghetzen lassen, noch ins Stammbuch geschrieben, daß sich das langjährige Protestwählen für die Österreicher ganz unmetaphorisch ausgezahlt hat: In Österreich gab es in den Jahren 2000 bis 2008 eine Reallohnerhöhung von 2,3 Prozent im Gegensatz zum oppositionslosen Deutschland, wo die Reallöhne im selben Zeitraum um 0,9 Prozent sanken. Während Österreich über Jahrzehnte hinweg immer ein geringeres Pro-Kopf-BIP als Deutschland hatte, hat sich seit der Jahrtausendwende das Verhältnis umgekehrt. Im Jahr 2007 hatte Österreich ein ca. 10 Prozent höhe­res Pro-Kopf-BIP, die Benzinpreise sind ca. 20 Prozent billiger, die Zigaretten - die man zudem noch ungestört in Kneipen rauchen kann - günstiger und die Packungen voller. Hinter diesen Zahlen verbergen sich natürlich Milliarden von Euro, die beim Volk bzw. im Land blieben und nicht zugunsten des nimmersatten Uncle Sam geraubt werden konnten. Schade nur, daß auch die Haider-Hetzer und Kartellparteiwähler daran parasitieren.

Ich möchte den Nachruf auf Jörg Haider mit einem Bericht schließen, der den Eindruck bei meinem aus beruflichen Gründen notwendigen Umzug (1999) aus Haider-Österreich nach Deutschland nachzeichnet, und den atmosphärischen Unterschied zwischen einem Land mit Op­position und einem ohne dieselbe deutlich werden läßt.

Die Zugfahrt von Österreich, wo alles planmäßig verlief, hatte in Nürnberg den ersten Halt auf fdGO-Boden. Ab dort war Schluß mit planmäßig und pünktlich. Die in Eiseskälte am Bahnsteig Ausharren­den wurden im 15-Minuten-Takt vertröstet, der sogenannte "Bahnser­vice" gab keinerlei Auskunft, und am Ende hatte der Anschlußzug mehr als drei Stunden Verspätung. Als nach zwei Stunden ein wartender Passagier seinen Unmut äußerte und lautstark: "Scheiß Deutsche Bahn!" in die Menge rief, verschwand der "Bahnservice" und kam wenige Minuten später mit zwei Polizisten wieder, die den Mann sofort aus der Menge herausgriffen und wegen der getätigten, ja wohl mehr als berechtigten Unmutsäußerung seine Personalien aufnahmen. Gegen welches Gesetz hatte er eigentlich verstoßen?

Doch damit nicht genug. Als der Zug dann endlich eintraf, waren alle Passagiere völlig entnervt, und einige gingen ins Zugrestaurant, um ihren Frust mit einem Bier hinunterzu­spülen. Mir gegenüber saß ein verzweifelter Mann, der bereits sechs Stunden Verspätung erduldet hatte. Inzwischen hatte der Zug nach mehreren unplanmäßigen Stops zwei weitere Stunden Verspätung, und schließlich kam der Schaffner, der in unwirschem Ton ohne eine rechtfertigende Entschuldigung für die maßlose Verspätung auch von meinem Sitznachbarn die Fahrkarte verlangte. Empört über dieses An­sinnen verweigerte dieser die Aushändigung der Karte. Der Schaffner bestand darauf, der Mann blieb standhaft. Daraufhin verschwand der Schaffner, und alle Anwesenden freuten sich, daß sich mein Sitznach­bar durchsetzen konnte und der Schaffner eine Schlappe einstecken mußte. Nach einem weiteren unplanmäßigen Stopp an einem Bahnhof tauchte der Schaffner in Begleitung zweier Polizisten wieder auf, die die Personalien des Mannes aufnahmen und ihm mitteilten, daß der Schaffner Anzeige gegen ihn erstattet hatte ...

Zwei Tage später ging ich ordnungsgemäß auf das Einwohnermeldeamt meines neuen Wohnor­tes, das gerade in "Bürgerservice" umbenannt worden war. Ich re­gistrierte auf dem Hinweg abschließbare Mülltonnen, so etwas kannte ich bis dahin nicht. Die unwirsche Dame im Amt blaffte mich dann, ohne überhaupt von ihren gewichtigen Akten aufzublicken, statt einer mir bislang gewohnten Begrüßung gleich zu Beginn an: "Sind sie über­haupt schon in einer Müllgemeinschaft? Haben Sie schon eine braune Tonne?" Nun, den Empfang in meiner neuen Heimat hatte ich mir an­ders vorgestellt.

Lassen wir es bei diesen Beispielen bewenden, sie ließen sich leider endlos fortsetzen. Was sie deutlich zeigen, ist das inzwischen in Deutschland gewohnte Ausmaß polizeilicher Schikane und behördli­cher Anmaßung, von dem Österreich dank Haider und des ihn wäh­lenden ungehorsamen Volks immer noch, trotz zunehmender EU-Gleichschaltung, deutlich entfernt ist. Ein knechtisches, nach Pressedik­tion wählendes Volk bekommt die Fußtritte gratis, so richtig beschwe­ren darf es sich dann allerdings nicht!

Ketzerbriefe

aus: Ketzerbriefe Nr. 151

Bund gegen Anpassung/Ahriman-Verlag


(erschienen Februar/März 2009)

 

Text: Bruno Zweistein

 

(1) Dazu grundsätzlich und ausführlich KB 148/149.

 

(2) In diesem Ausmaß handelte es sich dabei um ein Relikt aus der mächtigen Büro­kratie der k.-u.-k.-Monarchie und des ständestaatlichen Dollfuß-Faschismus. In Österreich teilten sich demnach die beiden (ehemaligen) Großparteien SPÖ und ÖVP praktisch alle Bereiche des öffentlichen Lebens (Banken, Versicherungsanstalten, Landwirtschafts- und Handelskammern, bis hin zu Autofahrer- und Sportvereinen) untereinander auf. Ohne Parteibuch oder Empfehlungsschreiben konnte man prak­tisch nichts erreichen. Als ich mich seinerzeit z. B. um einen Studentenheimplatz be­warb, mußte ich neben den üblichen Unterlagen ein Empfehlungsschreiben eines Funktionärs mitschicken, ansonsten wäre es aussichtslos gewesen, einen Platz zu be­kommen. (Ein katholisches Heim kam wegen meines gerade vollzogenen Kirchen­austritts nicht in Frage.) Mit viel Mühe und Aufwand gelang es mir schließlich über fünf Ecken, daß sich ein SPÖ-Landtagsabgeordneter meiner Sache annahm, den ich selbst nie zu Gesicht bekam, der aber wiederum über fünf Ecken einen Vizelandes­hauptmann, den ich auch noch nie gesehen hatte, veranlaßte, mir besagte Empfeh­lung zu schreiben. Dieser lobte mich nun im üblichen Stil eines k.-u.-k.-Tintenklecksers über den grünen Klee, und so bekam ich dann den ersehnten Studen­tenheimplatz. Diese an sich ja unbedeutende Geschichte muß man sich in der ent­sprechenden Potenz vorstellen, um zu verstehen, wogegen Haider an dieser Stelle stand.

 

(3) Jörg Haider, Die Freiheit, die ich meine, Ullstein-Verlag 1993, Seite 271.

 

(4) Faschistische, rassistische oder judenfeindliche Äußerungen sind entgegen aller Behauptungen von Haider nicht bekannt. Mitunter hat er sich wohl provozieren lassen, z. B. zu der Aussage, daß die Beschäftigungspolitik zwischen 1933 und 1936 besser gewesen sei als die aktuelle in Österreich, was freilich beschränkt-dämlich ist (eine Analogie besteht allerdings zur aktuellen deutschen Ein-Euro-Job-Politik). Daß sich im Lager der neuen "Rechten" auch da und dort, aber nicht substanzbil­dend, echte (Alt-)Nazis befinden, ist zweifellos richtig, aber das sah und sieht beim Kartell mindestens genauso aus. Während der ersten Bruno-Kreisky-Regierung (SPÖ) beispielsweise waren vier ehemalige Nazis im Ministerrang; der damalige FPÖ-Obmann Friedrich Peter, der die SPÖ-Minderheitsregierung unterstützte, war früher SS-Obersturmbannführer bei einer Infanterieeinheit, die hinter der Ostfront Hunderttausende Juden erschoß. Als dies Simon Wiesenthal Mitte der siebziger Jahre aufdeckte, stellte sich Bruno Kreisky übrigens demonstrativ auf die Seite Pe­ters und beschuldigte Wiesenthal völlig grundlos, selbst mit den Nazis kollaboriert zu haben. In diesem Zusammenhang forderte Heinz Fischer (SPÖ), der jetzige Bundespräsident, einen parlamentarischen Untersuchungsausschuß nicht gegen Peter, sondern gegen Wiesenthal!

 

(5) Jörg Haider, Die Freiheit, die ich meine, Ullstein-Verlag 1993, Seite 102f.

 

(6) Haiders Eindrücke aus dem Irak sind durchaus lesenswert: Jörg Haider, Zu Gast bei Saddam. Im "Reich des Bösen", Ibera Verlag/European University Press GmbH, Wien 2003, ISBN 3-85052-160-5.

 

(7) Siehe dazu das Flugblatt "Offener Brief an alle, die sich überlegen, die 'Republika­ner' zu wählen" in: 30 Jahre Ketzer, AHRIMAN-Verlag 1998, S. 542, und Kerstin Stein­bach, Was ist los in der Schweiz? Oder: Wem gehört die Schweizer Presse?, KB 146.

Links:

Kommentare_

Sarah - 04.03.2009 : 10.16
die fußnote (4) ist aber sehr aufschlußreich! wurde der öst. präsident nie darauf angesprochen? es wäre interessant, was er dazu zu sagen hätte.
Queen of Kings - 04.03.2009 : 12.34
Oja, er gibt es sogar in einem FALTER-Interview zu:

http://www.falter.at/print/F2004_03_1.php
Sarah - 04.03.2009 : 23.17
danke für den link! der FALTER faßte aber den damaligen kanditaten fürs höchste amt mit besonders weichen samthandschuhen an. und schreibt völlig am thema vorbei. was hat ernst kirchweger mit der "kreisky-wiesenthal-affäre" zu tun?
hätte heinz fischer umgekehrt jemanden "entdeckt", der ähnliches wie er in der vergangenheit verbrochen hätte, dann wäre das sicher nicht nach 29 jahren verjährt und ohne entschuldigung beendet!

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