Anorexia nervosa

Das soeben erschienene Album der britischen Durutti Column, "Rebellion", bietet Neues und Altbewährtes gleichermaßen. Virtuose Gitarren von Mastermind Reilly, grandiose Drums von Veteran Mitchell und eine Menge neue Stimmen machen es zu einem wunderbaren Gesamtkunstwerk.

"The Return of The Durutti Column" war der ironische Titel der ersten Plattenveröffentlichung der Band aus Manchester rund um Bandleader Vini Reilly. Geht man diesem obskuren Plattentitel auf den Grund, so erschließt sich sein Sinn recht schnell: Er ist eine Hommage an eine europäische Anarchistengruppe, die einen Comic mit ebendiesem Namen in den sechziger Jahren in ganz Strasbourg plakatiert hatte. Die Gruppe publizierte auch ein Buch in einem rauhen Sandpapierumschlag, das - in ein Regal gestellt - alle anderen Buchrücken zerkratzen sollte. Genau das wurde auch die Verpackung für Duruttis erste LP auf Factory - heute ein rares Sammlerstück, da spätere Editionen in normale Cover verpackt wurden.

Vini Reillys Karriere begann als Gitarrist für eine Punkband namens Nosebleeds (für die sich auch Morrissey beworben haben soll). Nach nur einer Single im Jahr 1978 stieß er als letztes Mitglied zu der von Tony Wilson gemanagten Band The Durutti Column und wurde bald zu deren Hauptakteur. Zur selben Zeit begann in Manchester Factory Records kommerzielle Erfolge zu erzielen, und Durutti wurden neben Joy Division der populärste Act des Labels.

Während der Sound von Joy Division mit jeder Platte düsterer und depressiver wurde, entwickelten The Durutti Column eine Tendenz zu schwebenden, fast klassischen Kompositionen, die dann durch ihr Hauptwerk "Vini Reilly" gekrönt wurden. Auf dieser Platte gibt es fast gar keine traditionellen Songs zu hören, sondern nur mehr Streicher, klassisch ausgebildete Singstimmen und viel von Reillys unnachahmlicher Gitarre.

In den achtziger Jahren veröffentlichten Durutti Column unzählige Platten; nicht nur auf Factory, sondern auch auf verschiedenen Klein- bis Kleinstlabels in ganz Europa - und das, obwohl Reilly an Anorexie zu leiden begann und daher fast ständig krank war. Erst in den Neunzigern wurde es etwas stiller um die Band, und neue Alben erschienen nicht mehr im Halbjahrestakt.

Ein neuerlicher Aufschwung wurde den Duruttis beschert, als Factory bankrott ging und London Records den gesamten Back-Katalog zum Midprice wieder auflegte. Ein sensationeller neuer Longplayer, "Time Was Gigantic When We Were Kids", wurde ebenfall veröffentlicht, doch das war dann Duruttis letzter Akt in ihrer Major-Karriere. Die neue CD erscheint nun ausgerechnet auf Artful Records, einem Label, das es Fans fast unmöglich macht, an seine Veröffentlichungen heranzukommen.

"Rebellion" beginnt mit einer typischen Reilly-Solokomposition für Gitarre und einer seiner unzähligen Widmungen, in diesem Fall heißt das Stück "4 Sophia". Wie auf dem letzten Album setzt Reilly auch diesmal immer wieder Tablas statt Drums als Rhythmusinstrument ein, was den Songs dann noch mehr Leichtigkeit und Abgehobenheit verleiht - Eigenschaften, die seinen Kompositionen hervorragend stehen! Auch traditionelle britische Folksongs fanden diesmal ihren Weg auf die CD, von Reilly selbst oder einer der unzähligen weiblichen Gaststimmen gesungen. Die größte Überraschung dürfte allerdings "Overlord" sein, eine Rap-Nummer, die man von Durutti Column sicherlich nie erwartet hätte. Auf den Durutti-Mailinglists gab es dazu endlose Fan-Diskussionen, doch der Song ist durchaus gelungen - statt fetten HipHop-Beats rappt man bei Durutti halt zu einem konstanten Gitarrenriff.

Durutti sind heutzutage ein absoluter Geheimtip - wer die Band nicht seit 20 Jahren liebt, wird sie heute allerdings kaum mehr zufällig entdecken. Denn obwohl Universal den Vertrieb für "Rebellion" in England übernommen hat, sieht man in der österreichischen Dependance keine Veranlassung, das Album auch hier zu promoten. Und das, obwohl der Erfolg der ehemaligen Labelmates von New Order auch in Österreich beachtlich ist. Trotzdem sollte man sich dieses Album nicht entgehen lassen, denn so wenig prätentiösen Zeitgeist und soviel zeitlos schöne Musik auf ein und derselben Platte gibt es selten.

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