Ganz anders als erwartet

Waren die bisherigen Alben von PJ Harvey eher schwer durchschaubar und verworren, so gestaltet sich ihre gelungene neue Platte "Stories From the City, Stories From the Sea" um einiges offener und gelassener, als man befürchten mußte.

Das 1991 gegründete Trio rund um die unnahbare Britin Polly Harvey konnte von Beginn an die Kritiker in seinen Bann ziehen. Der Erstling "Dry" war nicht nur in England höchst erfolgreich, sondern auch in den USA weit vorne in den Charts zu finden. Nach dem zweiten Longplayer, "Rid of Me", und einer weltweiten Tour löste PJ Harvey 1993 die Formation allerdings auf, um sich ihrer Solokarriere und der Zusammenarbeit mit anderen Musikern widmen zu können. Noch im selben Jahr erschien ihr Solo-Debüt "4-Track Demos", das ihr - genau wie das zwei Jahre später folgende "To Bring You My Love" - große Erfolge einbrachte. Nach mehreren Kooperationen mit Größen wie John Parish, Pascal Comelade, Nick Cave und Tricky, einem Aufritt als Maria Magdalena in Hal Hartleys Film "The Book of Life" und einigen veröffentlichten Gedichten erschien 1998 die allseits gepriesene CD "Is This Desire?" Und nun ist ihr langerwartetes neues Album, "Stories From the City, Stories From the Sea", das von ihren alten Bekannten Mick Harvey (Ex-Bad Seeds) und Rob Ellis produziert wurde, endlich zu haben.

Schon beim ersten Reinhören fällt bei den zwölf neuen Tracks eine Veränderung auf. Das Album ist viel weniger düster und melancholisch angelegt als die früheren; von Freundlichkeit kann natürlich keine Rede sein, eine gewisse Ausgeglichenheit ist aber sehr wohl anzutreffen. Meist sind die Nummern einfach aufgebaut - mit simplen Gitarrenakkorden, wenig Baß, untermauert von dezentem Schlagzeug, wird voll auf den einprägsamen Gesangsstil der mittlerweile 30jährigen Engländerin gesetzt.

Gegenüber zufriedenem, flotten Rock, wie zum Beispiel "Big Exit", "A Place Called Home", "This Is Love" oder dem netten "Good Fortune", bei dem Harvey stellenweise fast wie ihr großes Idol Patti Smith klingt, stehen ein paar frustrierte Stellen, and denen die altbekannte PJ wieder durchschimmert. Darunter fallen unter anderem "You Said Something", die gelungene Ballade "We Float" oder "This Mess We´re In", bei dem Radiohead-Sänger Thom Yorke, der gerade erst mit Björk ein Duett für den "Selma Songs"-Soundtrack aufgenommen hat, fast den gesamten Gesangspart jammern darf. Düster und gelungen ist auch das rauhe "The Whore´s Hustle And The Hustler´s Whore", das stark an Nick Cave erinnert.

Stark beeinflußt von einem sechsmonatigen Aufenthalt in New York City, zeigt sich Harvey von einer neuen, selbstbewußteren Seite, die gar nicht einmal schlecht zu ihr paßt. Die neuen, an der englischen Küste in Dorset aufgenommen Songs pendeln zwischen verschiedenen Stimmungen, sind zuweilen leichtgängig und verworren, in anderen Passagen dann aber erstaunlich kräftig und geradlinig. Alles in allem wärmstens zu empfehlen.

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