In the Mood for Remix

Jazz ist ein alter, röchelnder Mann in der eisernen Lunge. Jazz ist eine schöne Frau mit Whiskeyglas, die Zigarettenrauch ins gedämpfte Licht ausatmet. Alles nur eine Frage der Sichtweise und der richtigen Auswahl. Wichtig ist, daß es heute Kräfte gibt, die das große Erbe des Jazz mit modernen Ideen verschränken und somit mehr als nur Wiederbelebung propagieren - vielmehr wird gezeigt, das Jazz noch immer ein musikalischer Ausdruck und Spiegel des Lebens an sich ist.

Mit "Motion", dem 1999 auf Ninja Tune erschienen Debutalbum des Cinematic Orchestra, konnte die Band als einer der wenigen Vertreter des sogenannten NuJazz bei eingefleischten Jazzern ebenso punkten wie in der sogenannten Intelligent-Dance-Community. Das Kollektiv um den schottischen Musiker und leidenschaftlichen Plattensammler Jason Swinscoe entlehnt seine Methoden und Instrumentarien dem klassischen Jazz und verpackt sie in die Outfits zeitgemäßer Dance-Produktionen. Sampler und Turntables werden beim Cinematic Orchestra nicht als schickes Beiwerk am Bühnenrand plaziert, sondern bilden das Gerüst, in und an dem die Sounds und Strukturen des Jazz turnen.

Das Cinematic Orchestra unterscheidet sich von anderen Vertretern der neuen Jazzwelle auch dadurch stark, daß die Erzeugung von Atmosphäre weit über technische Fertigkeiten gestellt wird - minutenlange Bläsersoli oder unbegleitete Schlagzeug-Onanismen wird man hier nicht finden. Und das ist gut so. Die Soundtrack-artigen Stücke verbinden dekonstruierten Bebop mit Splittern aus HipHop und Downbeat und sind getragen von einer zurückgelehnten, luftigen Atmosphäre - am ehesten noch zu vergleichen mit den Arbeiten von Ian Simmonds.

Durch die technisch perfekten und atmosphärisch dichten Produktionen ließen Remix-Aufträge nicht lange auf sich warten, und auch die eine oder andere Kollaboration wirft bereits ihren Schatten voraus; so wird Swinscoe z. B das neue Album des skandinavischen Breakbeat/Dub-Jazzers Nils Petter Molvaer produzieren. Mit "Remixes 98-2000" erscheint nun, ebenfalls auf Coldcuts´ Ninja-Tune-Label, eine Zusammenfassung der bisherigen Fremdarbeiten.

Faze Action - Moving Cities (The Cinematic Orchestra remix extended version)
Aus dem Original-Housetrack, der zwar ganz anständig ist, aber sicherlich keinen Meilenstein der Popkultur setzt, wird in der Bearbeitung ein elegant swingendes und magisches Stück Musik mit einfach schönem und elegischem Streicher/Bläser-Intro (erinnert ein wenig an das Intro von Rockers Hifis Remix von "Reborn") und sich langsam steigernder Spannung, die sich in den scharf und klar produzierten Bläsern der Endsequenz nur teilweise entlädt.

The Cinematic Orchestra - Channel One Suite (Tom Tyler Remix)
Die einzige Arbeit der Compilation im umgekehrten Arrangement: Der völlig unterschätzte Tom Tyler (sein Debutalbum "Asleep at the Switch" [Depth Charge Recordings/EFA] war mit Sicherheit einer DER Geheimtips des vergangenen Jahres) läßt über Wah-wah-Gitarre und verwischten Drumloops Bläsersätze und verschiedenste Geräusch-Samples flackern. Tom Tyler steht dem charakteristischen Sound-Kosmos des Cinematic Orchestra bei näherer Betrachtung sehr nahe, wenn seine Stücke auch von einer intimeren und collagierten Stimmung geprägt sind.

Kenji Eno - The Fear Theme (The Cinematic Orchestra´s re-interpretation)
Fast wie bei Prokofjews "Peter und der Wolf" tauchen die einzelnen Elemente des Tracks auf wie der Wolf, der einmal hinter einem Baum und einmal hinter einem Strauch hervorlugt. Einmal miteinander verzahnt, wird neben der subtilen Dramaturgie auch die raffinierte Rhythmik erst völlig transparent. Programm-Musik goes NuJazz.

Les Gammas - Guauanco (The Cinematic Orchestra extended version)
Wieder ein gutes Beispiel für die Gelegenheiten, bei denen die Bearbeitung dem Original überlegen ist. Das zwar ganz nette, aber wie bei Faze Action eher schnarchige Original erfährt im Filter des cinematischen Orchesters zwar eine Betonung der von Latin-Patterns getragenen Originalstruktur, wird aber mit fein gesetzten Akzenten von Gitarre, Piano und Stimm-Samples gehörig aufgewertet.

Piero Umiliani - Panoramica (The Cinematic Orchestra remix)
Daß es zu einem guten Teil die Pausen sind, die gute Musik ausmachen, wird in dieser Bearbeitung mehr als deutlich - eingeleitet von zarten Film-noir-Klaviertupfern, später begleitet von fern klingelnden Becken und sanften Bläserarrangements, ist der stillste Moment des Albums durchdrungen von Melancholie und den Bildern nasser Straßen und schlecht beleuchteter Bars.

Nils Petter Molvaer - Vilderness (The Cinematic Orchestra remix)
Die dem Original am nächsten stehende Bearbeitung: Der zukünftige Kollaborateur des Orchesters wird mit Respekt behandelt, und die beiden Teile des Stücks "Vilderness1" und "2" des letztjährigen Molvaer-Albums "Solid Ether" in einem stringenten Mix zusammengefaßt, der - mit neuer Bassline ausgestattet - unbeirrbar und hypnotisch in die Jazz-Wildnis stapft.

DJ Krust - Re-Arrange (The Cinematic Orchestra remix)
Und noch ein zartes Intro. Die Abschlußnummer des Albums - die originale Drum´n´Bass-Nummer wird von einem repetitiven Piano-Loop eingeleitet; weit hinten stehende Drums unterstützen das Thema und werden von Streichern unterbrochen, die den Ball wieder an geloopte Bläsersätze, Oboe und scheinbar auch ein Nebelhorn abgeben. Die so eingeführten Elemente interagieren und werden später wieder vom Intro-Thema abgelöst, das den einfallsreich konstruierten Track ausklingen läßt. Großartig.

Fazit:
Wie bei vielen guten Remixern entsteht beim Cinematic Orchestra mit jeder Bearbeitung ein neuer Track, der unabhängig vom Original existieren kann und nicht als Funktionalisierung für Dancefloor/Bar/Fahrstuhl dient. Das Cinematic Orchestra beweist seinen einzigartigen Standpunkt in der modernen Musikszene, indem es einen völlig eigenständigen Umgang mit den Elementen von Jazz, HipHop und Elektronik entwickelt. Beim Anhören seiner Stücke erscheint die Aussage, daß Jazz komisch riechen würde, als völlige Absurdität.

Abseits von unseligem Fusion-Genudel ist dem Cinematic Orchestra das Kunststück gelungen, in der von Veröffentlichungen und ständig neuen Pseudostilen überfrachteten Musikszene einen völlig eigenständigen Stil zu entwickeln, der Geschichtsbewußtsein und Fortschrittsdenken vereint. Wenn Jazz oder NuJazz so wie hier klingt, dann - ja, bitte. Mehr davon.

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