Die Provinz und das Revolutionäre

Zwischen der Wohlstandspolitik der Kreisky-Ära und den Idealen der jugendbewegten 68er-Generation: sechs normale Menschen erinnern sich an "ihre" 70er Jahre - und was davon übrig blieb.

Wohl kaum ein Jahrzehnt erlebte dermaßen intensive Revivals wie die 70er Jahre: Mode-, film- und musikmäßig beschäftigen wir uns nun seit mehr als einer Dekade mit ihnen, und es ist noch kein wirkliches Ende abzusehen. Den grausigen Höhepunkt bildet hierzulande die bemüht lustige "Wickie, Slime & Paiper"-Hysterie, in deren eher peinlichem Rahmen sich die heute 30jährigen mit nostalgischer Verklärtheit an zum Teil fragwürdige Fetische ihrer Kindheit klammern. Aber das Pop-Jahrzehnt, das – aus heutiger Sicht oft naiv – die Welt und Gesellschaft mit einer friedlichen Revolution aus freier Liebe, Rockmusik und Drogen zum besseren wenden wollte, hat außer tollen Filmen und modischen Geschmacklosigkeiten auch politische Spuren hinterlassen.

Recht passend zur gerade vielerorts begonnenen Demontage des Erbes jener Umbruchszeit begibt sich die 32jährige Filmemacherin Elisabeth Scharang mit ihrer Dokumentation auf eine Spurensuche der österreichischen Art. Ausgangspunkt ist eine Kassettenaufnahme ihres Vaters Michael, der 1972 sechs Arbeiterinnen und WG-Genossen für ein "dokumentarisches Hörspiel" diskutieren ließ. Fast 30 Jahre später konfrontiert die Regisseurin diese Leute noch einmal damit und beobachtet die Reaktionen auf ihr persönliches Stück Zeitgeschichte, in denen die Arbeiter vom revolutionären 68er-Gedankengut erzählen. Den Träumen und sozialen Utopien der damaligen Protagonisten einer linken Jugendbewegung zwischen Protestliedern eines Sigi Maron, der Arena-Besetzung, WG-Gründungen und beginnenden alternativen Projekten stellt Scharang die "offizielle" Geschichtsschreibung gegenüber: Die Ära Kreiskys, die Wohlstand, Bildung, Arbeit und Gesundheit für alle propagierte. Sozialer und wirtschaftlicher Fortschritt hieß die Parole, die das Land aus seiner muffigen Provinizialität befreien sollte. Diesen Zeitgeist von damals versucht eine pralle Montage aus politischen und kommerziellen Werbesendungen, TV-Ausschnitten, Archiv-Bildern und Videos (z. B. von Waterloo & Robinson), die mit den persönlichen Lebenswelten kontrastiert wird, zu rekonstruieren. Private Bilder, Amateuraufnahmen und Interviews geben nicht nur beredte Auskunft über das selektive Gedächtnis, über Erwartungen und Enttäuschungen, sondern auch über das, was letztlich von den vielen Idealen und Träumen übrig geblieben ist - oftmals nicht viel.

Österreichische Dokumentarfilme sind meist ein Härtetest, denn gern und oft nähern sich die verantwortlichen Macher ihren ausgewählten Objekten der Begierde mit einer Mischung aus falsch verstandener Ironie und ungelenker Exploitation. So ist es der zweifach preisgekrönten Regisseurin und FM4-"Jugendzimmer"-Moderatorin anzurechnen, wenn sie diese Stilmittel verweigert und sich der Materie und den porträtierten Menschen mit Respekt und einem gewissen Feingefühl nähert. Auch handwerklich befindet sich "Normale Zeiten" über dem handelsüblichen Niveau, und wenn sich auch unter dem gesammelten Archiv-Material naturgemäß Unterhaltsames und leicht Skurriles findet, verzichtet der Streifen weitgehend auf die zu Tode gehypte Kitsch-Nostalgie. Wie man auch immer zu den Idealen der 68er-Generation und der heimischen Umsetzung stehen mag: ein Versuch, eine (geschichtliche) Entwicklung und Auswirkungen anhand von Einzelschicksalen darzustellen, ist immer interessant - und in diesem Fall auch gelungen. Und immerhin: es war eine Zeit, in der es noch so etwas wie Utopien und Visionen gab.

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