Engel haben kein Gedächtnis

Der ungezügelte Remake-Wahn Hollywoods erreicht einen weiteren traurigen Höhepunkt: Warner Bros. und 20th Century Fox denken über eine Neuverfilmung von "Barbarella" nach. Wer sich der Zwangsbeglückung entziehen will, greift zu Roger Vadims 68er-Euro-Trash-Original...

Während der Pariser Studentenrevolte von 1968 gehörten ihre Abenteuer neben Jean-Paul Sartre und Mao Tse-tung zur Pflichtlektüre. Nie zuvor hatte ein europäischer Comic die Prinzipien der freien Liebe so konsequent und gleichermaßen verlockend propagiert. Ausgestattet mit den anatomischen Qualitäten Brigitte Bardots und dem reizvollsten Outfit in der Geschichte der Raumfahrt, entführte Barbarella ihre Fans auf bizarre Reisen in die grenzenlosen Weiten des Alls.

1964 war in Frankreich der vom Avantgarde-Verleger Eric Losfeld herausgegebene erste "Barbarella"-Sammelband des Zeichners Jean-Claude Forest erschienen. Die auf dem Fuße folgende Hetzjagd der an sich eher toleranten französischen Zensurbehörde ließ in vielerlei Hinsicht Schlimmes vermuten, erreichte aber - wie meist in solchen Fällen - das blanke Gegenteil der Zielsetzung. "Barbarella" wurde über Nacht zu einem der populärsten französischen Comics. Die schrillen SF-Abenteuer fungierten noch dazu als Initialzündung für eine längst überfällige Entwicklung: Im Konflikt mit der Zensur wurde juristisch erstmals klargestellt, daß ein Comic explizit für ein erwachsenes Publikum bestimmt sein kann.

Just zu diesem Zeitpunkt trat Dino de Laurentiis auf den Plan. Der ehrgeizige italienische Produzent nützte den Wirbel um "Barbarella" und plante bereits Mitte der 60er Jahre eine Verfilmung. Da die Formen der appetitlichen Comic-Heldin eindeutig von Brigitte Bardot inspiriert waren, lag es nahe, der schmollmündigen Schönen die Hauptrolle für den Film anzutragen - doch die lehnte ab. Wie de Laurentiis darauf kam, das Drehbuch danach ausgerechnet Bardots Ex-Ehemann Roger Vadim und dessen neuer Frau Jane Fonda anzubieten, interessiert hier nicht weiter - obwohl es ein genialer Schachzug war, ebenso wie der Vertriebsvertrag mit Paramount Pictures.

Die Direktion der Filmfirma war mit dem Ergebnis von Vadims recht offenherziger Regie und der knallig-schrillen Bildkomposition von Kameramann Claude Renoir übrigens nicht gerade glücklich - ganz zu schweigen von Jane Fondas "schamloser Darstellung" einer Astronautin. Terry Southerns Drehbuch steht der freizügigen Comic-Vorlage nämlich um nichts nach; nur die Ausgangssituation wurde im Sinne der Kinodramaturgie abgewandelt:

Die mehrfach ausgezeichnete Raum-Navigatrice Barbarella soll im Dienste des Präsidenten der Republik Erde (Claude Dauphin) in einem weitentfernten System einen Wissenschafter namens Duran Duran (Milo O´Shea) ausfindig machen. Der fiese Pfiffikus ist mit seiner Entdeckung - den sogenannten Positronenstrahlen - in den Weiten des Alls untergetaucht, um die friedliche Koexistenz der galaktischen Kulturen durcheinanderzubringen. Im kosmischen System der Toleranz und Liebe ist für derartiges Kriegsspielzeug natürlich kein Platz, und so macht sich Barbarella auf den Weg, um den Abtrünnigen mit allen Mitteln auf den Pfad interplanetarer Tugend zurückzuführen.

Die Suche endet vorerst abrupt mit einer Notlandung auf einem seltsamen Planeten, der von allerlei originellen Gestalten bevölkert ist: einem Kinderfänger (Ugo Tognazzi), der der verunglückten Astronautin zuerst einmal das Leben rettet, um ihr später - in Erwartung sinnlicher Gegenleistung - bei der Reparatur des Raumschiffs behilflich zu sein; die "Schwarze Königin" (sündig: Anita Pallenberg), die in einem Labyrinth alle Kreaturen reinen Herzens gefangenhält; und dann noch Professor Ping (Marcel Marceau) und sein Schützling Pygar (John Phillip Law als personifizierte Frauenphantasie), ein blinder Engel.

Barbarella erfährt, daß sich der verrückte Wissenschaftler im Palast der Königin aufhält. Doch wie dorthin gelangen? Das Raumschiff ist wieder einmal defekt, und das einzige Wesen, das fliegen kann, hat den Willen dazu verloren: Pygar vermag seine Engelsflügel nicht in den Dienst der attraktiven Terranerin zu stellen - bis diese zu ausgesprochen effizienten Methoden greift, um den geflügelten Feschak von seiner Melancholie zu befreien. Und dann geht´s ab in die Stadt des Bösen, die über einem See negativer Energie erbaut wurde.

Roger Vadim schuf mit "Barbarella" nicht nur einen skandalträchtigen Streifen, sondern vor allem die künstlerisch kompetente Interpretation eines Comics, der wie kein anderer im Zeitgeist der "Roaring Sixties" verwurzelt ist. Trotz erbarmungsloser Verrisse erlangte der Film beim Publikum Kultstatus, der zwar bis heute ungebrochen ist, aber leider auch für ein weiteres peinliches Remake sorgen wird. Um abschließend den letzten Satz des Films in etwas abgewandelter Form zu zitieren: "Ein Engel hat kein Erinnerungsvermögen - Hollywood leider schon."

Dem ist nichts mehr hinzuzufügen...

Herzlichst,

Ihr

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