Antihelden in Action

In den überfüllten Straßen Kowloons bewegen sich zwei kleinkriminelle Triaden-Gangster in einer unheilvollen Spirale aus Gewalt nahe am Rande des Abgrunds. Einer davon wird in Wong Kar-wais Debütfilm "As Tears Go By" noch dazu in einen Konflikt zwischen Liebe und Loyalität verstrickt.

Die Großstadt, blinkende Neonschilder des Red-Light-Distrikts, schmierige Kneipen mit ebensolchen Typen, die im Hinterzimmer Mah-jong spielen und ihre Waffen und gehorsamen Schläger stets griffbereit haben, vielleicht noch ein paar regennasse Straßen: Dies ist nicht nur die gern gesehene, fast prototypische Kulisse der schmerzens- und schußreichen Hongkong-Action-Movies der 80er Jahre, sondern auch die eng eingezirkelte Welt des Gangsters Ah Wah (Andy Lau). Er ist ein kleiner Krimineller, dessen mühseligem Geschäft jeder Glamour fehlt und den in seiner bescheidenen Wohnung und seinen nicht existenten oder nur scheiternden Beziehungen langsam das Gift der schleichenden Resignation und Sinnkrise befällt. Sein einziges Engagement gilt seinem in der strengen Triaden-Hierarchie zugeteilten "kleinen Bruder" Fly (Jacky Cheung), für dessen Aktionen er die Mitverantwortung trägt. Bei diesem halben Jugendlichen handelt es sich allerdings um einen unberechenbaren Wirrkopf, der mit seiner Mißachtung des autoritären Gangster-Gefüges ständig blutige Auseinandersetzungen provoziert. Stets ist Ah Wah zur Stelle, um ihm aus der Patsche zu helfen. Aber die gesteigerte Eigendynamik der Ereignisse bringt nur weitere, immer lebensgefährlichere Fehden mit sich. Vor allem, als sich Fly seines eigenen Verliererdaseins bewußt zu werden beginnt, agiert Ah Wah als Retter aus der Not zusehends hilfloser.

In diese verfahrene Situation fällt auf einmal die Ankunft seiner zurückhaltenden Cousine Ah Ngor (Maggie Cheung), die wie die schöne Abgesandte aus einer anderen besseren Welt auftaucht. Erst nach ihrer Abreise gesteht sich Ah Wah die Liebe zu ihr ein. Sie ist die Verheißung eines ganz normalen Lebens. Doch in die gemeinsame Idylle, die Wong Kar-wai symbolträchtig auf eine Insel verlegt, dringen nach wie vor Flys selbstmörderische Aktionen.

Es ist ein fatalistisches Dilemma, das der von Andy Lau großartig porträtierte Antiheld hier durchleidet: die Sehnsucht nach dem privaten Liebesglück auf der einen Seite, schier übermenschliche Loyalität und Ehrenkodex auf der anderen. Das ist in den wunderbaren Action-Thrillern Hongkongs nichts Neues, schon gar nicht zu der Zeit, als Wong Kar-wais Erstling entstand. Und das ist auch ein wenig der Haken an "As Tears Go By": 1988 funktionierte er einfach besser; zu sehr sind diese und ähnliche Geschichten dem Publikum mittlerweile vertraut. Allerdings weist der inzwischen international abgefeierte Kultregisseur bereits auch hier stilistische Unterschiede zum Genre sowie persönliche Eigenständigkeiten auf. Relativ unpathetisch und temporeich erzählt, entladen sich die "realistischen", rohen Sequenzen in schön verfremdeten Gewalt- oder Gefühlsausbrüchen. Diese Bilder und optisch aufregenden Effekte - zumeist und auch hier vom kongenialen Kameramann Christopher Doyle photographiert - handelten Wong Kar-wai zunächst den Vorwurf eines (zu Unrecht geschmähten) "Hip-Regisseurs mit MTV-Videoclip-Ästhetitik" ein, bis er mit seinen letzten Werken zu höheren cineastischen Weihen aufstieg - was oft schon bedeutet hat, daß man Nachfolgendes getrost vergessen kann. Es bleibt zu hoffen, daß der Hongkonger Filmemacher und geniale Stilist dies unbeschadet übersteht.

Die häufig zitierten Vergleiche mit Martin Scorseses Meisterwerk "Mean Streets" sind teilweise berechtigt, wenn auch qualitativ nicht wirklich haltbar. Anleihen sind feststellbar; bei "As Tears Go By" handelt es sich jedoch um ein gelungenes und auch sehenswertes, aber keinesfalls umwerfendes Debüt, das neben energiegeladenen Stärken auch seine Schwächen hat. Nichtsdestotrotz ist es sehenswert. Kritische Zungen behaupten, daß Wong Kar-wai eigentlich immer nur ein- und denselben Film machen würde. Dieser Streifen beweist, daß dem nicht ganz so ist.

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