Die Selbstzerstörung des Jerry B.

Sean Penn adaptierte Dürrenmatts Klassiker "Das Versprechen". Das Ergebnis seiner Arbeit kann sich sehen lassen: Der vorzüglich gespielte Psycho-Thriller hebt sich wohltuend vom tumben Mainstream-Alltag ab.

Es ist eine berauschende Abschiedsfeier, eine Würdigung der jahrzehntelangen Arbeit des altgedienten Gesetzeshüters. Oder doch nicht? Als sich Detective Jerry Black (Jack Nicholson) plötzlich im Rampenlicht einer zu seinen Ehren veranstalteten Überraschungsparty wiederfindet, haben die Gefühle, die er dabei entwickelt, wohl nicht allzu viel mit Genugtuung oder Stolz zu tun. Hier wird nicht nur ein bisher wertvolles Mitglied des örtlichen Morddezernats in den wohlverdienten Ruhestand geschickt, sondern auch seine Daseinsberechtigung als kongeniales Mitglied der Gemeinschaft zu Grabe getragen. Das Schreckgespenst Pensionsschock materialisiert sich vor Jerrys Augen und veranlaßt ihn - gerade einmal sechs Stunden vor seiner Pensionierung -, den Festakt zu ignorieren und sich in einen neuen, letzten Fall zu stürzen.

Das Verbrechen, welches es aufzuklären gilt, erweist sich als besonders grausam: Ein achtjähriges Mädchen wird bestialisch ermordet in einem verschneiten Waldstück aufgefunden. Ein Verdächtiger ist schnell ermittelt: Der geistig zurückgebliebene, bereits mehrfach vorbestrafte Indianer Toby (Benicio Del Toro) gesteht die abscheuliche Gewalttat und begeht kurz darauf Selbstmord. Der Fall wird zu den Akten gelegt. Doch der inzwischen pensionierte Jerry, der der Mutter des getöteten Mädchens bei seinem Seelenheil schwören mußte, den Mörder des Kindes der Gerechtigkeit zu überantworten, zweifelt an der Schuld des nunmehr toten Hauptverdächtigen und stellt eigene Nachforschungen an. Im Laufe seiner Ermittlungen verabschiedet sich Jerrys berufliche Objektivität zugunsten einer regelrechten Fixierung auf den Mordfall. Aus Tatendrang wird Besessenheit und aus einem ehemals vorbildhaften Cop ein zerrissenes Wrack von einem Menschen.

Nach dem sträflich überschätzten "The Crossing Guard" (ebenfalls mit Nicholson in der Hauptrolle) überrascht Sean Penns dritter Regieabstecher durch einen enormen Qualitätssprung. Gewiß, die Buchvorlage Friedrich Dürrenmatts ist von einem anderen Kaliber als das mit aufgequollenen Dialogpassagen vollgestopfte, lähmende Machwerk, welches seinerzeit aus Penns eigener Feder stammte. Das Script zum "Versprechen" hingegen ist hundertprozentig wasserdicht, mit Tiefgang ausgestattet und schließlich auch meisterhaft umgesetzt.

Jacks Nimbus strahlt erneut mit voller Kraft und macht auf eindrucksvolle Weise deutlich, daß hier ein Mann am Werk ist, der die Leistungsobergrenze seines Berufsstandes mitdefiniert. Und dies tut er mit einer ruhigen, zurückhaltenden Interpretation. Von Nicholson, dem arroganten Bastard und pathologischen Misanthropen, fehlt jede Spur. An seine Stelle tritt ein verbrauchter, zweifelnder Einzelgänger, hin- und hergerissen zwischen seiner "Mission" und dem innigen Wunsch, sich ins zivile Leben zurückzuziehen und seinen Lebensabend zu genießen.

Welch guten Ruf Sean Penn nicht nur als Darsteller, sondern auch als Regisseur genießt, zeigt ein Blick auf die lange Liste namhafter Akteure, die sich zu einem Einsatz unter seiner Führung bereit erklärt haben: Penns Ehefrau Robin, Benicio Del Toro, Mickey Rourke, Harry Dean Stanton und Helen Mirren - sie alle leisten kleine, wertvolle Beiträge. Dennoch - "Das Versprechen" bleibt eine One-Man-Show in Reinkultur, eine Demonstration höchster Schauspielkunst, vorgetragen von einem der Größten.

Oscarpreisträger Chris Menges ("The Mission", "Michael Collins") zeichnet für die gediegene Kameraarbeit verantwortlich. Seine Aufnahmen verleihen dem Film ein wunderschönes, melancholisches Antlitz und ziehen den Betrachter in Sean Penns trostlos-idyllisches Zelluloid-Universum. An diesem Ort der gepeinigten Seelen ist kein Platz für hoffnungsvolle oder gar leichtlebige Augenblicke - Penns Wahrheit der menschlichen Existenz liegt in ihrer Bitterkeit. Der Regisseur bedient sich der ganzen Bandbreite der zur Verfügung stehenden Stilmittel und setzt diese höchst effektiv zur Gestaltung und Weiterentwicklung der Hauptfigur und ihres Umfelds ein. Dabei schert er sich kaum um die Aufdeckung der Identität des Täters. Der innere Kampf der Hauptfigur - Jerry unternimmt einen dauernden Balanceakt zwischen Rentnerleben und Mörderhatz - bildet den wahren Kern des Streifens. Auf das Abstellgleis der Gesellschaft verfrachtet, klammert sich der alte Cop an seine einzige Chance, einen letzten nützlichen Beitrag, eine moralisch wie kriminalistisch einwandfreie Tat zu vollbringen - und besiegelt damit letztendlich sein Schicksal.

Zur Zeit liegen noch keine Kommentare vor.