Die Geschichte einer Tanzmaus

Ein Elfjähriger entdeckt in einem Bergarbeiterdorf seine Leidenschaft für den Ballett-Tanz. Konflikte mit der Working-Class-Familie sind da natürlich vorprogrammiert. Stephen Daldrys hochgelobter Debütfilm taucht den perfekt photographierten Kampf um Selbstbehauptung in ästhetische Bilder, aber auch in einige Sentimentalitäten.

Das Kohlerevier im Nordwesten Englands, 1984: Die Arbeiter streiken, und schwerbewaffnete Polizisten patroullieren durch das Provinznest, in dem Billy (Jamie Bell) in einer sich langsam auflösenden Bergarbeiterfamilie mehr oder weniger sich selbst überlassen aufwächst: Der ältere Bruder Tony (Jamie Draven) ist zornig engagiert im Streik, der nach dem Tod seiner Frau zusehends resignierende Vater (Gary Lewis) und die senile Großmutter können seinen musischen Interessen wenig abgewinnen. Die Familien- und Dorftradition heißt schließlich: Buben lernen boxen, Mädchen tanzen. Als Billy beim Boxunterricht zufällig in eine Ballettstunde gerät, entdeckt er seine Leidenschaft für den Tanz, und die desillusionierte Hobby-Lehrerin (Julie Walters) die außergewöhnliche Begabung des Elfjährigen. Heimlich trainieren die beiden für die Aufnahmeprüfung zur Royal Ballet School, denn Billys unorthodoxe Passion stößt nicht nur bei Vater und Bruder auf Ablehnung und Verständnislosigkeit: Ballettänzer gelten eben gemeinhin als unmännlich. Diesen überholten Stereotypen begegnet Regisseur Stephen Daldry mit einem netten Spiel um Definitionen von Männlichkeit, sexuelle Identitäten und Vorurteile. Und läßt Billy, den Außenseiter, zwischen den schüchternen Annäherungsversuchen seines homosexuellen Schulfreundes und der Tochter seiner Lehrerin nach anfänglicher Verwirrung und Selbstzweifeln zu sich selbst finden. Die selbstbewußte Konsequenz bekehrt letztlich die Familie Elliot zum Besseren und führt zur vollen Unterstützung bei der Verwirklichung von Billys Traum.

Theaterregisseur Stephen Dardyle wird für sein Filmdebüt recht einhellig mit Kritikerlob überschüttet und bereits als der neue Sam Mendes ("American Beauty") gefeiert. Der Vergleich ist nicht unberechtigt, was die unprätentiöse Ästhetik und perfekte Kameraarbeit anbelangt, die immer wieder in schöne Szenen mündet, etwa wenn Billys Bruder Tony zu "London Calling" (The Clash) von einem enormen Polizeiaufgebot durch die adretten Häuser seines Viertels gejagt wird. Allerdings fehlen "Billy Elliot" sowohl inhaltlich als auch dramaturgisch die feine Ironie und die subtilen Irritationen, die Sam Mendes bis zum Schluß meisterhaft durchgehalten hat. Einige Stärken seines Films, nämlich die typisch britische unpeinliche Verknüpfung von sozialem Background, Politischem, Lokalkolorit und persönlichem Drama, verspielt Stephen Dardyle leider, wenn er ab der Hälfte zusehends konventioneller wird und stellenweise ins Sentimental-Kitschige abgleitet. Das retten dann auch die guten Akteure und der ausgesuchte Glamrock-Soundtrack nicht.

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