Das untrennbar Gute und Böse

Mit immer neuen Meisterwerken der Erzählkunst gelingt es dem französischen Kino, in den letzten Jahren von einem Highlight ins nächste zu taumeln. "Harry meint es gut mit dir" ist in dieser Hinsicht ein neuer Meilenstein.

Man hat sich den Urlaub redlich verdient, aber die größte Hürde - die Anreise - muß erst noch genommen werden. So schmachten Michel (Laurent Lucas) und Claire (Mathilde Seigner) in ihrer Klapperkiste dem Feriendomizil entgegen - die Hitze im Auto ist unmenschlich, die Stimmung gereizt, und die drei Mädchen am Rücksitz wären für Kinderlose ein Fall für den Totschläger. An einer Raststätte aber winkt freundlich das Schicksal: Michel trifft auf seinen Grundschulkollegen Harry (Sergi Lopez), der sich manisch erfreut über das Wiedersehen gibt und sogleich mit aller Gewalt seine Hilfe anbietet. Die Kinder fahren nun in der klimatisierten Limousine Harrys nebst dessen lebensfroher Gespielin (Sophie Guillemin) mit. Außerdem zieht Harry gleich mit in das Ferienhaus der Familie ein, obwohl es dringend einer Renovierung bedürfte und Harry samt Freundin eigentlich ein Fünf-Sterne-Hotel im Auge hatte.

Harrys Hilfsbereitschaft ist unendlich. Als Michels Rostkübel den Geist aufgibt, stellt er der Familie sogar ein neues Auto vor die Tür. Wer jetzt schon Verdacht schöpft und Böses wittert, ist früh dran: Es wird nämlich von Minute zu Minute bedrohlicher. Der durch und durch gute Harry ist eben zu gut, um wahr zu sein. Das spürt Michels Familie schnell, als sie sich der Wohltaten Harrys kaum noch erwehren kann und praktisch hilflos zusehen muß, wie die Situation mit dem längst nicht mehr erwünschten Samariter immer weiter und noch weiter eskaliert...

Diese vor Ironie strotzende Kultivierung des schleichenden Grauens, dialogstark und gewitzt, ist ein weiterer schlagkräftiger Beweis dafür, daß das europäische Kino längst nicht mehr im Fahrwasser Hollywoods dahinschaukelt, sondern trotz unvergleichbarer Budgets mit voller Kraft zum Überholen angesetzt hat - und erzählerisch schon mehrere Nasenlängen vorne liegt. Regisseur Dominik Moll inszenierte einen zutiefst komödiantischen Psychothriller, bei dem der Zuseher schon bis über beide Ohren im ganz normalen Horror steckt, bevor er überhaupt bemerkt hat, daß Schluß mit lustig ist. Natürlich könnte man einwenden, daß gegen Ende des Films die Glaubwürdigkeit etwas leidet und die Naivität der Protagonisten etwas überbordet. Aber "Harry meint es gut mit dir" ist ja doch nur ein Film und keine Dokumentation. Hitchcock hätte jedenfalls seinen Hut vor diesem Film gezogen. Und Robert Zemeckis kann einstweilen das Klo besetzen.

Übrigens: Dominik Moll haßt Hysterie. Genau daran krankte das französische Kino der späten 90er Jahre, und man kann sich nicht genug darüber freuen, daß damit endlich Schluß ist.

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