Stories_Ivan Lendl: Rückblick, Part II

Attack of the Cows

Erinnern Sie sich noch an den Tennisprofi Ivan Lendl? Dietmar Wohlfart tut es - und blickt auf die Karriere des tschechischen Ballservierers zurück: Auf dem Scheitelpunkt seiner Karriere gibt Lendl den Goliath, kämpft gegen Windmühlen auf englischem Rasen, gerät ins Visier des "Roten Barons" und wird von einem einstigen Schüler überflügelt.    10.09.2014

Er galt als Terminator unter den Tennisprofis: Ivan Lendl, auch als "Ivan, der Schreckliche" bekannt, lehrte der Konkurrenz mit seinem harten und präzisen Grundlinienspiel das Fürchten. Vor 20 Jahren endete die Laufbahn des kühlen Perfektionisten. Dietmar Wohlfart blickt auf die Karriere einer ungeliebten Legende zurück. Lesen Sie hier den ersten Teil: "Ära des Schrecklichen".

 

 

 

Der "All England Lawn Tennis and Croquet Club" zu Wimbledon stellte für den Kontrollmenschen Ivan Lendl ein unlösbares Problem dar. Zu unkalkulierbar war das Spiel auf dem vergleichsweise holprigen Untergrund. Der früher aus einer Position der Stärke heraus zur Schau gestellten Geringschätzung für das traditionsbewußteste aller Tennisturniere ließ Lendl die totale Konzentration auf die Tilgung des weißen Flecks auf seiner Triumph-Landkarte folgen. Mit fast besessenem Engagement stürzte er sich ab Mitte der 80er Jahre auf die Verwirklichung dieses letzten Ziels. Björn Borg hatte zuvor bewiesen, daß Wimbledon auch von der Grundlinie aus - sogar mehrmals - zu gewinnen war. Doch mittlerweile sah es an der Weltspitze anders aus als zu Borgs erfolgreichsten Zeiten (1976-1980). Der Eisborg hatte seine Titel unter anderem gegen Ilie Nastase in dessen letztem Grand-Slam-Finale, den verhältnismäßig talentfreien Gewaltaufschläger Roscoe Tanner und einen sehr jungen John McEnroe errungen. Als Lendl dagegen endlich seine volle Aufmerksamkeit gen London richtete, stürmten bereits die beiden Rasenspezialisten Becker und Edberg in dieselbe Richtung.

Mit dem australischen Erfolgscoach Tony Roche feilte Ivan an seinem bis dato praktisch nicht existenten Volleyspiel, ohne dabei jedoch nennenswerte Erfolge zu erzielen. Am Netz erlitt die Maschine Lendl einen regelrechten Systemausfall. Daran mochten auch temporäre Schlägerwechsel und sogar das Auslassen der French Open (1990-1991) zugunsten eines intensiv betriebenen Rasentrainings nichts ändern. Zweimal scheiterte er kurz vor der Ziellinie, als er das Finale in den Jahren 1986 (gegen Becker) und 1987 (gegen Cash) erreichte. Doch ein Turniersieg auf dem Heiligen Rasen blieb Ivan Lendl verwehrt. Am Ende hatten die Kühe gewonnen.

 

Forget Paris

 

Zum Ende des Jahrzehnts hin verlagerte sich Lendls Fokus weg von den Sandbelägen der Alten Welt hin zu den Hartplätzen Nordamerikas, auf denen er bereits seit jeher Maßstäbe gesetzt hatte. Diese nachhaltige Verlagerung wurde durch ein urknallhaftes Ereignis markiert, dessen Echo weit über die Grenzen des Tennissports hinausdrang.

Fünf Jahre, nachdem Lendl seinen Erzfeind John McEnroe in einem Klassiker niedergerungen hatte, wurde die Sportwelt 1989 Zeuge eines weiteren verblüffenden Comebacks auf dem Hauptcourt von Paris, das in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Lendl, zu diesem Zeitpunkt die Nr. 1 der Welt und folglich auch der Setzliste, hatte im laufenden Jahr bereits vier Turniersiege einschließlich der Australian Open verbucht und war als dreifacher French-Open-Champion nach Roland Garros gekommen. Der 29jährige hielt bei insgesamt 77 Turniersiegen im Einzel und bereiste den Tenniszirkus längst als Autorität des Sports, die auf dem Platz nach wie vor einschüchternde Wirkung entfaltete. Die ehemaligen Paris-Sieger Yannick Noah (Nr. 13 der Setzliste) und Jimmy Connors (Nr. 9) waren bereits früh ausgeschieden, während Lendl, ebenso wie seine Mitfavoriten Wilander und Becker, ohne Satzverlust ins Achtelfinale eingezogen war. Dort wartete mit dem 17jährigen Michael Chang die Nr. 15 des Feldes. Chang hatte im Jahr zuvor in San Francisco gegen den Veteranen Johan Kriek seinen ersten Turniererfolg auf der Profitour eingefahren. Der Amerikaner taiwanesischer Abstammung ging als krasser Außenseiter in die Partie.

Was dann aber in diesem denkwürdigen Viertrundenspiel vor einem ekstatischen Publikum seinen Lauf nahm, dürfte Ivan Lendl einen Teil seines "Schrecklichen"-Nimbus gekostet und womöglich anhaltendes Alpdrücken beschert haben. Die Bilder gingen um die Welt: Ein von Krämpfen gebeutelter Chang (der im Vergleich zu seinem 12 Jahre älteren und 13 Zentimeter größeren Gegner wie ein verletztes Kind wirkt) stemmt sich gegen die Niederlage - und triumphiert sensationell. Im Match seines Lebens machte der kleine Amerikaner einen Zweisatzrückstand samt Break wett und spielte sich in einen regelrechten Rausch. Als beinahe kollabierender David überraschte, entnervte und stürzte er schließlich den schrecklichen Goliath. Das Drama von Paris löschte Lendls 1984er-Sternstunde geradezu aus.

 

Geburtshelfer einer Legende

 

Am 13. August 1990 wurde der Schwede Stefan Edberg zur achten Nummer eins in der Geschichte des Herrentennis und seit Einführung der Computerweltrangliste im Jahr 1973. Er löste Ivan Lendl ab, der bis dahin die Spitzenposition - mit Unterbrechungen - 270 Wochen lang gehalten hatte. Lendl hatte zu Jahresbeginn seinen Titel bei den Australian Open mit einem Sieg über Edberg, der im Finale verletzungsbedingt aufgeben mußte, erfolgreich verteidigt. Bis zum Sommer errang er drei weitere Titel. Lendl hielt nunmehr bei sagenhaften 87 Einzeltiteln und nahm im Dreikampf mit Edberg und Becker die Rolle des Routiniers ein.

Seit Jahren schon standen die US Open unter dem Herrschaftseinfluß des Schrecklichen, der zwischen 1982 und 1989 jeweils das Finale von Flushing Meadows erreicht und dabei dreimal in Folge (1985-1987) gewonnen hatte. 1990 sollte die stolze Serie von acht aufeinanderfolgenden Finalteilnahmen reißen: Im Viertelfinale bekam es Lendl mit dem 19jährigen Pete Sampras zu tun. Lendl hatte die Karriereanfänge des Amerikaners verfolgt und den Teenager im Herbst 1989 auf sein Anwesen in Greenwich, Connecticut eingeladen, wo er ihn zehn Tage lang physisch und mental drillte. In New York trafen sich demnach Lehrmeister und Schützling, wobei sich der introvertierte Sampras als gelehriger Schüler erwies. Nach fünf Sätzen hatte "Pistol Pete" seinen Mentor niedergerungen und war als Sieger vom Platz gegangen. Sampras schaltete danach John McEnroe im Halbfinale aus und schoß im Anschluß seinen als Nummer vier gesetzten Landsmann Andre Agassi (Jahrgang 1970) mit 6:4, 6:3 und 6:2 aus dem Stadion.

Wie im Jahr zuvor in Paris hatte der Weg eines jugendlichen Sensationssiegers über Ivan Lendl geführt. Doch dieses Mal stand Lendl, der zuvor als gönnerhafter Förderer des Jungchampions aufgetreten war, plötzlich im Verdacht, ein Monster erschaffen zu haben. Tatsächlich hatte sich Sampras, dessen Zugang zum Spiel auf den ersten Blick kaum Gemeinsamkeiten erkennen läßt, Elemente aus Lendls Spiel zueigen gemacht. Insbesondere im dynamischen, harten Schlagabtausch von der Grundlinie adaptierte der Sohn griechischer Einwanderer ureigenste Stärken des prominenten Tutors. Lendl war sich dessen nur allzu bewußt und bekam in weiteren Begegnungen mit dem neuen Superstar Kostproben seiner eigenen Medizin zu schlucken. Beispielsweise im Finale von Cincinnati 1992, das über weite Strecken ausgeglichen verlaufen war, an dessen Ende aber wiederum Pete Sampras die Oberhand behielt: Nach einer zugunsten von Sampras entschiedenen spektakulären Rally, bei der sich die Kontrahenten gegenseitig über den Platz getrieben und dabei ihre Grundschläge aus vollem Lauf abgefeuert hatten, brachte es Lendl mit einem selbstkritischen "So stupid!" wütend auf den Punkt. Wieder war er mit seinen eigenen Waffen, die sein jüngeres Gegenüber wirkungsvoller einzusetzen vermochte, geschlagen worden.

 

Treffen der Generationen

 

Anfang der 90er schickte sich Sampras an, das Welttennis in seinem Sinne zu prägen. Nicht nur schuf er die Voraussetzungen für seinen späteren Status als Allzeitgröße des Sports, sondern er stellte zusammen mit Andre Agassi, Michael Chang und Jim Courier auch die letzte goldene Spielergeneration aus den Vereinigten Staaten. Zudem war diese Zeit ein Knotenpunkt, an dem sich noch aktive Champions aus vier bedeutenden Tennisgenerationen direkt auf dem Court trafen und einander forderten: Ins Halbfinale der US Open 1990 waren Pete Sampras, John McEnroe, Andre Agassi und Boris Becker eingezogen. Im Jahr darauf sorgte der 39jährige Jimmy Connors für einen letzten Paukenschlag, als er nach einem furiosen Siegeslauf noch einmal ins Halbfinale von New York einzog. Komplettiert wurde das sporthistorische Semifinale von Jim Courier, Stefan Edberg und Ivan Lendl. Noch im selben Jahr bestritt der unermüdliche Jimbo sein letztes Endspiel in Basel gegen John McEnroe, der sich wiederum seinerseits 1992 ins Wimbledon-Halbfinale zauberte und die Doppelkonkurrenz auf dem Heiligen Rasen zusammen mit dem Deutschen Michael Stich in dramatischer Art und Weise gewann.

Auch für Ivan Lendl zeichnete sich langsam ein Ende seines sportlichen Wegs am Horizont ab. Zwar konnte er sich nach wie vor auf Augenhöhe mit den Weltbesten messen, doch der Druck auf den alternden Meister stieg von Monat zu Monat. Neben Becker, Edberg und Agassi - den jüngeren Rivalen aus der vorangegangenen Dekade - entfalteten insbesondere Sampras und Courier am Anfang des neuen Jahrzehnts ihr volles Können. Hard-Hitter Courier (Jahrgang 1970), der in Lendl stets ein Vorbild sah, konnte trotz aller Erfolge niemals gegen den Altmeister bestehen: In vier Aufeinandertreffen gelang ihm kein einziger Satzgewinn gegen den achtfachen Grand Slam-Sieger. "Pistol Pete", der erste spielerisch "komplette" Spitzenprofi seit Rod Laver, erwies sich hingegen als generell unaufhaltsame Kraft. Alleskönner Sampras sammelte Titel um Titel, vornehmlich Grand-Slam-Trophäen, verdrängte Boris Becker aus dessen Wimbledon-Wohnzimmer und trat auch Ivan Lendls Nachfolge als bestimmender Machtfaktor auf den Hartplätzen Nordamerikas an. Workaholic Lendl mußte sich nunmehr mit Teilerfolgen begnügen.

 

 

Letzte Kämpfe

 

Das Australian-Open-Endspiel 1991 markierte Ivan Lendls letzten Auftritt in einem Grand-Slam-Finale. Als Titelverteidiger verlor er in vier Sätzen gegen Boris Becker, der sich daraufhin kurzfristig an die Weltranglistenspitze setzte. Aus den Top 3 verabschiedete sich Lendl im Laufe des Jahres und beendete die Saison auf Position 5. Zu einer Neuauflage des berühmt-berüchtigten 89er-Pariser-Achtelfinalspiels gegen Michael Chang kam es Ende 1991 beim in München ausgetragenen "Grand Slam Cup". Die Halbfinalpartie zwischen den beiden ungleichen Gegnern entfaltete sich erneut zum Marathonmatch, in dem es zur fast schon schicksalhaften Wiederholung der Ereignisse kam: Wieder führte Lendl mit zwei Sätzen Vorsprung, gab das Match jedoch infolge seines verkrampft-fehlerhaften Spiels noch aus der Hand und verlor mit 7-9 im fünften Satz.

Nach drei Turniersiegen 1991 (Philadelphia, Memphis, Long Island) - er hielt nunmehr bei insgesamt 91 Titeln - zeigte sich Lendl im Sommer 1992 auf den amerikanischen Hartplätzen zwar wiederum spielstark, verlor jedoch innerhalb kurzer Zeit drei Endspiele. Obwohl noch ohne Turniersieg im laufenden Jahr, zählte er traditionell zum Favoritenkreis bei den offenen amerikanischen Meisterschaften. Dort sollten im Achtelfinale die Emotionen hochgehen, als es zur Begegnung mit Boris Becker kam. Die vereinzelten Wutausbrüche des Deutschen - zumeist an sich selbst in unnachahmlicher Manier gerichtete Tadel - waren seit jeher Bestandteil der Marke Becker. Gefühlsregungen (welcher Form auch immer) und Ivan Lendl schlossen einander hingegen praktisch aus. Daher wirkte auch ein sich geradezu überschlagender Lendl, der sich bei mehreren Gelegenheiten vehement über vermeintliche Fehlentscheidungen der Linienrichter empörte und dabei jeweils einem Infarkt nahe schien, regelrecht grotesk. In ihrem 21. Vergleich lieferten die Kontrahenten einander jedenfalls eine wahre Nervenschlacht. Nach fünf Stunden und einer Minute Spielzeit - und der damit längsten US-Open-Partie seit Einführung des Tie-Breakers 1970 - hatte er seinen ebenfalls über die Maßen angespannten Rivalen endgültig gebrochen. Im Viertelfinale gegen Stefan Edberg wäre dem Altmeister fast ein weiterer Prestigeerfolg gelungen, doch mußte er sich gegen den schwedischen Serve-and-Volley-Spezialisten im Tie-Break des fünften Satzes denkbar knapp geschlagen geben.

Dennoch beendete Lendl die sommerliche US-Hard Court-Saison mit einer ansehnlichen Bilanz von 21-6 Siegen. Vielleicht hatte ihn ein kürzlich zuvor auf anderer Ebene errungener Sieg mit der nötigen patriotischen Energie versorgt: Am 7. Juli 1992 wurde dem gebürtigen Ostrauer die amerikanische Staatsbürgerschaft verliehen. Damit hatte ein hartnäckiger Kampf um die Einbürgerung ein Ende gefunden. Obwohl der längst in den Staaten residierende Lendl bereits früh in seiner Karriere mit den Sportfunktionären der alten Heimat gebrochen und die westlichen Werte verinnerlicht hatte, war ihm die Verleihung unnatürlich lange - und durch Zutun der blockierenden Tschechoslowakei - verwehrt worden. Als sie endlich stattfand, befand sich Lendl bereits im letzten, nicht mehr zu gewinnenden Gefecht seiner sportlichen Laufbahn.

 

Genug ist genug

 

29. Juni 1992: Ivan Lendl gibt im vierten Satz des Wimbledon-Achtelfinalspiels gegen Goran Ivanisevic verletzungsbedingt auf - die Schmerzen im unteren Rückenbereich sind zu stark geworden. Ein trockenes "That´s enough" in Richtung von Stuhlschiedrichter Dana Loconto beendet das Match. Lendl hat genug, und Ivanisevic findet zunächst lobende Worte für den Mann, bevor er nüchtern nachtritt: "He´s never going to win Wimbledon."

Für Lendl gestaltet sich sein folgendes 16. Jahr auf der Tour nicht nur sportlich durchwachsen, sondern zeigt ihm auch seine gesundheitlichen Grenzen auf. Der über Jahre hinweg durch härtestes Training und kraftraubendes Spiel geschundene Körper des Neoamerikaners meldet sich nun immer öfter protestierend zu Wort. Im Frühjahr muß er das Finale von Philadelphia gegen den australischen Doppelspezialisten Mark Woodforde abbrechen; bei den US Open 1993 besiegelt ein angeschlagenes Knie Lendls Schicksal bereits in der ersten Runde.

In die Saison 1994 startet Lendl vielversprechend, scheitert erst im Finale von Sydney gegen den Weltranglistenersten Pete Sampras. Es ist sein 144. und - wie sich später herausstellt - letztes Finale. Bei den Australian Open erweist sich Sampras bereits im Achtelfinale erneut als unüberwindbare Hürde. Kurz darauf zwingt sein lädierter Rücken Lendl in Dubai zur Aufgabe. Gleiches wiederholt sich kurz darauf in Philadelphia. Nachfolgende Erstrundenniederlagen und gehemmte Darbietungen gegen schlagbare Gegner künden vom baldigen Ende einer langen und großartigen Karriere. Nach einer Zweitrundenaufgabe gegen David Wheaton in Cincinnati, einem Drittrundenaus in New Haven und einer weiteren Zweitrundenschlappe in Schenectady spielt Lendl, mittlerweile auf Position 30 der Weltrangliste abgerutscht, am 1. September auf dem Center Court der US Open sein Zweitrundenmatch gegen den ungelenken Deutschen Bernd Karbacher. Lendl verliert den ersten Satz mit 4-6, zieht im zweiten Durchgang auf 5-0 davon, wirkt dabei aber keineswegs souverän. Die chronischen Rückenbeschwerden flammen erneut auf und bescheren Karbacher ein unverhofftes Comeback. Nach vergebenen Satzbällen und acht Verlust-Games in Folge wirft Lendl zu Beginn des dritten Satzes das Handtuch.

 

Nach dem Schrecklichen

 

Lendls Abschied von der Bühne des Welttennis vollzog sich leise - große Gesten waren seine Sache nie. Lendl hat sie alle gefordert und nicht nur eine Ära des Sports geprägt. Uraltrivale McEnroe hatte seine Karriere offiziell 1992 beendet (wenngleich er 2006 kurzzeitig auf die Tour zurückkehrte, um in San Jose an seinem 47. Geburtstag in der Doppelkonkurrenz zu siegen). Der letzte aus dem Kreise der Denkmäler, der das Licht ausmachte, war aber freilich Jimmy Connors, der sein finales Tour-Match als 43jähriger 1996 in Atlanta bestritt.

Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Lendl längst auf seinen prächtigen Besitz in Greenwich zurückgezogen und die Verbindung zur Tennisszene gekappt. Während sich der Großteil seiner alten Mitstreiter irgendwann auf der Champions Tour wiederfand, frönte Lendl seiner zweiten sportlichen Leidenschaft: dem Golfspiel.

1998 gebar seine Frau Samantha eine fünfte Tochter. Damit dürfte Lendl, der es neben dem semiprofessionell betriebenen Golfsport nunmehr mit insgesamt sechs Frauen in seinem Leben zu tun hatte, ein zufriedenstellendes Auslastungs-Level erreicht haben. Und tatsächlich schien das Kapitel Tennis längst abgehakt, als sich Ivan 2010 völlig überraschend der Seniorentour anschloß. In welcher körperlichen Verfassung würde sich der Schreckliche präsentieren? Wieviel von dem Spiel steckte noch in ihm? Es war seltsam, den Mann - übergewichtig und seltsam gelöst - nach all den Jahren auf dem Court wieder in Aktion zu erleben. Sein Vorhandschwung vermochte noch immer zu beeindrucken, doch der Bewegungsablauf bei Aufschlag und Rückhand wirkte unnatürlich verkürzt und verändert; ein Zugeständnis an Lendls Problemrücken.

2012 ging Ivan Lendl noch einen Schritt weiter und meldete sich auf der Profitour zurück - als Trainer des Schotten Andy Murray, der zuvor von dem hinterlistigen Strategen Brad Gilbert gecoacht worden war. Unter Lendl, der fortan bewegungslos und mit gefrorener Mimik Murrays Box verstärkte, gewann der Schotte sein erstes Grand-Slam-Turnier, die US Open 2012. Doch die Briten verlangten nach mehr. Ausgerechnet mit Lendls Hilfe sollte der erste Wimbledon-Titel seit 1936 für Großbritannien errungen werden. Und tatsächlich war es 2013 soweit: Murray stemmte den Pokal, während Ivan Lendl sich als siegreicher Coach im Hintergrund zumindest teilweise seelische Linderung verschaffen konnte.

Dietmar Wohlfart

Ivan Lendl im Web


(Illustrationen © Jörg Vogeltanz)

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