Weißbrot aus den 80ern

Die Verfilmung des Romans "Die purpurnen Flüsse" von Jean-Christoph Grangé ist dem seit "La Haine" recht renommierten Franzosen Mathieu Kassovitz ziemlich mißlungen.

Der schweigsame, eigenbrötlerische und wegen seiner Erfolge und Bestseller in Polizeikreisen legendäre Kommissar Niémans (Jean Reno) wird in die in einem entlegenen Alpental versteckte Elite-Universitätsstadt Guernon beordert, um die Ermittlungen in einem gräßlichen Mordfall zu übernehmen. Die Leiche, grausam gefoltert und verstümmelt (abgeschnittene Hände etc.), gibt den örtlichen Gendarmen unlösbare Rätsel auf. Ein paar hundert Kilometer entfernt untersucht der Krimineser-Jungspund Kerkerian (Vincent Cassel) eine Hakenkreuz-Grabschändung, die mit einem lange zurückliegenden, überaus schockierenden Unfall zu tun hat, bei dem ein kleines Mädchen von einem Lastwagen überrollt und zu Brei zerquetscht wurde. Daß hinter dem Fall mehr als Nachwuchsnazi-Blödheit steckt, wird ihm klar, als er entdeckt, daß sämtliche Akten über den Unfall und das Mädchen auf rätselhafte Weise verschwunden sind.

Es dauert nicht lange, bis sich die Wege von Niémans und Kerkerian kreuzen. Alle Hinweise deuten auf die elitäre Universität von Guernon, wo irgendeine grausliche, inzüchtige, verschrobene und mit Übermenschenideologie behaftete Verschwörung zu laufen scheint. Die zornige, widerspenstige Exstudentin Fanny (Nadia Farès), Entdeckerin der ersten Leiche und Erforscherin von Gletschereis, die ihrer Universität den Rücken gekehrt hat, führt Niémans bald zu weiteren Leichen. Mit vereinten Kräften kommen Niémans und Kerkerian einer Rassenhygiene-Ideologie auf die Spur, die seit Jahrzehnten in der Universität praktiziert wird. Aber irgendwas stimmt nicht mit der Gesamtkonstellation des Falles: Es fehlt jegliche Spur zu dem grausamen Serienmörder, und der Verbleib des Mädchen, dessen Grab geschändet wurde, bleibt ebenso ein Rätsel. Erst die verrückte Mutter des Mädchens bringt die Polizisten doch noch auf die richtige Spur. Zusammen mit Fanny begeben sie sich hinauf auf den Gletscher, um einen "überraschenden" Showdown loszutreten...

Wie schon die Romanvorlage hat auch der Film eine durchaus spannende, vielschichtig konstruierte Story. Und wie im Buch stinkt die schlußendliche Auflösung der Wirren fernab jeglichen Realismus ganz gewaltig ab. Jean Reno, eigentlich meist ein Lichtblick, stapft hier ungewöhnlich maniriert und fade durch die Gegend. Der großartige Vincent Cassel spielt ihn locker an die Wand. Nadia Farès schließlich ist definitiv eine Fehlbesetzung - nicht etwa, weil sie schlecht spielen würde, sondern weil sie mit ihrem Straßenkind-Gesichtsausdruck einfach nicht als Eliteuni-Absolventin durchgeht. Die Inszenierung von Mathieu Kassovitz, der mit "La Haine" verdientes Kritikerlob einheimste, glänzt zwar stellenweise mit schöner Photographie, ist aber zerrissen und inkonsistent - man merkt deutlich, daß sich der Regisseur im Thriller-Metier überhaupt nicht zu Hause fühlt und ihm das, was er da erzählt, bestenfalls oberflächlich vertraut ist.

"Die purpurnen Flüsse" wirkt wie ein mittelgroß budgetierter Thriller aus den 80er Jahren - damals wäre er vielleicht gut gewesen, aber heutzutage kann man den Leuten sowas nicht mehr ernsthaft vorsetzen. Offenbar wollte Kassovitz, der als Schauspieler schon seit den 70er Jahren im Geschäft ist, endlich einen großen, international anerkannten Thriller machen, der die Intensität von "Das Schweigen der Lämmer" mit französischem Flair und politischer Ernsthaftigkeit verbindet. Dieses Vorhaben ist jedoch voll danebengegangen. Und zu allem Überfluß erwecken Schauspieler, Schnitt und Produktdesign jenen typisch fremdartigen Eindruck, der den Franzosenfilm der späten 90er Jahre so unerträglich gemacht hat - so, als hätte das Team zuviel Weißbrot, Wein und Weichkäse erwischt.

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