Hongkong sehen und sterben

True-Crime-Literatur gibt es wie Sand am Meer, doch thematisch beschäftigt sie sich meistens nur mit den "üblichen Verdächtigen". Kate Whiteheads "Hong Kong Murders" stellt hier eine löbliche Ausnahme dar.

Seit jeher haben die düsteren Kapitel unserer Geschichte manche Menschen weitaus mehr angesprochen als die sogenannten Sternstunden. Persönlichkeiten wie Mahatma Ghandi, Mutter Theresa oder Madame Curie haben zwar ohne Zweifel einiges für die Gesellschaft getan, ihre Biographien sind aber höchstwahrscheinlich nur für Dinkelfresser & Konsorten von Interesse. Ganz anders verhält es sich da mit den bösen Buben vom Schlage eines Henry Lee Lucas, Ed Gein oder den Kray Brothers. Über Massenmörder, Serienkiller und andere düstere Gestalten liest man immer wieder gern (was natürlich nicht heißen soll, daß man besagten Herrschaften auch im richtigen Leben begegnen möchte).

Leider hat es jedoch gerade in den letzten Jahren eine regelrechte Schwemme an derartiger True-Crime-Literatur gegeben, und so wurde auch dieses Thema mit der Zeit ziemlich langweilig. Schließlich wurden in den meisten Titeln immer wieder dieselben kriminellen Rabauken behandelt; nur selten konnten Autoren aus den üblichen Schemata ausbrechen (siehe beispielsweise das Sachbuch "Mord-Express"). Eine lobenswerte Ausnahme stellt auch Kate Whiteheads vor kurzem erschienenes Buch "Hong Kong Murders" dar. Obwohl auch sie sich von Mördern und ähnlichen bösartigen Charakteren inspirieren ließ, widmet sie sich zur Abwechslung den Verbrechen in einer asiatischen Großstadt.

In ihrem - in sieben Überkapitel unterteilten - Werk behandelt die Autorin zuerst gefährliche Liebschaften und schildert u. a. die Geschichte von Patrick, Brendy und Kitty. Das mag jetzt vielleicht an einen alten Russ-Meyer-Schinken erinnern, doch könnte der Inhalt gar nicht unterschiedlicher sein. Immerhin befindet sich eine der drei genannten Personen in ihre Einzelteile zerlegt in einem Kanister. Akribisch genau werden danach die illustren Abenteuer von Lam Kor-wan und Tuen Mon, ihres Zeichens Serienkiller, geschildert. Besonders ersterer weckt wehmütige Erinnerungen an die Glanzzeiten des HK-Kinos, stand er doch quasi Pate für Danny Lees berühmt berüchtigten "Dr. Lamb" mit Vorzeigepsychopath Nummer zwei, Simon Yam, in der Hauptrolle (Platz eins wird nach wie vor von Anthony "Untold Story" Wong gehalten).

Mit "Money Matters" wendet Whitehead sich kurz dem schnöden Mammon und seinen Auswirkungen auf den Menschen zu, bevor sie mit den "Triad Gangsters" erneut in ein beliebtes Wespennest sticht. Kenner der HK-Filmszene begegnen hier alten Bekannten wie Busenwunder Amy Yip oder Diva Anita Mui wieder (die Verbindung Filmbiz/Triaden ist schließlich altbekannt), während der Rest sich an der Legende des "Tigers von Wan Chai" ergötzen darf (die im übrigen ebenfalls mit Simon Yam verfilmt wurde). Es folgen noch einige Kapitel zum Thema Kidnapping, Sexualverbrechen und Grenzüberschreitendes, bevor man zwangsläufig auch die letzten Zeilen dieses spannenden Buches verschlungen hat.

Mit "Hong Kong Murders" ist es Kate Whitehead gelungen, ein faszinierendes Bild der dunklen Seiten dieser schillernden Metropole zu schaffen. Die einzelnen Texte sind stellenweise beeindruckend genau recherchiert und trotz Aufzählung zahlreicher Fakten keine Minute langweilig. Wer immer schon mehr über die fernöstlichen Pendants zu John Wayne Gacy oder Robert Hansen wissen wollte, findet in diesem Buch sicherlich einige wertvolle Informationen (wenngleich dem Sujet keine sonderliche Bedeutung beigemessen wird); ansonsten gibt Whitehead einen gelungenen Überblick in Sachen Mord und Totschlag Made in Asia. Für echte True-Crime-Fanatiker ist das Buch auf jeden Fall eine Anschaffung wert!

PS: Interessierten sei an dieser Stelle auch Mark Schreibers "Shocking Crimes of Postwar Japan" ans Herz gelegt.

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