Industrielle (R)Evolution

Fans kaufen alles, was ihre favorisierten Bands und Künstler so veröffentlichen. Das ist eine Binsenweisheit. Wenn allerdings ein Musiker fast nur noch für seine Fans veröffentlicht, keine weiteren Käuferschichten erreicht (oder erreichen will) und dabei den Kreativitätslevel auf erstaunlich hohem Niveau hält, so ist das nicht unbeachtlich.

Fast zeitgleich mit seinem Aufstieg zur Ikone der experimentellen elektronischen Musik Anfang der 80er Jahre veröffentlichte Richard H. Kirk auch ständig Soloalben, die der Kompromißlosigkeit seiner Hauptband um nichts nachstanden. Stücke seiner ersten Solo-Alben "Disposable Half Truths" (1978) oder "Time High Fiction" (1983) gelten noch immer als Standards für Musik auf dem schmalen Grat zwischen E und U.

Nachdem Cabaret Voltaire Ende der 80er nach ihrer üblen, weil kommerzschielenden Phase bei EMI durch den Verlust ihrer Fanbase und das Nichterreichen eines breiteren Publikums eine unausgesprochene Auflösung durchlebten, machte sich Richard H. Kirk daran, die für ihn reichlich schmerzhaften Ausflüge in den Pop-Bereich wieder mittels experimentellerem Solomaterial auszugleichen. Die Trilogie "Plasticy" (1992), "International Language" (1993) und "The Conversation" (1994) entstand und wurde, trotz seines Alleingangs, noch unter dem alten Bandnamen Cabaret Voltaire veröffentlicht. Nur "The Conversation" konnte zumindest moderaten Erfolg ernten, da mit dem 54minütigen Stück "Project 80" die Ideen und Methoden des frühen Industrial-Stils wohnzimmerkompatibel und durchgehend hörbar gemacht wurden - ohne das Genre "auszubeuten"; ein Konzept, dem Kirk von nun an folgen sollte.

Doch die Last der frühen Tage und der Ikonenstatus wogen schwer. Nichts lag daher näher, als sich hinter Pseudonymen zu verschanzen und abzuwarten, was disinformierte Medien und ein ebensolches Publikum von neuen Elektronikkünstlern wie Sandoz, Electronic Eye, Dark Magus, Trafficante, Al Jabr, Nitrogen und Blackworld halten würden. Doch die tribalistisch/elektronischen Exkurse von Sandoz und der Hi-Tech-Funk von Electronic Eye und Trafficante wurden auf breiter Fläche ebenso ignoriert wie die hypnotischen Sample-Cluster von Dark Magus und Al Jabr. Sie waren allesamt zu kompliziert, zu unzugänglich und zu individualistisch, um auf breiterer Basis reüssieren zu können.

Mit "Subduing Demons in South Yorkshire" erscheint unter dem Alias Blackworld ein Album in der mit Found Sound gewürzten Elektro-Funk-Tradition der früheren Inkarnationen Trafficante und Electronic Eye - sorgsam aufgebaute Intros, dynamisch verschachtelte Beats, repetitive Sprach- und Geräuschsamples über einer dicken Lage subsonischer Bässe. Der Albumtitel ist eine Anspielung auf John Giorno, einen Poeten und Spoken-Word-Artist aus dem Umfeld von Andy Warhol und William S. Burroughs, der eine seiner Arbeiten "Suduing Demons in America" nannte. Kirk bezieht den adaptierten Titel auf seinen Wohnort Sheffield, eine sozialistische Bastion im konservativen Landesteil South Yorkshire. Thematische Inhalte, transportiert durch Songtitel und Sprach-Samples, sind nach wie vor Konflikte ("Cyber War", "Guerilla War", "Gun Control"), Sozialpolitisches ("Financial Instituition", "Europeanz") und Disinformation ("It´s The Truth"). Der Aufbau der Tracks ist subtil wie eh und jeh - einige Sprachsamples und Effekte von verschiedenen Instrumenten flirren durch die Gegend, während ein leicht verhatschter Beat das Terrain für die nächste Lage Drums vorbereitet; Breaks werden von verwischten Melodiefetzen getragen und lassen Variationen der Beat-Intros zu.

Alles in allem bietet dieses Werk keine neuen Erkenntnisse für das mittlerweile schon über 30 Alben umfassende Gesamtwerk Kirks, ist jedoch eine sinnvolle Investition für jeden, der sich auch nur am Rande für elektronische Musik MIT Beats interessiert.

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