Du sollst nicht töten

Nicht nur einmal wird das fünfte Gebot in Anne Holts neuem Krimi gebrochen. Eine größere Rolle spielt dennoch "Das achte Gebot", das der von Selbstzweifeln geplagten Hauptkommissarin Hanne Wilhelmsen großes Kopfzerbrechen bereitet: "Du sollst nicht falsch Zeugnis ablegen wider deinen Nächsten".

Wer die Verlagsprogramme einmal durchgeblättert hat, kommt zu dem Schluß, daß es viel zu viele Kriminalromane gibt. Umso erstaunlicher ist es, daß dennoch so vieles übersetzt wird - von Griechenland bis Südamerika. Aber offensichtlich ist der Markt vorhanden. Außerdem gibt es manchmal doch noch Bücher, die ein wenig aus der Reihe tanzen und das Genre dadurch bereichern. Die Hanne-Wilhelmsen-Krimis der norwegischen Ex-Justizministerin Anne Holt sind ein gutes Beispiel dafür.

Der vorliegende Roman beginnt mit einem Paukenschlag, als der sonst so korrekte und gutgekleidete Oberstaatsanwalt Halvorsrud völlig verstört und blutverschmiert vorgefunden wird. Vor ihm liegt die enthauptete Leiche seiner Frau. Und sie wird nicht die letzte bleiben, die den Kopf verliert. Wer nun knallharte Action erwartet, sieht sich bald eines Besseren belehrt. Auch wenn die Köpfe mitunter locker sitzen, geht es um ganz andere Themen: um lähmende Ungewißheit, um die Schwierigkeit, die Wirklichkeit auf ein für allemal verbindliche Art und Weise zu deuten, und um die manchmal fast unmögliche Unterscheidung zwischen Tätern und Opfern.

Die Schatten der Vergangenheit lasten schwer auf der Kommissarin. Um begangenes Unrecht wieder gutzumachen, beschließt sie, die Unschuld des Staatsanwaltes zu beweisen - ein Unterfangen, das zunächst aussichtslos scheint, da alle Indizien gegen ihn sprechen. Mit Ehrgeiz und Verve betreibt sie die Untersuchungen; als es ihr schließlich gelingt, den Fall zu lösen, spielt das schon keine Rolle mehr. Ihre Freundin Cecilie, mit der sie eine lesbische Beziehung unterhält, hat nämlich Krebs und liegt im Sterben. Die Vernachlässigung ihres Privatlebens rächt sich in tragischer Weise, da sie kaum mehr Zeit hat, Abschied zu nehmen.

"Das achte Gebot" ist der seltene Fall eines Kriminalromans, in dem es mehr um die Ermittlerin geht als um die Ermittlung. Es ist ein Roman, der mit einem Tod beginnt und mit einem Tod endet. Der Fall und seine Aufklärung sind da fast schon Nebensache; der Erfolg im Beruf läßt das Versagen im Privatleben nur noch schärfer hervortreten.

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(COSMO, 22.11.2001 17:39)



Über die Autorin:
Nach ihrem Jurastudium arbeitete Anne Holt als Journalistin für das norwegische Fernsehen. Ähnlich ihrer weiblichen Hauptfigur Hanne Wilhelmsen war sie im Polizeidienst tätig. Für kurze Zeit wurde sie norwegische Justizministerin. Seit 1993 publiziert sie Kriminalromane, die in zahlreiche Sprachen übersetzt werden. "Das achte Gebot" ist ihr fünfter Roman, der in deutscher Sprache erscheint.