Utopia aus dem Kürbis

Die Steiermark ist bekannt für Schilcher, Lipizzaner und Kürbiskernöl. Eher unterschätzt wurde bislang aber die Tatsache, daß dort auch Science-Fiction-Autoren zu Hause sind. "2001", eine Kurzgeschichtensammlung aus der Edition Kürbis, weckt Erinnerungen an die Fanzine-Szene.

In den 70er und 80er Jahren, als Depressionen noch etwas waren, das bestenfalls die Eltern hatten, gediehen nicht nur etliche "seriöse" Literaturzeitschriften, sondern auch sogenannte "Fanzines". Diese von FANs einer bestimmten Populärliteraturgattung (meist SF, Horror etc.) mehr oder weniger professionell gemachten MagaZINE erschienen meist im Eigenverlag in einer Auflage von ein paar hundert Stück; zuerst noch als Wachsmatritzen-Abzüge, später dann als Fotokopien oder in Kleinoffset-Formaten. Die Bandbreite des Gebotenen reichte von ersten literarischen oder graphischen Gehversuchen über halbprofessionelle Artikel, Rezensionen und Interviews bis hin zu ambitioniert gemachten Paperbacks (wie etwa das legendäre SF-Fanzine "Solaris", das in den 80ern in Deutschland erschien). Auch im Internet-Zeitalter sind Fanzines noch nicht ausgestorben; sie erscheinen nach wie vor in Papierform oder per Datendraht.

An ein Fanzine erinnert auf den ersten Blick auch die Kollektion "2001" aus der südweststeirischen Edition Kürbis. "autoren_denken über die zukunft nach", versucht der Klappentext den Inhalt (leider falsch) zu umreißen. Auf mageren 77 Seiten beschäftigen sich die neun Schreiber zwar mit der Zukunft, entwerfen jedoch keine Visionen, sondern nähern sich der "wissenschaftlichen Dichtung" eher von der literarischen Seite. Sie trampeln dabei zwar in alten Klischees herum, präsentieren diese aber recht individuell und interessant aufgearbeitet.

Es sind Geschichten vor einem phantastischen und bisweilen auch bizarren Hintergrund, in denen Individuen im Mittelpunkt stehen, die beispielsweise von UFOs regelmäßig zum Essen abgeholt werden ("An trüben Tagen erschrecke ich manchmal, wenn das Raumschiff plötzlich aus den Wolken hervorsticht. Groß wie ein Haus"; Mark Markart), sich in "Turing-Knochen" verwandeln ("Credits" von Martin Krusche) oder einem "Schurkenmonolog, bevor der Film so richtig losgeht" ausgesetzt werden (von Stefan Schmitzer, dessen Story im Ansatz ein wenig nach John Shirleys "Eclipse" klingt). "Blödrenner", der Opener des Vöcklabruckers Franzobel (nach eigener Aussage einer der "konditionsstärksten Melancholiker" des Landes), ist genaugenommen keine SF, sondern eine Satire: Was geschieht, wenn die ganze Welt zu laufen beginnt und wir uns in ein Volk von nomadisierenden Joggern verwandeln?

Auch Andrea Sailers Credo aller Beziehungsgegner (in "Apocalypse, wow!") ist gar nicht so sehr Science Fiction: "Jetzt gibt es kein gemeinsames Altwerden mehr, Schrumpelhaut an Schrumpelhaut, und mit tausend Lachfalten im Gesicht, die natürlich nur das Resultat von jahrzehntelangem, gemeinsamen Lachen über ein- und dieselbe Dinge sein konnten... Jetzt hat´s auch ein Ende mit der natürlichen Intimität des einst irrtümlich erfundenen Zusammenlebens - kein gegenseitiges Nasenhaarenschneiden und Mitesser-an-unwegsamen-Stellen-Ausdrücken mehr, kein Zehennagelweitspringen mehr im Bad, kein einträchtliches Verfeinern des Badewassers mit Natursekt, keine Ohrenschmalzgewinnung Seite an Seite vor dem Spiegel, kein Hühneraugentagbau auf dem Sofa, selbst männliche Stärken wie das Rülpsen mit Text oder das religiös immer unterschätzt gebliebene Weitspucken gen Mekka haben sich dadurch erübrigt."

Wer da schlagartig Lust auf weniger Zweisamkeit bekommt, sollte zu "2001" greifen und ein wenig österreichische SF ausprobieren, die es ohnehin nur selten in vernünftiger Qualität zu lesen gibt. Repräsentativ ist die Sammlung allerdings nicht; dazu ist sie zu speziell, zu dünn und, was die Autoren angeht, zu sehr auf eine Region - die Steiermark - bezogen.

Fazit: ein ambitionierter Versuch, phantastische Texte ins Volk zu schmuggeln. An "Solaris" oder einen der von Wolfgang Jeschke bei Heyne herausgegebenen "Story-Reader"-Bände kommt "2001" allerdings nicht heran; doch das war vermutlich auch nicht beabsichtigt.

Alle 2 Kommentare ansehen

Vom Wasserkopf
(L.E.M., 09.11.2001 12:05)

kein steirisches geheimnis
(der herausgeber, 11.11.2001 20:09)



Über den Herausgeber und die AutorInnen:
Ein steirisches Geheimnis - über den Herausgeber Werner Schandor schweigen sich die Biographie-Seiten im Buch völlig aus. Die neun Autoren stammen alle aus steirischen oder noch weiter von Wien entfernt gelegenen Gefilden und sind im Durchschnitt um die dreißig. Genaue Biographien finden Sie auf der Kürbis-Homepage oder im Buch.