Saxophon und Seventies

Wer noch nie in Finnland war, kann das Element, das nahezu alle ernsthaften Bands des Landes verbindet, kaum verstehen: Sehnsucht und Melancholie, die aus jedem Nachklang sprechen und Harmonien, die das Gefühl von Weite vermitteln. Amorphis, eine der Speerspitzen des Suomi-Metal, melden sich zum Jahresanfang mit einem sehr schönen Lebenszeichen.

Anfang der Neunziger hätten Amorphis jeden Contest für Bands, deren T-Shirts auf anderen Konzerten zu sehen waren, mühelos gewonnen. Als Death in Mode war und eine anheimelnde Keyboard-Melodie, die martialische Elemente umschmeichelte, fast schon als technoid angesehen wurde, nutzten auch Amorphis die Gunst der Stunde. Von der Urbesetzung sind heute nicht mehr viele übrig geblieben; wichtig ist aber vor allem der Kopf der Band, Esa Holopainen. Er schreibt seit jeher die Songs und sorgte bisher auch für den Stoff der Texte, die seit zwei Alben vom tatsächlich singenden Pasi Koskinen umgesetzt wurden. Standen auf allen bisherigen Amorphis-Veröffentlichungen jedoch Mythen und finnische Symbole im Vordergrund, so hat sich die Band mit ihrem neuen Album "Am Universum" davon gelöst. Der Titel klingt spacig, und so ist auch die Musik. Würde man von Monster Magnet den Sex subtrahieren und Kyuss durch ein Sandsieb schütteln, käme als Extrakt die Grundlage des Sounds auf diesem Album heraus.

Produzent Simon Efemy hat der Band - die im Hinblick auf ihre instrumentalen Fähigkeiten zu den besten Europas gehört - die Kernigkeit bewahrt. Das Schlagzeug hat weiterhin Punch, die Gitarren sind saftig geblieben. Allerdings kommt das alles gänzlich ohne zerstörerische Note daher; die Band klingt vielmehr wie eine Virtuosenschule der Siebziger auf LSD-Trip. Man muß "Am Universum" schon mehrere Male durchhören, bis man zum Herz eines jeden Songs gelangt. Nach und nach wird das Album logisch und gleichzeitig bezaubernd; man erkennt Quintessenzen der Gitarrenarbeit in den Keyboard- und Saxophonbögen wieder; die Band nimmt sich viel Raum zur Entwicklung. Besonders erstaunlich ist, daß der neue Longplayer von Amorphis formal absolut "retro" ist und dennoch nie abgeguckt wirkt, im Gegenteil: Man hat das Gefühl, als wären die Songs bei der Aufnahme das erste Mal gespielt worden. Trotz der Komplexität der Kompositionen fehlt jeder Hintergedanke an das sprichwörtliche Reißbrett.

"Am Universum" ist ein wunderbares Album einer Band, die sympathisch und authentisch geblieben ist und der man nur von ganzem Herzen viel Erfolg wünschen kann. Freunde von Black Sabbath, Nick Cave und finnischer Urgesteine wie Waltari und Kyyria sollten zugreifen. Doch auch Skeptiker können den Kauf getrost riskieren, nachdem sie sich die Tracks "Goddess" und/oder "Crimson Way" zu Gemüte geführt haben.

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