Living in a Box

Wenn ein erfolgreicher Horrorfilm in die fünfte Runde geht, heißt das meist nichts Gutes - besonders, wenn es sich dabei um Clive Barkers "Hellraiser" handelt. Der neueste Teil der infernalischen Saga war schon im Vorfeld besonders umstritten.

Er zählt zu den absoluten Kultfiguren des Horrorfilms; selbst Jason, Freddy & Co. sehen gegen ihn aus wie brave Lämmchen auf dem Weg zur Schlachtbank: Pinhead, der legendäre Lederfetischist aus Clive Barkers alptraumhafter Höllenvision "Hellraiser" (USA 1987). Kaum ein Horrorfilm der 80er Jahre war für das Genre bedeutender als die wohl berühmteste Barker-Verfilmung. Die Geschichte rund um das Mädchen, den Höllenwürfel und die Sadomasochisten aus der Hölle (alias Zenobiten) setzte damals nicht nur neue Maßstäbe in Sachen glitschige Körperflüssigkeiten und Piercing, sie markierte gleichzeitig den Beginn einer neuen Ära. Der "Hardcore-Neogothic Horror" war geboren.

Inzwischen haben sowohl Autor Clive Barker als auch seine fiktiven Kreaturen Millionen von Fans, und die Geschichte des lebenden Nagelkissens erfreut sich nach wie vor größter Beliebtheit. Wie es bei erfolgreichen Horrorfilmen seit Jahrzehnten Tradition ist, ließen die diversen Fortsetzungen nicht lange auf sich warten. 1988 folgte Tony Randels Sequel "Hellbound: Hellraiser II", der sich als extrem blutiger Aufguß bzw. Weiterführung des ersten Teils präsentierte und 1992 schließlich der unterhaltsame "Hellraiser III: Hell on Earth", für dessen Regie Horror-Altmeister Anthony Hickox verantwortlich zeichnete. 1996 beschlossen dann ein paar windige Produzenten, die erfolgreiche Reihe um einen neuen Eintrag zu bereichern - und so folgte der bis dato schlechteste Teil der Saga, "Hellraiser: Bloodline" (der nicht umsonst Allan Smithee zugeschrieben wurde).

Das Ergebnis des neuesten Versuchs, mit dem Zenobiten-Phänomen Geld zu verdienen, nennt sich "Hellraiser: Inferno". Einschlägige Publikationen zerrissen sich bereits präventiv ihr journalistisches Maul, und auch den Fans schwante Übles. Dementsprechend niedrig ist die Erwartungshaltung beim Einlegen der DVD - und die Überraschung dafür umso größer.

Zur Handlung: Joseph, ein korrupter Bulle aus Los Angeles, ermittelt in einem Mordfall. Am Tatort werden die entstellen Überreste eines menschlichen Körpers, der abgetrennte Finger eines Kindes sowie ein seltsam aussehender Würfel sichergestellt. Nachdem der Polizist sich die Barschaft des Ermordeten sowie den Würfel unter den Nagel gerissen hat, verschwindet er in die Nacht, um sich einem amourösen Abenteuer mit einer Prostituierten hinzugeben. Später verzieht er sich Bad, wo er das Geheimnis des Würfels ergründen will. Als er einige Zeit danach am Badezimmerboden aufwacht, kann er sich nur noch an seltsame Visionen rund um die ultimative Fleischeslust erinnern. Danach verwandelt sich sein Leben plötzlich Stück für Stück in ein Horrorszenario. Am nächsten Tag ist die Nutte tot, und mysteriöse Vorfälle wechseln sich mit grausigen Halluzinationen ab.

Statt sich an die für Horror-Sequels üblichen Spielregeln zu halten, bricht Regisseur Scott Derrickson mit der Tradition und markiert mit dem Direct-to-Video-Release "Hellraiser: Inferno" einen Neubeginn innerhalb der Saga. Vergessen sind der Höllenfürst mitsamt seiner alten Zenobiten-Crew (Pinhead selbst ist im ganzen Film gerade ein paar Minuten zu sehen); ein Richtungswechsel ist angesagt. Das B-Movie präsentiert sich streckenweise als düster-paranoides Noir-Vehikel, das in seinen besten Momenten atmosphärisch durchaus an "Jacob´s Ladder" oder "Dark City" erinnert. Die Kreaturen selbst sind zwar nicht so amüsant und originell wie in den vorangegangenen Teilen, dafür aber um eine erotische Komponente erweitert.

Mit seinen Vorgängern hat der Film allerdings nur mehr am Rande zu tun, obwohl hier erstmals der Gedanke der individuellen Hölle näher aufgegriffen wird, von der wir in "Hellraiser" und "Hellbound" immer nur gehört haben. Man kann "Hellraiser: Inferno" entweder gnadenlos verdammen (wie 99,9 Prozent der Menschheit) oder als durchaus gelungenes Spin-off betrachten. Besser als "Bloodlines" ist er garantiert...

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